Gerd Winner zeigt neue aurati­sche Werke in Braun­schweig

Gerd Winner (links) mit Landeskirchensprecher Michael Strauss vor der Werkgruppe „Arrival – Ankunft“ im Altarraum von St. Foto: Klaus G. Kohn

In der Schau „Cross­roads“ des renom­mierten Lieben­burger Künstlers in St. Andreas werden Metro­polen zu visio­nären Zeichen­ge­flechten.

Massige Häuser­blocks, Wolken­kratzer, die sich aus der Fußgän­ger­per­spek­tive bedroh­lich zu neigen scheinen, histo­ri­sche Monumente, Straßen­fluchten, Werbe­banner, Schilder, Stahl­kon­struk­tionen. In der Kunst von Gerd Winner abstra­hieren, verdichten und überla­gern sich städti­sche Struk­turen. Sie bilden neue Formen und Geflechte, werden ihrer ursprüng­li­chen Funktion entrückt und zeichen­haft. Mittels Siebdruck und Misch­tech­niken formt sich aus Fotogra­fien und Erinne­rungen eine neue über-natür­liche Kunst­wirk­lich­keit, faszi­nie­rend, vieldeutig, rätsel­haft.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 20.03.2024

Aktuell ist das in der Braun­schweiger St. Andre­as­kirche zu erleben, wo der vielfach ausge­zeich­nete Maler und Grafiker in Zusam­men­ar­beit mit der Landes­kirche Braun­schweig die Ausstel­lung „Cross­roads – Spuren und Zeichen“ zeigt. Mehr als 40 großfor­ma­tige Werke des gebür­tigen Braun­schwei­gers, der seit langem auf Schloss Lieben­burg lebt und arbeitet, füllen das Kirchen­schiff. Einige sind erst in jüngerer Zeit entstanden. Sie kennzeichnen kantige Schrift­züge, die quer über die Motive laufen, sie regel­recht durch­kreuzen: „Exodus“, „Babylon“, „Apoka­lypse“ und „Passion“ etwa.

Die christ­li­chen Bezüge im Werk Gerd Winners

Die christ­li­chen Bezüge sind kein Zufall. „Die Bücher der Bibel und das Testament Christi bleiben ein Fundus für meine existen­ti­ellen Anfragen an unsere Gegenwart“, sagt Winner im Gespräch mit Landes­kir­chen­spre­cher Michael Strauss, das im hochwer­tigen Ausstel­lungs­ka­talog abgedruckt ist.
Der 87-jährige Künstler erläutert darin auch, wie er auf sein Lebens­thema kam, die Reflexion von städti­schen Struk­turen: durch das Trauma des komplett kriegs­zer­störten Braun­schweigs in seinen Kinder­tagen, aber auch durch seine Erfah­rungen im Berlin der 1950er Jahre: „Einem Phönix gleich wuchs neues Leben in der Stadt. Aus der Apoka­lypse erwuchs Hoffnung.“

Das Branden­burger Tor wird zur Sperrzone verdichtet

Gerd Winner: “Exodus”, Misch­technik auf Karton.
Foto: Katalog Gerd Winner

Winner hat zwischen­zeit­lich in London gelebt, auch New York, Tokio und München, wo er als Professor an der Kunst­aka­demie lehrte, kennt er gut. In seinen Werken wimmeln keine Menschen; den Künstler inter­es­sieren nur ihre Schöp­fungen, Infra­struk­turen, Stadt­räume, Gebäude. Die Menschen­leere trägt zu der überzeit­li­chen, mysti­schen Aura seiner Arbeiten bei.
Schemen­haft überla­gern und überblenden sich auf Grund­formen reduzierte New Yorker Hochhäuser in stürzenden und fallenden Linien, in einem magischen Spiel von verdich­teten und ausge­dünnten Schwarz- und Grauwerten. Das Branden­burger Tor zerfällt in seine Bestand­teile, die sich zugleich verviel­fäl­tigen und das Tor in ein undurch­dring­li­ches Geflecht verwan­deln. „No Entry“ und „Passion“ sind diese Sinn-Bilder betitelt.

Der Eindruck von Chaos und Überfor­de­rung

In einigen Werken wird der Eindruck von Chaos und Überfor­de­rung noch durch intensive Farbig­keit verstärkt. Aufschriften wie „Liberty“ und „Utopia“ entfalten gerade dann ihre Wirkung, wenn sie dem bedrän­genden Eindruck der verdich­teten Stadt­struk­turen zuwider­zu­laufen scheinen.
Andere motivisch reduzierte Großfor­mate Winners strahlen eine tiefe Ruhe aus. Und auf einigen finden sich Kreuz­formen, etwa im Schat­ten­riss eines Straßen­schildes oder auch in einer Himmels­lücke, die sich zwischen zusam­men­ra­genden Wolken­krat­zern auftut.

Wie Hanno­ve­raner Lande­bahnen zum Kunstwerk werden

Fesselnd auch die scheinbar abstrakte Werkgruppe „Ankunft“ im Altarraum. Tatsäch­lich handelt es sich um bearbei­tete Impres­sionen von Lande­bahnen des Flugha­fens Hannover, mit dynami­schen, farblich hervor­ge­ho­benen Markie­rungen und Spuren von Reifen­ab­rieb auf grau schim­merndem Beton.

 

Bis 28. April, Mi.-So. 15 bis 17 Uhr. Predigt­reihe zur Ausstel­lung sonntags 10 Uhr (OLK Hofer 14. April, Pfarrer Kumitz-Brennecke 21. April).

 

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