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Ein paar Punkte machen den Unterschied

Faksimile Abdankungsurkunde und Porträt Richard Schwedhelms. Foto: Schlossmuseum
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Besucher der Ausstellung „Revolution. Abdankung. Schloss.“ findet im Nachlass seines Großvaters ein Faksimile der Abdankungsurkunde von Herzog Ernst August und vergleicht das Dokument mit dem Original im Schlossmuseum.

Die Abdankungsurkunde von Herzog Ernst August von Braunschweig und Lüneburg vom 8. November 1918 ist zweifellos das Hauptexponat der Sonderausstellung „Revolution. Abdankung. Schloss.“ im Schlossmuseum, die noch bis zum 25. August zu sehen ist. Das Dokument hat nicht nur enorme historische Bedeutung, weil es sich im Land Braunschweig um die erste Abdankung eines Monarchen im Kaiserreich handelte, sondern auch eine verworrene kriminalistische Geschichte, die sich erst in den 1950er Jahren aufklärte. Seither wird die Abdankungsurkunde als Symbol für  die Demokratie und den friedlichen Machtwechsel nach dem Ersten Weltkrieg im Niedersächsischen Landesarchiv, Standort Wolfenbüttel, verwahrt.

Die Berichterstattung über die Ausstellung und die Abbildung der Abdankungsurkunde führte Harald Schwedhelm ins Schlossmuseum. „Das in der Zeitung abgebildete Dokument ähnelte stark einem Blatt aus dem Nachlass meines Großvaters Richard“, schildert der 61-jährige. Um das geerbte Dokument mit dem Original zu vergleichen, besuchte er die Sonderausstellung. Tatsächlich handelt es sich bei dem Schriftstück um ein Faksimile der Abdankungsurkunde.

In der Begleitbroschüre zur Ausstellung wird berichtet, dass bereits kurz nach der Abdankung des Herzogs Faksimiles angefertigt und in Umlauf gebracht worden waren. Die Abordnung der Arbeiter und Soldaten hatte die Urkunde auf dem Weg zum Schloss im Regierungsgebäude von der Tochter eines Kanzleidieners auf einer Schreibmaschine in aller Eile tippen lassen. Original und Faksimile sind übrigens nicht komplett identisch. Es sind ein paar Punkte unter einer Unterschrift, die den Unterschied ausmachen.

Revolutionsführer August Merges hatte auf der Urkunde zunächst seine Unterschrift  gestrichen. So ist es auf dem Faksimile zu sehen. Später hat Merges die Streichung auf dem Original mit einer Unterpunktion wieder rückgängig gemacht. Das zeigt das Original. Die Gründe, weshalb Merges seinen Namen wieder durchstrich, sind unklar. Eine Version: Ernst August habe gefordert, nur einem Militärangehörigen gegenüber abzudanken. Der Vorsitzende des Soldatenrates Paul Zander, der jedoch nicht der Delegation im Schloss angehörte, hatte bereits unterzeichnet.

Spannend ist auch die weitere Geschichte der Abdankungsurkunde. In der Begleitbroschüre heißt es: Nachdem das Original in Folge der Revolutionstage zunächst verschwunden war, wurde es zwei Jahre später zum Kauf angeboten. Es sei in der Nähe von Hannover versteckt, berichtete der Kontaktmann Walter Sitzmann, der in Stendal wegen Postraubs und Sittlichkeitsverbrechen in Untersuchungshaft saß. Er würde die Urkunde beschaffen können und erwarte dafür mindestens 300.000 Mark.

Sitzmann bot an, nach Braunschweig zu fahren und die Urkunde von August Merges zu besorgen. Merges verweigerte allerdings ein Treffen. Nach langem Zögern erklärte er jedoch, er sei tatsächlich zeitweise im Besitz der Urkunde gewesen, jetzt sei sie jedoch an sicherer Stelle verwahrt. Am 11. Januar 1921 wurde schließlich gegen August Merges Anklage erhoben, sich im Laufe der Jahre 1919 und 1920 in Braunschweig die Abdankungsurkunde des Herzogs Ernst August von Braunschweig rechtswidrig angeeignet zu haben. Diese müsse als Eigentum des Braunschweigischen Staates im Landeshauptarchiv aufbewahrt werden.

August Merges sagte aus, er habe nicht die echte Urkunde, sondern einen Nachdruck zum Kauf angeboten. Das echte Dokument sei ihm von Friedrich Wümming, einem wegen Betrugs und gewinnsüchtiger Urkundenfälschung vorbestraften Kaufmann, gestohlen worden. Am 1. März 1922 wurde das Verfahren eingestellt. Die Tat fiel unter das Amnestiegesetz vom 11. Januar 1922, das die Vorgänge der Novembertage straffrei stellte.

1953 übergab schließlich der Sohn von August Merges die Urkunde dem Staatsarchiv in Wolfenbüttel, wo sie noch heute aufbewahrt wird. Für die Ausstellung im Schlossmuseum wurde sie durch das Niedersächsische Landesarchiv, Standort Wolfenbüttel, als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Die Abdankungsurkunde kehrte damit an ihren Ursprungsort, dem Residenzschloss Braunschweig, zurück.

Wie das Faksimile in den Besitz seines Großvaters Richard Schwedhelm (1891-1972) kam, kann Harald Schwedhelm nur mutmaßen: Sein Großvater, so berichtet er, sei der Monarchie gegenüber skeptisch eingestellt gewesen. Auf seinem Lehrvertrag habe er beispielsweise seine eigenen finanziellen Mittel mit denen des Kaisers verglichen. Diese Haltung könnte ein Grund für den Kauf der Reproduktion gewesen sein.

Die Begleitbroschüre ist im Schlossmuseum Braunschweig erhältlich.

Kontakt:

Schlossmuseum Braunschweig
Schlossplatz 1
38100 Braunschweig

Telefon: 0531-470-4876

Öffnungszeiten:

Dienstag 10 – 17 Uhr
Mittwoch 13 – 20 Uhr
Donnerstag bis Sonntag 10-17 Uhr
Eintritt: 4 Euro inkl. Audioguide-Führung

Fotos

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