Startseite Heimat & Identität Spektakulärer geht’s kaum

Spektakulärer geht’s kaum

von

Die herausragenden Kirchen im Braunschweiger Land, Teil 4: Der Turm von St. Andreas war 1544 imposante 122 Meter hoch und galt als eines der höchsten Bauwerke der Erde.

Vor der Zerstörung Braunschweigs: der Wollmarkt mit seiner historischen Bebauung. Foto: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege

Wer die 389 Stufen im Südturm der Andreaskirche bewältigt hat, kann den wohl spektakulärsten öffentlich zugänglichen Ausblick über Braunschweig genießen und wird damit für die vorherigen Anstrengungen wahrlich entlohnt. Konkurrieren können mit einem derartigen Heimaterlebnis vielleicht noch Blicke von der Plattform der Quadriga auf dem Schloss oder vom Restaurant „Überland“ aus auf dem Büroturm der Volksbank BraWo am Willy-Brandt-Platz. Seit dem Jahr 2000 ist der Südturm nach erforderlichem Ausbau zur Besteigung freigegeben. Der Freigang direkt unter der barocken Haube liegt in 72 Metern Höhe.

Mehrfach zerstört

Mit seinen heute insgesamt 94,6 Metern Höhe ist der Südturm von St. Andreas der höchste Kirchturm der Stadt. Er war im 16. Jahrhundert mit zwischenzeitlich 122 Metern dank einer verwegenen Holzkonstruktion mit Kupferdach sogar eines der höchsten Bauwerke weltweit. Seit 1544 galt der Südturm von St. Andreas als dritthöchster Turm in Mitteleuropa, übertroffen nur noch vom Straßburger Münster und dem Wiener Stephansdom. Mehrfache Zerstörungen machten später Rückbauten erforderlich.

Blick von oben auf Wollmarkt und Alte Waage. Foto: Nürnberg Luftbild/Hajo Dietz

St. Andreas wurde als Pfarrkirche der Neustadt um 1225/30 errichtet. Erstmals urkundlich erwähnt wurde die Neustadt 1232. Der erste urkundliche Nachweis für die Andreaskirche stammt aus dem Jahr 1290. Grabungen in der Andreaskirche brachten im Jahr 1897 nicht nur neue Erkenntnisse zur Baugeschichte der heutigen Kirche, sondern auch einen Vorgängerbau zu Tage.

Vorgängerbau aus dem 12. Jahrhundert

Blick von der Weberstraße auf St. Andreas. Foto: Der Löwe

„Bei diesem Vorgänger handelte es sich um einen kleinen Sakralbau, der nach dem Schema einer romanischen Dorfkirche angelegt war. Er setzte sich aus einem rechteckigen Westbau, einem einschiffigen Kirchenraum sowie einem quadratischen Chor mit Apsis zusammen. Am Portal des ehemaligen Nordquerarms der heutigen Kirche sind romanische Säulenkapitelle aus der Mitte des 12. Jahrhunderts eingefügt. Sie stammen vermutlich aus dem Bestand dieses Vorgängerbaus“, schreibt Bauhistoriker Elmar Arnhold in seinem Standardwerk „Mittelalterliche Metropole Braunschweig“. St. Andreas war der dritte Nachfolgebau des Doms. Das Buch wurde unter anderem von der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz und der Richard Borek Stiftung gefördert. Es bildet für die Stadtkirchen die Grundlage unserer Serie.

Herzog ließ feuern

Zurück zur imposanten Südturmspitze der Andreaskirche: Sie habe Herzog Heinrich den Jüngeren gereizt, schreibt Bauhistoriker Elmar Arnhold in seinem Standardwerk „Mittelalterliche Metropole Braunschweig“. Der Herzog habe seine Ansprüche auf die Stadt Braunschweig und seinen konfessionellen Gegensatz zur inzwischen protestantischen Bürgerschaft 1550 erstmals mit einer Belagerung bekräftigt. St. Andreas gehört seit 1528 zur evangelisch-lutherischen Kirche.

„Es ist überliefert, dass er seine Kanoniere zum Beschuss des Turmhelms anstiftete. Die Turmspitze blieb unbeschädigt, brannte jedoch 1551 ab und wurde mit geringerer Höhe wiedererrichtet. 1680 zerstörte ein Blitzschlag auch diesen Helm. Die 1742 geschaffene Barockhaube wurde ein Opfer des Zweiten Weltkrieges und 1955 wiedererrichtet“, berichtet Arnhold in seinem Kapitel über zu St. Andreas.

