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Technikerverein pflegt Traditionen

Die Herrenabende sind Teil der Tradition des Technikervereins. Foto: Peter Sierigk
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Fachverband existiert seit 1887, sorgt für Fortbildung, vergibt Stipendien und legt Wert auf Geselligkeit.

Der Tradition verbunden, dem Fortschritt verpflichtet, so könnte man die Identität des „Techniker Vereins Braunschweig von 1887″ in Kurzform fassen. Der Verein gehört zu den wenigen Fachverbänden, die auf eine so lange Geschichte zurückschauen können – und zu einem der letzten seiner Art in Deutschland. In Braunschweig gibt es noch den „Club Glühlicht – Fachverein der Klempnerinnung“, der 1903 gegründet wurde. Beide Vereine haben ihre Wurzeln in der Erkenntnis, dass über den Vereinszweck der Fortbildung und der gegenseitigen Unterstützung hinaus der gesellige Gedanke nicht zu kurz kommen darf. So pflegen die beiden Braunschweiger Fachvereine ihre Traditionen bis in die heutigen Tage.

Der Technikerverein steht alljährlich im Fokus des öffentlichen Interesses, wenn im November zum „Herrenabend mit Eisbeinessen“ eingeladen wird. Seit 1887 wird diese Tradition gepflegt. Die Karten sind ähnlich begehrt wie die Premieren-Tickets für die Festspiele in Bayreuth. Nicht frei verkäuflich muss man schon ein Mitglied des Vereins sein, oder zumindest eines kennen, das Gästekarten zur Verfügung hat. Mehr als 900 Gäste wurden beim 128. Herrenabend 2015 in der Braunschweiger Stadthalle gezählt. Es waren wieder Teilnehmer aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden, Politik und Verwaltung.

Der Ablauf des Abends ist seit Beginn der gleiche. Es wird fröhlich Bier getrunken, es werden volkstümliche Lieder – aus voller Brust – gesungen und es wird Eisbein mit Erbspüree, Sauerkraut und Salzkartoffeln aufgetragen. Bei mehr als 900 Portionen liegt der Ehrgeiz des Service-Personals dabei auf dem Fokus, die Speisen in einer Zeit unterhalb von 10 Minuten auf allen Tischen platziert zu haben – es klappt.

Zu jedem Herrenabend gehören das Liederheft mit aktuellen Karikaturen sowie seit vielen Jahren die Original Leine-Bergländer aus Banteln, die den musikalischen Rahmen für Essen und Gesang bieten.

Doch der Herrenabend ist nur ein kleiner Teil des Wirkens des Technikervereins. Er ist die Spitze des Eisbergs, die öffentlich wahrgenommen wird. Über die geselligen Elemente des Vereins hinaus widmen sich die derzeit 140 Mitglieder der Nachwuchsförderung, laden zu Fachvorträgen, Exkursionen und Betriebsbesichtigungen ein. Die alljährliche Vergabe von Stipendien an Studenten der Technischen Universität sind ein Teil dieses Wirkens, aber auch Spenden für soziale oder kulturelle Zwecke.

Ähnlich stringent wie die Vergabe der Herrenabend-Eintrittskarten ist übrigens der Aufnahmeritus. Es können nur Personen Vereinsmitglieder werden, die sich in besonderer Weise der Region Braunschweig verbunden fühlen und durch ihre Tätigkeit technischen Berufen nahe stehen. Sie werden vom Vorstand „auf Herz und Nieren“ geprüft, bevor sie berufen werden – und eine fünfjährige Probezeit antreten müssen.

Als 1887 mit einer Anzeige (siehe Abbildungen) die sehr geehrte Technikerschaft höflichst eingeladen wurde, im Restaurant zu den „Sieben Thürmen“ an einer Besprechung behufs Gründung eines Zweigvereins des Deutschen Technikerverbands teilzunehmen, fanden sich 19 Techniker und Ingenieure zur Gründung des Technikervereins Braunschweig zusammen. Dabei ging es den Technikern um die „Förderung der Fachbildung und der Pflege des Standesbewusstseins“. Wie in der Chronik des Vereins zum 126-jährigen Bestehen zu lesen ist, wurde die Geltung ihres Berufsstandes ihrer Meinung nach gering geschätzt und hat im 19. Jahrhundert mit den erheblichen Fortschritten der technischen Entwicklung und der eigentlichen Bedeutung der Berufsgruppe nicht mitgehalten. Erstes Ziel war es, den gesellschaftlichen Status des eigenen Berufsstandes in der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung in der Öffentlichkeit anzuheben und diesem deutlich mehr Geltung zu verschaffen, denn „im Lande der Dichter und Denker wurde jede Bildung, die nicht auf dem Grunde des humanistischen Gymnasiums gewachsen war, gering geachtet…(es) haftete, selbst wenn er es in seiner Tätigkeit zum Wohlstand brachte, immer noch der Geruch des Handarbeiters, des Schlossers oder Maurers an.“

Schon um die Jahrhundertwende hatte der Verein mehr als 100 Mitglieder, zu denen nun auch Selbstständige aus technischen Berufen gehörten. Neben der Förderung der Fachbildung sowie der Stellenvermittlung gewannen soziale Gesichtspunkte immer größeres Gewicht. Das dokumentiert die Einführung einer Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung für Techniker und Ingenieure durch den Dachverband, den Deutschen Ingenieurverein.

Die Herrenabende waren von Beginn an fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens des Vereins. Karikaturen in alten Liederheften zeigen, dass es feuchtfröhlich zuging. So sieht man den Vorstand des Vereins, der trunkene Mitglieder daheim abliefert, die erboste Gattin am Fenster fragen, welches denn der Ihre sei.

Die NS-Zeit „überlebte“ der Technikerverein ohne die damals übliche Gleichschaltung mit NS-Organisationen, so dass das Vereinsleben schon gleich nach dem Krieg langsam wieder Fahrt aufnehmen konnte. An Eisbeinessen war in der Zeit des Hungers und der Essensmarken nicht zu denken. Wie der heutige 1. Vorsitzende, Sven Hansmeier erzählt, entstand in dieser Zeit eine neue Tradition, die bis heute gepflegt wird: das Wurstessen. Man habe sich nach dem Krieg in der Gaststätte „Mutter Habenicht“ auf „ein Bier“ getroffen. Schlachtermeister Hermann Diers habe heimlich Wurst mitgebracht, die „unter dem Tisch“ gegessen wurde. Das Wurstessen gibt es heute noch, allerdings darf die Wurst inzwischen auf dem Tisch stehen.

Mit seinen vielfältigen Aktivitäten auf gesellschaftlichen, sozialem und dem Gebiet der Weiterbildung dient der Technikerverein nicht nur der Traditionspflege und sondern auch der Identitätsbildung des Braunschweiger Landes.

Fotos

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