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Weißer Hase am Tisch – voll normal! Oder?

Probenszene aus „Mein Freund Harvey“. Foto: Andreas Greiner-Napp
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Freie Bühne Braunschweig hat Premiere mit „Mein Freund Harvey“.

Jetzt mal Hand aufs Hasenherz: Wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Bruder ihnen eines Tages frohgelaunt seinen neuen besten Freund vorstellen würde: Zwei Meter groß (außergewöhnlich, aber irgendwie noch normal), Name Harvey (sehr normal), ein weißer Hase (bist du  irre geworden?), für jedermann unsichtbar (reif für die Klapse!).

Das ist der Plot des Theaterstücks „Mein Freund Harvey“ von Mary Chase, legendär gut verfilmt mit James Stewart in der Rolle des schräg-schrulligen Elwood, der sich und seinen imaginären Hasen mit seiner grundgütigen Freundlichkeit famos durch das Leben und gegen alle Widerstände der vermeintlich Normalen manövriert.

Aber was ist eigentlich normal? Diese Frage war für die „Freie Bühne Braunschweig – Theater bei AntiRost“ der Aufhänger bei der Adaption des Stückes.

„Unsere Inszenierung bleibt eine Komödie“, betont Regisseur Ronald Schober im Vorgespräch zur Premiere. Es ist die zweite Regiearbeit des freien Schauspielers, Autors und Regisseurs für die Freie Bühne. Ihm sei nicht daran gelegen gewesen, die Geschichte zu einem Problemstück umzumodeln, vielmehr gehe es um die spielerische Frage, „wie Gesellschaft mit nicht normgerechtem  Verhalten umgeht“.

Der erste Reflex auf einen Mann mit unsichtbarem Hasen im Schlepptau ist natürlich: der hat `nen Vogel!  Ab nach Königslutter. Aber ist so eine Macke, so ein Spleen, so ein kindisches, aber absolut harmloses Verhalten wirklich so schlimm, dass man jemanden ausgrenzen muss? Lebt es sich nicht viel schillernder und spannender mit den Schrullen der anderen?

In einer immer stärker auf Erfolg und Selbstoptimierung gedrillten Gesellschaft, in der es zuvörderst gilt zu funktionieren, „fallen solche Verschrobenheiten natürlich immer stärker auf“, unterstreicht Dr. Alexander Börger, Vorsitzender der 2007 gegründeten Freien Bühne. „Insofern hat unsere Bearbeitung auch einen Inklusionsaspekt“, so  Börger. Bestenfalls regt die Inszenierung beim Publikum einen Perspektivwechsel an: dass eben nicht alles, was neben der Stromlinie liegt, per se abnorm ist. Und also unter Verschluss gebracht werden muss.

Ohne vorab zu viel zu verraten, sei aber jetzt schon Elwoods umwerfende Lebensphilosophie zitiert: „Man kann auf zwei Wegen gut durch das Leben kommen, entweder man ist sehr schlau oder sehr freundlich. Früher war ich sehr schlau, nun bin ich sehr freundlich.“ Mit dieser unschuldigen Freundlichkeit entwaffnet er alle, das geht sogar soweit, dass Hase Harvey auch von anderen gesehen wird . . . Aber wir wollen nicht zu viel ausplaudern.

Verraten darf man wohl, dass das Stück Ronald Schober schon sehr lange verfolgt. Mit 14 spielte er im Schultheater eine kleine Nebenrolle in eben diesem Stück. „Es ist gut gebaut, sprachlich geschliffen, die Dialoge sind hervorragend“, schwärmt Schober. Und wenn er es recht bedenkt, war dieses Stück wahrscheinlich seine persönliche Theaterinitialzündung. Sein Abitur baute er zwar dennoch unter anderem mit Chemie als Leistungskurs, „aber analytisches Denken ist auch fürs Theater nie schlecht“. Scheint sich bei der Freien Bühne gleich doppelt zu bewahrheiten, denn Börger ist promovierter Chemiker. Aber weil auch ein Hobby besser gedeiht, wenn es vernünftig betrieben wird, sattelte er noch ein Fernstudium der Kulturwissenschaften drauf.

Wieso eigentlich Theater bei AntiRost? Als wir uns zur Probe verabreden wird der Zusatz klar: Die AntiRostler stellen der Freien  Bühne ihre Räume in der ehemaligen BMA-Maschinenfabrik in Braunschweigs Westen zur Verfügung. Die große Halle ist schon schräg, ein bisschen schaut es so schön  krusselig aus wie vielleicht auch in Elwoods Kopf. Rechts der Platz wo die Nähmaschinen repariert werden, links die Rollstühle, die die Antirostler für Afrika reparieren. Und in der Mitte die Probebühne auf fadenscheinigen Perserteppichen.

Zehn Spieler hat das Stück, alle sind konzentriert dabei. Mit Laien müsse man natürlich anders arbeiten, so Schober im Vorgespräch, man müsse die unter Profis geläufige „Theatersprache entschlüsseln, eine eigene Ebene finden“. Die haben sie hier ganz offenkundig gefunden! Alle sind bestens vorbereitet, dass sie Spaß haben, muss niemand sagen. Man sieht es. „Ronald hat einfach den Blick“, flüstert Börger mir zu. Schober geht in den Szenen immer wieder mal dazwischen, macht vor, zeigt Alternativen.

„Es kann einem schon der Appetit vergehen mit einem großen weißen Hasen am Tisch“, jammert Elwoods Schwester Veta, bald selbst schon aufgelöst zwischen Wahn und Wirklichkeit. Da muss man natürlich kichern. Und dann lese ich auf einer Tafel, die kein Requisit ist: „Was sollten alte Menschen für Eure Zukunft tun?“ Darunter hat jemand ganz klein geschrieben: lieb sein. Das könnte man glatt für Elwood adaptieren: Seid doch einfach lieb zueinander. Trotz aller Macken. Oder gerade wegen!

Premiere am 22. Oktober, 19.30 Uhr Brunsviga in Braunschweig

Weitere Vorstellungen: 23. Oktober, 16 Uhr, Brunsviga; 29.10 Oktober, 19.30 Uhr, Kulturpunkt West in Braunschweig; 30. Oktober 16 Uhr Kulturpunkt West.
Gefördert von der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz (SBK)
Unterstützt vom Amateurtheaterverband Niedersachsen

www.ronaldschober.de

www.freie-buehne-braunschweig.de

Fotos

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