Fischerdorf an der Oker

„Die Anfänge in diesem Siedlungsbezirk gehen wahrscheinlich auf ein Fischerdorf nahe dem Hauptlauf der Oker zurück. Wohl schon unter Herzog Heinrich dem Löwen (gest. 1195), sicher jedoch im frühen 13. Jahrhundert setzt eine Entwicklung zur städtischen Siedlung ein: Die Bezeichnung „nova civitas“ (Neustadt) tritt das erste Mal im Jahre 1231 auf“, heißt es auf der Internetseite der Kirchengemeinde.

Im Jahre 1401 wurde nur wenige südlich der Andreaskirche eine Waage erwähnt und wahrscheinlich an deren Standort schließlich 1534 die heute bekannte „Alte Waage“ erbaut. Sie war eines der imposantesten Fachwerkgebäude der Stadt, das am 10. Februar 1944 durch mehrere Bombentreffer sowie den Feuersturm vom 15. Oktober 1944 vollständig zerstört wurde.

Zerstörung nahe 100 Prozent

„Bereits im Februar 1944 waren die ersten Bombenschäden im Umfeld der Kirche zu registrieren, das Fachwerkgebäude der Alten Waage war zum größeren Teil vernichtet. Beim Angriff am 13. August erlitt das Pfarrhaus einen Volltreffer, Brand- und Sprengbomben demolierten die Andreaskirche in schlimmer Weise: Das Dach war ruiniert, sämtliche Fenster zerborsten; der Druck einer Luftmine hatte einen großen Lindenbaum entwurzelt und ihn dorthin befördert, wo am Tag zuvor noch die Gemeinde Platz genommen hatte. Das Bild des Lindenstammes ist zum Symbol der Zerstörung von St. Andreas geworden. Nach dem Totalangriff auf Braunschweigs Innenstadt, der am 15. Oktober 1944 ab 1.50 Uhr erfolgte, hatte sich der Schaden an der Kirche nur unwesentlich vergrößert. Doch welch ein Anblick ringsum! Das Stadtviertel war vollständig vernichtet, das alte Fachwerk im Feuersturm restlos untergegangen. Eine Trümmerwüste dehnte sich vor den Augen der entsetzten Menschen aus. Der Zerstörungsgrad betrug annähernd 100 Prozent“, ist auf der Internetseite der Kirchengemeinde zu lesen.

Andreaskirche mit Liberei. Foto: Der Löwe

Von 1991 bis 1994 wurde die „Alte Waage“ aber, zum Teil unter Verwendung originaler Bestandteile sowie unter Zuhilfenahme der originalen Baupläne, wieder errichtet. Das Ensemble Wollmarkt/Andreaskirche/Alte Waage ist dank einer gelungenen Platzsanierung wieder zu einem attraktiven Stadtraum geworden.

Pfarrer ließ Liberei bauen

In unmittelbarer Nähe zur Andreaskirche existiert ein weiteres bemerkenswertes Gebäude: die zwischen 1412 und 1422 errichtete Liberei. Sie ist das einzige Gebäude der Backsteingotik in Braunschweig und das wahrscheinlich älteste freistehende Bibliotheksgebäude nördlich der Alpen. Die Liberei, im Auftrag des Pfarrers Johannes Ember erbaut, gilt als eine der ersten öffentlichen deutschen  Bibliotheken. Die kleine Bücherei, in der damals immerhin über fünfzig handgeschriebene Bücher aufbewahrt wurden, war von Anfang an auch für die Allgemeinheit bestimmt.

Blick von der Opfertwete auf St. Andreas. Foto: Der Löwe

Durch die Zerstörungen während des Zweiten Weltkriegs gingen die nachreformatorische Ausstattung der Andreaskirche mit zahlreichen Epitaphen und der 1634 entstandenen Orgel unwiederbringlich verloren. Von den für die Zeit vor der Reformation überlieferten 17 Altären blieb ein um 1480 geschaffenes Steinrelief mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts erhalten, endet Elmar Anholds Beitrag über St. Andreas. Im Innenraum der Kirche sind Kanzel, Altar, Taufbecken und Kreuzigung des St. Andreas des Braunschweiger Künstlers und ehemaligen TU-Professors Jürgen Weber (1928-2007) sehenswert.

Fakten:

Eintritt zum Südturm beträgt 2 Euro und ermäßigt (für Schüler, Studenten, Erwerbslose) 1 Euro. Kinder bis 16 Jahre in Begleitung frei. Aufstieg unter 16 Jahren nur in Begleitung Erwachsener.

Kontakt:

Evangelisch-lutherische Kirchengemeinde St. Andreas-Petri
An der Andreaskirche 1
38100 Braunschweig

Tel: 0531-44358
E-Mail: andreas.bs.buero@lk-bs.de

Fotos Andreaskirche Braunschweig:

Bilboard 2 (994x118 px)