Gibt es in Deutsch­land zu viele Stiftungen?

Stiftungs-Funktionärin Kirsten Hommelhoff im Interview über Herausforderungen bei der Stiftungsarbeit. Foto: Bernward Comes / Braunschweiger Zeitung

Sie weiß, wo Stiftern der Schuh drückt. Ein Interview mit der General­se­kre­tärin des Stiftungs­ver­bands, Kirsten Hommel­hoff.

Draußen paradiert die Sonne selbst­be­soffen über den Löwenwall. Drinnen, im Haus der Braun­schwei­gi­schen Stiftungen, Fachge­spräche über die verdienst­vollen Einrich­tungen, die das Haus im Namen trägt. Was lebens­pralle Sprache angeht, ist so ein Exper­ten­talk natürlich ein schwie­riger Fall. Um den entspre­chenden Jargon spiele­risch zu verdichten, sage ich jetzt mal: Schön wäre eine zielgrup­pen­spe­zi­fisch vernetzte, nachhal­tige Engage­m­ent­land­schaft!

Höhö. Aber natürlich muss selbst der Spötter zugeben, dass Stiftungen ein Riesen­thema sind. Viele Menschen geben viel Geld für viele gute Sachen. Deutsch­land ist auch ein großes Stift­er­land.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 12.05.2022 (Bezahl-Artikel)

Zu Gast bei den Stiftungs­exper­tinnen und ‑experten unserer Region war eine Frau, die das sehr gut beurteilen kann: Kirsten Hommel­hoff, seit zwei Jahren General­se­kre­tärin des Bundes­ver­bandes deutscher Stiftungen. In den Räumen der Bürger­stif­tung gab sie unserer Zeitung ein Interview.

Im vorigen Jahr entstanden in Deutsch­land 863 Stiftungen. Also, wenn man so will, zweiein­halb an jedem Tag. Finden Sie die Zahl toll – oder eher beängs­ti­gend?

Wir freuen uns sehr über diesen Zuwachs, den größten seit zehn Jahren. Stiftungen sind so wichtig für die Gesell­schaft. Stiftungen tun Gutes. Es ist schön, wie viele Menschen sich dazu entschließen, eine Stiftung zu gründen. Aber Stiftungen brauchen auch gute Rahmen­be­din­gungen. Das ist unser Auftrag. Und das ist derzeit nicht so einfach. Stiftungen mit einem kleineren Kapital – sagen wir: zwischen 100.000 Euro und einer Million – haben aufgrund der Niedrig­zins­phase und der Geldent­wer­tung zum Teil immense Schwie­rig­keiten, Projekte zu finan­zieren und ihren Stiftungs­zweck zu erfüllen. Die meisten Stiftungen sind ja „Ewigkeits­stif­tungen“, die bestehen also für immer und dürfen nur die Kapital­erträge oder Umschich­tungs­ge­winne ausgeben. Nur die Stiftungen, die wir „Verbrauchs­stif­tung“ nennen, dürften auch das der Stiftung zugrun­de­lie­gende Vermögen verbrau­chen.

Wenn Sie Rahmen­be­din­gungen erwähnen, meinen Sie sicher auch das Stiftungs­recht. Das ist nach jahre­langer Beratung im vorigen Jahr refor­miert worden. Können Sie Nicht-Juristen kurz erklären, was jetzt anders ist bzw. wird?

Das Stiftungs­recht ist bundes­weit verein­heit­licht und verein­facht worden, das sind die beiden wesent­li­chen Vorteile. Es ist künftig leichter, den Stiftungs­sitz zu verlegen. Es wird Stiftungen auch einfacher möglich sein, sich zusammen zu tun. Das ist für kleine, womöglich notlei­dende Stiftungen unter Umständen eine sehr gute Idee. Außerdem wurde beschlossen, dass wir 2026 ein Stiftungs­re­gister bekommen. Zuletzt gilt bald eine Regelung, der zu folge die leitenden Personen in Stiftungen – wenn ein Fehler passiert ist – nicht persön­lich haften, wenn sie nachweisen können, dass sie zum fragli­chen Zeitpunkt davon ausgehen durften, dass alles recht­mäßig abläuft. Auch das ist ein Erfolg. Nicht durch­setzen konnten wir eine Idee in der Richtung „Stiftung auf Zeit“, das wäre für viele jüngere Gründe­rinnen und Gründer inter­es­sant gewesen.

