Gewalt gegen Frauen – „Täter müssen ins Boot geholt werden“

Gudrun Meurer-Hageroth geht nach 19 Jahren als Leiterin des Braunschweiger Frauenhauses in den Ruhestand. Foto: Philipp Ziebart/BestPixels.de
Gudrun Meurer-Hageroth geht nach 19 Jahren als Leiterin des Braunschweiger Frauenhauses in den Ruhestand. Foto: Philipp Ziebart/BestPixels.de

Gudrun Meurer-Hageroth hat 19 Jahre lang das Braun­schweiger Frauen­haus geleitet. Sie geht in den Ruhestand und spricht über ihre Arbeit.

19 Jahre hat Gudrun Meurer-Hageroth das Braun­schweiger Frauen­haus geleitet. Ende des Jahres verab­schiedet sich die 64-Jährige in den Ruhestand. „Mein Ziel war es immer, Frauen zu stärken“, sagt die Wahl-Braun­schwei­gerin im Gespräch mit Redak­teurin Bettina Thoenes.

Frau Meurer-Hageroth, zuletzt haben wir uns im September hier im Frauen­haus getroffen, weil eine Mutter mit ihren sechs Kindern dringend, aber erfolglos eine Wohnung gesucht hat. Konnte die Familie inzwi­schen aus dem Frauen­haus ausziehen?

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 28.11.2019 (Bezahl-Artikel)

Nein, sie wohnt immer noch bei uns. Bisher hat sich kein Vermieter bereit erklärt, der Familie eine Wohnung zur Verfügung zu stellen. Eine Wohnung in der Region wäre optimal gewesen, aber der Vermieter hat sein Angebot ohne Begrün­dung zurück­ge­zogen. Die Mutter ist ziemlich frustriert. Es liegt an den vielen Kindern, das finde ich ein bisschen traurig für Deutsch­land. Ich möchte noch einmal an Vermieter appel­lieren: Ich finde die Frau wirklich klasse, und sie ist in einer Notsi­tua­tion.

Was bedeutet der schwie­rige Wohnungs­markt für das Braun­schweiger Frauen­haus?

Die Frauen bleiben im Schnitt vier bis sechs Monate bei uns, bis sie eine Wohnung gefunden haben. Ohne die Wohnungsnot wären es in der Regel um die drei Monate. So lange brauchen die Frauen, um anzukommen, ihre Krise zu bewäl­tigen und sich zu stabi­li­sieren. Die Mutter lebt mit ihren sechs Kindern seit Februar im Frauen­haus und belegt zwei der zehn Plätze.

Noch als Studentin haben Sie in Hildes­heim Anfang der 1980er-Jahre das dortige Frauen­haus mitge­gründet. Nach beruf­li­chen Abste­chern in andere Bereiche der sozialen Arbeit haben Sie vor 19 Jahren die Leitung des Braun­schweiger Frauen­haus übernommen.

Es gab diese Stellen­an­zeige, und da hab ich gedacht: Das ist ja doch die Arbeit, die ich machen möchte. Ich komme aus der Frauen­be­we­gung, das Problem der Gewalt gegen Frauen war für mich deshalb immer präsent. Ende der 1970er-Jahre wurden aus dieser Bewegung heraus die ersten Frauen­häuser gegründet. In Hildes­heim, wo ich Soziale Arbeit studiert habe, haben wir als Studen­tinnen ein solches Projekt zum Laufen gebracht. Wir waren ziemlich unbedarft und eupho­risch, haben mit Geldern vom Landkreis erstmal eine große Wohnung angemietet, die ziemlich schnell voll belegt war. Damals haben wir mit den Frauen in Nacht-und-Nebel-Aktionen, wenn die Männer nicht zu Hause waren, sogar komplette Umzüge gestemmt, samt Wasch­ma­schine und allem. So etwas würden wir heute nicht mehr machen. Da war eigent­lich nicht angemessen. Den Sinn meiner Arbeit habe ich immer darin gesehen, die Frauen zu stärken.

Seither hat sich viel bewegt. 2002 trat das Gewalt­schutz­ge­setz in Kraft. Was hat sich verbes­sert?

Positiv ist, dass von häusli­cher Gewalt betrof­fene Frauen die Möglich­keit haben, in ihren Wohnungen zu bleiben – und die Männer gehen müssen. Damals hat das die Frage aufge­worfen, ob Frauen­häuser überflüssig werden, aber es hat sich gezeigt, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Mit der öffent­li­chen Thema­ti­sie­rung häusli­cher Gewalt sind auch die Frauen­häuser bekannter geworden. Zu uns kommen Frauen, die nicht in ihren Wohnungen bleiben möchten, weil die Angst zu groß ist. Manche fürchten um ihr Leben. Frauen­häuser bieten Schutz, Anony­mität und einen hohen Sicher­heits­stan­dard.

Was beschäf­tigt Frauen, die vor gewalt­tä­tigen Partnern ins Frauen­haus flüchten?

