Ein drama­ti­scher Tod hievte ihn ins Amt

Hugo Retemeyer. Foto Stadtarchiv

Geschichte(n) aus dem Braun­schwei­gi­schen, Folge 29: Der konser­va­tive Oberbür­ger­meister Hugo Retemeyer (1851–1931) sorgte mit kluger Haushalts­füh­rung für solide Stadt­fi­nanzen und wichtige Infra­struk­tur­pro­jekte.

Drama­ti­sche Ereig­nisse führten dazu, dass Hugo Retemeyer (1851–1931) Oberbür­ger­meister der Stadt Braun­schweig werden konnte. Denn sein Vorgänger Wilhelm Pockels kam auf tragische Weise während des Neujahrs­emp­fangs des Prinz­re­genten des Herzog­tums Braun­schweig, Albrecht von Preußen, am 13. Januar 1904 überra­schend ums Leben. Aufrecht hatte Pockels wegen eines plötz­li­chen Unwohl­seins die Festtafel verlassen. Den Ausgang des Saales im Residenz­schloss erreichte er wegen eines erlit­tenen Schlag­an­falls nicht mehr.

Bereits zwei Wochen nach Pockels‘ Tod wurde Retemeyer in einer gemein­samen Sitzung von Magistrat und Stadt­ver­ord­neten zu dessen Nachfolger gewählt. Nach der Novem­ber­re­vo­lu­tion wurde er zudem als erster Oberbür­ger­meister überhaupt vom Volk in freien Wahlen am 21. September 1919 bestätigt. Retemeyer, der als treuer Sachwalter kommu­naler Inter­essen galt, hatte sich dabei deutlich gegen den Kandi­daten der USPD, August Wesemeier, durch­setzen können.

22 Jahre amtiert

Er steht schließ­lich für den Übergang vom Kaiser­reich zur Weimarer Republik, vom Herzogtum zum Freistaat Braun­schweig. Pockels galt als Förderer Retemeyers. Er hatte Retemeyer 1880 zunächst in das Amt des haupt­amt­li­chen Stadtrats und 1894 in das des Bürger­meis­ters gehoben. Von den 27 Oberbür­ger­meis­tern seit 1807 haben schließ­lich nur Heinrich Caspari (1848 – 1879/31 Jahre), Pockels (1879 – 1904/25 Jahre) und Wilhelm Bode (1825 – 1848/23 Jahre) länger amtiert als Retemeyer. Im Jahr 1925 legte der konser­va­tive, aber partei­po­li­tisch ungebun­dene Retemeyer sein Amt aus gesund­heit­li­chen Gründen vorzeitig nieder.

Der Jurist Retemeyer, der 24. April 1851 in Masche­rode geboren wurde, führte Braun­schweig anfangs durch die fortschrei­tende Indus­tria­li­sie­rung und die damit erfor­der­liche Stadt­er­wei­te­rung sowie später durch die schwie­rige Zeit mit Erstem Weltkrieg und Novem­ber­re­vo­lu­tion 1918. Er manövrierte die Stadt mit Augenmaß durch gleich zwei Phasen tiefgrei­fender gesell­schaft­li­cher und politi­scher Verän­de­rungen.

In Schutz­haft genommen

Als die Novem­ber­re­vo­lu­tion ausbrach, war Hugo Retemeyer als Verwal­tungs­chef der Landes­haupt­stadt und Präsident des Landes­par­la­ments einer der wichtigsten Vertreter des alten Regie­rungs­sys­tems. „Es kann daher nicht verwun­dern, dass er zu dem kleinen Kreis von Personen zählte, die vom Arbeiter- und Solda­tenrat noch am 8. November abends in Schutz­haft genommen wurden, um die befürch­tete Organi­sa­tion einer Konter­re­vo­lu­tion zu verhin­dern“, schreibt Dr. Henning Stein­führer, Leiter des Stadt­ar­chivs Braun­schweig in der Veröf­fent­li­chung  „Die Zeit der Novem­ber­re­vo­lu­tion  in Braun­schweig“ des Stadt­ar­chivs.

Retemeyer wurde, so Stein­führer, wie die übrigen Inhaf­tierten aller­dings nach wenigen Tagen, am 12. November 1918, wieder auf freien Fuß gesetzt. Da auch die Revolu­tio­näre kaum Interesse an einem Zusam­men­bruch des öffent­li­chen Lebens gehabt hatten, seien Landes- und Stadt­ver­wal­tung zunächst weitge­hend unange­tastet geblieben. Retemeyer kehrte an seinen Schreib­tisch im Rathaus zurück und übte das Oberbür­ger­meis­teramt trotz Unruhen während der gesamten Revolu­ti­ons­zeit ungehin­dert aus.

Am 9. April 1919 prokla­mierten die radikalen Kräfte den General­streik und legten die Stadt lahm. Das bürger­liche Lager inklusive der städti­schen Beamten riefen zum Gegen­streik auf. Es ist bezeich­nend für Retemeyers am Gemein­wohl orien­tierte Berufs­auf­fas­sung, dass er die Strei­kinitia­tive seiner Beamten strikt ablehnte, sie hätten vielmehr für das Funktio­nieren des öffent­li­chen Lebens zu sorgen. Die Reichs­re­gie­rung rief in dieser brisanten Situation den Belage­rungs­zu­stand aus und schickte Militär. Die Lage beruhigte sich im Frühsommer des Jahres.

