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Die unsichtbaren Fäden der Kontrolle

Viele Fingerzeige gibt es bei „Nostringsattached“. Foto: Thimo Kortmann
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No strings attached – Figurentheater-Performance von systemrhizoma bei Fadenschein.

Wir leben in einem freien Land, in dem nicht nur die Gedanken frei sind, sondern auch das Mundwerk. Kannst frei herausbrüllen, was dir stinkt. So frei entfalten konnte sich jedermann und jederfrau wohl kaum je besser als in unseren Tagen in diesem privilegierten Teil der Erde. Und doch: Kontrolle durchzieht auch unser Leben. Von der Wiege bis zur Bahre. Erst checkt die Mama geradezu schikanös, ob auch die Zähne ordentlich geschrubbt sind, später wird das Kontrollnetz zwischen Lohnarbeit und streng abgezirkelten Freizeitzonen, also zwischen Familie, Freunden und vermeintlich eigener freier Zeit diffiziler, komplexer und komplizierter. Dagegen war Mama `ne Lachnummer.

Und so mutet es nur auf den ersten Blick erstaunlich an, dass sich ein junges Künstlerkollektiv, von dem man doch dächte, es zelebriere die Freiheit der künstlerischen Entfaltung auch thematisch mit den abgelegen-verwegensten Themensetzungen, ausgerechnet mit dem schweren Brett „Kontrolle“ auseinandersetzt. Denn womöglich kaschiert diese mächtig große Lebensspielwiese namens Freiheit mit all ihren Möglichkeiten und Nebengassen nur ungenügend das mulmige Gefühl, dieses nagende Unbehagen, dass sich nämlich die Kontrolle mit ihrem Kumpel Kontrollmechanismus noch längst nicht in die Wüste hat schicken lassen. Von wegen frei . . . . „No strings attached“ nennt die Gruppe systemrhizoma ihre Arbeit, die in Kooperation mit dem Figurentheater Fadenschein entstanden ist und ebenda auch Premiere hat.

Bei Figurentheater denkt manch einer immer noch einzig und allein an das Marionettenspiel. Einer hat die Kontrolle über die Fäden, an denen die Puppe hängt. Potzblitz, was wäre da naheliegender, als eine Reflektion über Kontrolle, ein Diskurs über Macht- und unsichtbare Herrschaftsverhältnisse . . . . Eben nicht! „Das wäre ja auch allzu naheliegend“, sagt René Reith, verantwortlich für die Choreografie. Es gehe weniger darum, eine stringente Geschichte zu erzählen, sondern vielmehr um die Erzeugung einer Atmosphäre und eines Bilder-Bogens, der freilich auch einem dramaturgischen Konzept folgt. Spannungsbogen inklusive! Ganz schön verrätselt, ganz schön steil.

Versuchen wir die Fäden mal zu lichten: In dieser sehr bildsprachlichen Inszenierung treten Sound, Licht, Text, Performance als gleichberechtigte Akteure auf und spielen sich das Thema wie einen Ball zu. Mal hat der eine die Oberhand, mal der andere. Der Text, so Reith, sei übrigens kein „Erklärbärtext“, er eröffnet ebenso wie die anderen Disziplinen Bilder, die assoziativ erschlossen werden wollen. Bisschen Mitarbeit ist auf den Rängen schon gefordert! „In Verbindung sein, ohne sich zu berühren“ ist ein Stichwort, das ausgelotet wird. Mechanismen der Kontrolle und Strategien der Manipulation sowie Gesellschaftsordnungen und Regelsysteme zu versinnbildlichen, sei ihr Anliegen, so Alba Scharnhorst, verantwortlich für Szenografie. Ohne dabei jedoch in Schwarz-Weißmalerei oder einen Anklagegestus zu verfallen. Den Guten und den Bösen gibt es bei ihnen nicht.

Überhaupt: Für Vorgaben sind die jungen Künstler nicht zu haben, sie sehen ihre interdisziplinäre Performance eher als Angebot an das Publikum. Der Zuschauer werde angeregt durch ihre audiovisuellen Choreographien,auf sich selbst zurückgeworfen, gefordert, seine eigene Interpretation zu finden. „Die Performer sind nur die Projektionsflächen“, so Produktionsleiterin Susanne Schuster.

Auf der homepage kann man von systemrhizomalesen: „Besonderes Merkmal ist die gemeinsame Arbeit zwischen Performance, Musik, Licht, Text und Choreografie, die konventionelle Probenstrukturen meist überschreitet. So arbeiten alle Beteiligten konzeptionell sehr eng miteinander zusammen und improvisieren zu den Arbeiten der jeweilig anderen. Die unterschiedlichen Disziplinen greifen dadurch synchron ineinander.“

Klingt schön, dieser Alle-sind-gleich-Kooperativgedanke. Aber haut das hin? Da gerät Annemarie Bastian vom Fadenschein regelrechtins Schwärmen: Unglaublich sei das, wie gelassen, empathisch, friedlich und freundlich die Gäste, die sich eineWoche vor der Premiere im Fadenscheinhaus einquartiert haben, harmonieren. Gerade vor Premieren soll es ja in Theatern ansonsten mitunter dramatischzugehen. Nicht nur auf der Bühne. Wäre ja aber andererseits auch merkwürdig, wenn ausgerechnet die Systemrhizoma-Leute Kontrollfreaks wären!

Unterstützt wird diese Figurentheater-Performance für Jugendliche und Erwachsene von der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz und Die Braunschweigische Stiftung.

Premiere: 30. März, 20 Uhr
Weitere Vorstellungen: 31. März, 1. April sowie 19., 20., 21. Oktober jeweils um 20 Uhr.
Nachgespräche am 31. März und 20. Oktober

Karten und noch mehr Infos zum Stück und zum Team unter www.fadenschein.de

Wer noch bei systemrhizoma mitmacht, was schon inszeniert wurde und wie das Kollektiv sich definiert unter www.systemrhizoma.com

 

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