Die Kernthemen haben sich im Laufe der Jahre eigent­lich nicht geändert. Die Frauen fragen sich: Wie lange halte ich die Gewalt aus? Habe ich selbst Schuld daran, wo sind meine Anteile?

Wie beraten Sie die Frauen?

Es geht vor allem darum, ihr Selbst­wert­ge­fühl aufzu­bauen. Das ist das Tolle an dieser Arbeit: Wir bemerken, dass alle Frauen eine ganz große Kraft in sich tragen. Für uns gilt: Wir unter­stützen immer den Willen der Frauen. Wollen sie zu ihrem Partner zurück­kehren, zeigen wir auf, was passieren kann und dass sie jederzeit wieder­kommen können. Gefühlt kehren etwa 20 Prozent der Frauen zu ihrem Partner zurück, die übrigen trennen sich. Früher war es mehr als ein Drittel, das zum Partner zurück­kehrte.

Gibt es da nicht zuweilen einen Drehtür-Effekt?

Der hat mit dem gestie­genen Selbst­be­wusst­sein von Frauen und den Möglich­keiten, ihren eigenen Weg zu gehen, auf alle Fälle abgenommen. Frauen, die noch wie vor zehn Jahren drei- bis vielmal ins Frauen­haus zurück­kehrten, weil sie immer wieder Opfer von häusli­cher Gewalt wurden, sind seltener geworden – weil sie seltener zum Partner zurück­gehen.

Was passiert nach Ihrer Erfahrung, wenn sich eine Frau immer wieder auf ihren gewalt­tä­tigen Partner einlässt?

Ich kann ganz klar sagen: Dann nimmt die Gewalt zu. Es kommt zu einer Gewalt­spi­rale. Auf Honeymoon-Phasen mit Reue und Entschul­di­gungen folgen immer schneller und immer stärkere Gewalt­aus­brüche, weil sich der Partner nicht steuern kann. Anfangs haben die Frauen noch Hoffnung, doch irgend­wann kommt der Punkt, an dem es immer massiver und bedroh­li­cher wird.

Es heißt: Arbeit mit Tätern ist der beste Opfer­schutz. Wie stehen Sie zu der Täter­be­ra­tungs­stelle bei häusli­cher Gewalt, die in Braun­schweig gerade ihre Arbeit aufge­nommen hat?

Für die Täter­be­ra­tungs­stelle habe ich mich sehr einge­setzt. Die Unter­stüt­zung der Frauen ist wichtig, aber wenn sich grund­le­gend etwas ändern soll, müssen auch die Täter in die Verant­wor­tung genommen werden und ein Bewusst­sein für das entwi­ckeln, was sie tun. Oft kommen diese Männer aus Verhält­nissen, in denen sie selbst unter Gewalt gelitten haben. Ihr Verhalten entsteht ja aus dem Gefühl von Schwäche und Hilflo­sig­keit. Fehlt es an Selbst­wert­ge­fühl und innerer Stärke, wird Macht gegenüber Schwä­cheren ausgeübt. Viele sind extrem eifer­süchtig. Dahinter verbirgt sich eine ganz große Angst. Präven­tion etwa in Schulen finde ich deshalb gut: Es ist entschei­dend, schon Mädchen und Jungen in ihrer Persön­lich­keit zu stärken.

Wie könnte der Opfer­schutz aus Ihrer Sicht noch verbes­sert werden?

Es muss gesell­schaft­lich klar benannt werden, dass sich auch die Täter mit ihrem Verhalten ausein­an­der­setzen müssen. Sie müssen mit ins Boot geholt werden. In den Nieder­landen werden offene Konzepte erprobt, die ich zusätz­lich zu den bestehenden anonymen Frauen­häu­sern für absolut wichtig halte: Unter öffent­lich bekannten Adressen wird dort einer­seits Schutz vor häusli­cher Gewalt geboten, anderer­seits aber auch Paar- und Täter­be­ra­tung. So könnten Gewalt­kreis­läufe durch­bro­chen werden.

Deutsch­land hat die Istanbul-Konven­tion des Europa­rats ratifi­ziert und sich damit rechts­ver­bind­lich zu einem besseren Schutz vor häusli­cher Gewalt verpflichtet. Danach bräuchte Braun­schweig 25 statt 10 Frauen­haus-Plätze.

Laut unserer Statistik der letzten drei Jahre müssen wir jedes Jahr 130 bis 140 Frauen abweisen, weil Plätze fehlen. Ab Januar bekommen wir zusätz­lich zu den 10 Plätzen eiAuch die Täter ne Übergangs­woh­nung, so dass sich die Situation ein bisschen entspannen wird. Hilfreich ist auch ein Ampel­system für Frauen­häuser, das ganz gut funktio­niert: Seit Sommer melden die Häuser ihre aktuellen Kapazi­täten. Nun können wir Frauen gezielt dorthin weiter­ver­weisen, wo noch Plätze frei sind.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 28.11.2019 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article227767175/Gewalt-gegen-Frauen-Taeter-muessen-ins-Boot-geholt-werden.html (Bezahl-Artikel)

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