Stiftungen finden alle gut. Niemand kann ja etwas dagegen haben, dass Menschen ihr womöglich sauer verdientes Geld gemein­nützig inves­tieren. Woran hakt es überhaupt aus Ihrer Sicht?

Wichtig ist, dass sich der bürokra­ti­sche Aufwand in Grenzen hält. Man vergesse nicht: In vielen Stiftungen wird ehren­amt­lich gearbeitet. Trotz des Gebots, dass alles klar und rechts­si­cher ist: Ich kenne Klagen von Leuten, die sagen, dass ihnen Anträge und Formulare über den Kopf wachsen oder dass es so furchtbar lange dauert, bis die Stiftung wirklich gegründet ist. Die Bundes­länder, die ja bei der Gründung und bei der Aufsicht die entschei­dende Rolle spielen, sind derzeit damit befasst, die Stiftungs­rechts­re­form in Landes­ge­setze zu überführen. Wir möchten unter anderem verhin­dern, dass Stiftungen immer einen Jahres­ab­schluss erstellen müssen, der für viel Geld erst noch durch einen Wirtschafts­prüfer geprüft werden muss. Genau so etwas meine ich nämlich mit bürokra­ti­schem Aufwand. Wir wünschen uns eine niedrig­schwel­lige Stiftungs­kultur. Entschei­dend ist die Grundidee: Die Stifterin oder der Stifter definiert einen Zweck und sagt „Ich möchte, dass genau dies über meinen Tod hinaus gefördert wird …“.

Apropos Bundes­länder: Die deutsche Stiftungs­land­schaft hat eine West-Schlag­seite. In Hessen und in Hamburg gibt es pro Kopf besonders viele. Liegt man richtig, wenn man davon ausgeht, dass dies mit der Anzahl wohlha­bender Menschen zusam­men­hängt?

Ja, das mag ein entschei­dender Faktor sein. Doch da wir hier in den schönen Räumen der Braun­schweiger Bürger­stif­tung sitzen, lässt sich natürlich auch feststellen, dass man nicht schwer­reich sein muss, um sich einzu­bringen. Man kann dies auch mit guten Ideen oder mit ehren­amt­li­chem Engage­ment tun. Die Bürger­stif­tung ist insofern ein wunder­bares Konstrukt. Dass es in Ostdeutsch­land relativ wenige Stiftungen gibt, hat sicher neben der histo­risch bedingten Vermö­gens­un­gleich­heit zwischen Ost und West damit zu tun, dass sich derartige bürger­schaft­liche Engage­ment­struk­turen dort 40 Jahre nicht entfalten konnten. Umso erfreu­li­cher sind solche Beispiele: Der Zalando-Gründer Rubin Ritter hat sich mit seiner Stiftung jetzt ganz bewusst für Thüringen entschieden. Unser Verband lädt zum Deutschen Stiftungstag in diesem Jahr übrigens nach Leipzig ein, vom 28. bis 30. September. Schwer­punkt diesmal: Nachhal­tig­keit.

Vom ehema­ligen nieder­säch­si­schen Minis­ter­prä­si­denten Gerhard Glogowski war im Namen Braun­schwei­gi­scher Stiftungen schon mal der Satz „Wir sind kein Geldau­tomat“ zu hören. Gemeint ist wohl: Es gibt keine Abos, wir wollen nicht stumpf vor uns hinför­dern. Etwas kriti­scher noch ließe sich hier die Frage anschließen, ob das nicht ein Problem ist, wenn Stiftungen Aufgaben übernehmen, die nach tradi­tio­nellem Verständnis dem Staat zukommen. Ändert sich da etwas grund­sätz­lich? Gibt es Kommunen, die sich mit Verweis auf all die schönen Stiftungen zurück­ziehen? Gibt es eine Art Ameri­ka­ni­sie­rung?