Hugo Retemeyer begrüßt 1913 das Herzogs­paar Victoria Luise und Ernst August. Foto Stadt­ar­chiv

Hohes Verant­wor­tungs­ge­fühl

„Im Rückblick wird klar, dass ‚Glanz und Elend‘ der Amtszeit von Hugo Retemeyer eng mit der Finanz­po­litik der Stadt Braun­schweig verknüpft waren. Kaum ein Verwal­tungs­chef vor ihm und nach ihm war so konse­quent mit der Notwen­dig­keit zum Sparen im städti­schen Haushalt umgegangen wie Hugo Retemeyer, der hierbei große Ähnlich­keit mit dem derzeit amtie­renden Oberbür­ger­meister aufwies“, schrieb Prof. Dr. h. c. Gerd Biegel, Gründungs­di­rektor des Instituts für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und Geschichts­ver­mitt­lung an der TU Braun­schweig, anläss­lich des 75. Todes­tages Retemeyers im Jahr 2006.

Mit dem Vergleich meinte Biegel Dr. Gert Hoffmann, der von 2001 bis 2014 Oberbür­ger­meister war. Hoffmanns Sparpaket  und die Teilpri­va­ti­sie­rungen waren umstritten. Die Politik führte aber dazu, dass sich zu diesem Zeitpunkt Rücklagen und Schulden die Waage hielten. Hoffmann sprach damals von fakti­scher Schul­den­frei­heit der Stadt.

Retemeyer konnte es angesichts seiner vorsich­tigen Finanz­po­litik auch nicht allen recht machen können. „Sein Amt forderte, dass er an die erste Stelle das Interesse der Stadt stellte. Dieser Forderung war er als Stadtrat und Bürger­meister stets nachge­kommen und hatte sie zur Richt­schnur seiner Amtstä­tig­keit gemacht. Das mussten auch derjenige anerkennen, der ärgerlich über nicht erfüllte Wünsche war“, so Biegel weiter. Immer wieder werde in den Berichten zu seiner Amtstä­tig­keit sein hohes Verant­wor­tungs­ge­fühl neben seiner erheb­li­chen Arbeits­kraft betont.

Niedrige städti­sche Steuer­sätze

Retemeyers kluge Haushalts­po­litik habe die Stadt Braun­schweig trotz notwen­diger Ausgaben, die bei der rasanten Entwick­lung entstanden, seiner­zeit vor einer extremen Erhöhung der Steuern bewahrt, erläutert Biegel in seinem Beitrag. Die soliden Stadt­fi­nanzen hätten dazu geführt, dass Braun­schweig zu den Großstädten mit dem niedrigsten städti­schen Steuer­sätzen und den niedrigsten Lebens­hal­tungs­kosten gehörte.

Dennoch wurde in der Amtszeit Retemeyers auch konti­nu­ier­lich in die Infra­struktur der Stadt inves­tiert, wie Histo­riker Dr. Hans-Ulrich Ludewig in seinem Aufsatz über Retemeyer im von der Braun­schwei­gi­schen Landschaft heraus­ge­ge­benen Buch „Die Braun­schweiger Bürger­meister“ feststellt. „Der Ausbau und die Verbes­se­rung des Straßen­netzes wurden fortge­setzt, die sanitären Einrich­tungen weiter verbes­sert. In Rüningen und am Bienroder Weg wurden neue Wasser­werke errichtet, in Eisen­büttel ein Kraftwerk. Das städti­sche Rieselgut Steinhof wurde erweitert. An Kirchen‑, Schul- und Anstalts­bauten sind zu erwähnen: die Johannis‑, Pauli- und Jakobi­kirche, die Schule an der Diester­weg­straße, die Gauß-Oberre­al­schule, die Errich­tung eines Schul­mu­seums. Das städti­sche Museum, die Stadt­bi­blio­thek und das Stadt­ar­chiv erhielten einen Neubau“, schreibt er. Schon als Stadtrat hatte er am Entstehen des Östlichen Ringge­biets maßgeb­lich mitge­wirkt.

Viele persön­liche Anfein­dungen

Entschei­dend für Retemeyer seien stets ehrliche Überzeu­gungen und nie  ideolo­gi­sche Vorstel­lungen gewesen. Weil er kompro­misslos zugunsten der Stadt und ihrer Verwal­tung einge­treten sei, habe Retemeyer mit sehr vielen persön­li­chen Anfein­dungen zu kämpfen gehabt. Das änderte nichts daran, dass Hugo Retemeyer am Ende seiner Amtszeit wegen seiner unbestreit­baren Verdienste zum Ehren­bürger der Stadt Braun­schweig gewählt wurde. In der Anzeige nach Retemeyers Tod schrieb die Stadt: „Seiner Klugheit, seinem weitschau­enden Blick und seinem vorsich­tigen Wägen ist es zu verdanken, dass die Stadt vor dem Kriege auf allen Gebieten der städti­schen Verwal­tung zur hohen Blüte gelangte und die Notzeit des Krieges und seiner Folgen ohne schwere Belas­tungen überwinden konnte.“

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