Nein, das glaube ich nicht. Die USA haben ein ganz anderes gesell­schafts­po­li­ti­sches und sozial­staat­li­ches Grund­ver­ständnis, davon sind wir weit entfernt. Stiftungen sollten mit der Politik und den Kommunen Hand in Hand gehen. Und genau das beobachte ich auch in vielen Regionen. Um ein Beispiel aus dem Ruhrge­biet zu geben: Bei der Stiftung Mercator, für die ich früher gearbeitet habe, gab es die Idee, wissen­schaft­liche Studien zur Lösung des Klima­wan­dels zu finan­zieren, um der Politik verschie­dene Lösungs­an­sätze aufzu­zeigen. Wohlge­merkt nicht, um der Politik die Entschei­dung abzunehmen – das ist natürlich nicht die Aufgabe von Stiftungen. Aber das kann sich wunderbar ergänzen, ich sehe hier keine grund­sätz­li­chen Probleme.

Wunderbar ist vieler­orts das bürger­schaft­liche Engage­ment für Flücht­linge aus der Ukraine. Da haben sich Stiftungen sicher auch nicht lumpen lassen, oder?

Das können Sie laut sagen! Es wird unglaub­lich viel getan. Wir haben sofort drei, vier Veran­stal­tungen auf die Beine gestellt, um einer Kernauf­gabe von uns als Verband nachzu­kommen: den Austausch von Ideen und Erfah­rungen zu fördern. Da geht es oft um prakti­sche Fragen: Was da geklappt hat, funktio­niert wahrschein­lich auch dort. Wer kennt sich aus? Welche Akteure verdienen Vertrauen? Oder auch: Mit welchen Insti­tu­tionen, mit welchen Banken in Russland und Belarus soll man noch zusam­men­ar­beiten, wenn Stiftungen die russische oder belarus­si­sche Zivil­ge­sell­schaft fördern wollen? Können wir auch die humani­täre Arbeit in Polen unter­stützen?

Im Wort „Stiftungs­land­schaft“ steckt ja schon die Verschie­den­ar­tig­keit dieser Gruppe, deren Inter­essen Sie generell zu vertreten haben. Plump gefragt: Geht das überhaupt?

Ja, es gibt Themen, die fast alle angehen: die Fragen nach dem recht­li­chen Rahmen, nach Steuern natürlich. Doch die Hetero­ge­nität ist tatsäch­lich immer wieder erstaun­lich. Ich denke etwa an die Fugger-Stiftungen in Augsburg, die sage und schreibe fünfhun­dert Jahre alt sind. Oder nehmen wir die Sozial­un­ter­neh­mens-Stiftungen, die sind zum Beispiel Träge­rinnen von Heimen oder Kitas, aber selbst kaum zu sehen. Sie übernehmen sehr, sehr wichtige Aufgaben für unsere Gesell­schaft. Zugleich tauchen junge Stifte­rinnen und Stifter auf, die ihr Geld jetzt einbringen wollen und auch möglichst bald schon sehen möchten, was dabei heraus­kommt. Auch für die muss die Rechts­form Stiftung attraktiv sein. Und alle, das ist ja auch wieder etwas Verbin­dendes, haben große Wertschät­zung verdient.

Bekommen Sie die denn auch? Stiftungen sieht man ja nicht, die laufen einem ja nicht auf der Straße über den Weg …

Das ist so. Vor Jahren haben wir eine Umfrage in Auftrag gegeben, um etwas über die Bekannt­heit von Stiftungen heraus­zu­be­kommen. Ergebnis: Am bekann­testen ist die „Stiftung Warentest“, die aber als Gründung des Bundes­tags keine typische Stiftung ist. Deshalb weise ich so oft und so gern darauf hin, wie breit die Palette ist, wie schnell und wie großartig viele Stiftungen helfen. Und wie viel ärmer unsere Gesell­schaft ohne sie wäre.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 212.05.2022 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article235323493/Gibt-es-in-Deutschland-zu-viele-Stiftungen.html (Bezahl-Artikel)

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