Einst Flieger­horst Broitzem – heute Weststadt

Fliegerhorst Broitzem, 1931. Foto: Archiv Dieter Heitefuß
Fliegerhorst Broitzem, 1931. Foto: Archiv Dieter Heitefuß

Geschichte(n) von nebenan, Folge 2: Juni 1945 wurden die für den Flugbe­trieb erfor­der­li­chen Anlagen demon­tiert.

Braun­schweig hatte vor und während des Zweiten Weltkriegs große Bedeutung für die deutsche Luftfahrt. Nachdem es auf dem Flugplatz in Broitzem bereits 1917 ersten Flugbe­trieb gegeben hatte, folgte 1929 die Ansied­lung der Deutschen Verkehrs­flie­ger­schule, die zuvor ihren Standort in Berlin gehabt hatte. Von 1934 bis 1945 übernahm das Reichs­luft­fahrt­mi­nis­te­rium den Platz für militä­ri­sche Zwecke. Die zivile Luftfahrt wurde 1936 zum neuen Flughafen Waggum verlagert. In Broitzem aber wurden Kasernen, Hallen und Wohnungen gebaut.

Der Flieger­horst erstreckte sich in südwest­li­cher Richtung vom Kaser­nen­ge­lände mit dem ehema­ligen Empfangs­ge­bäude (heute Gemein­schafts­haus Weststadt) bis zur Gaststätte „An der Rothen­burg“. Nach 1945 entstand auf dem ehema­ligen Rollfeld wieder Acker- und Garten­land. 1960 erfolgte der erste Spaten­stich für die neue Weststadt.

Lage des ehemaligen Flughafens Broitzem, 1929. Foto: Archiv Dieter Heitefuß
Lage des ehema­ligen Flugha­fens Broitzem, 1929. Foto: Archiv Dieter Heitefuß

Aus den Tagen des Einmar­sches der US-Truppen in die Region Braun­schweig stammt eine Luftauf­nahme des Flieger­horstes Broitzem. Sie zeigt die von Bomben beschä­digten Gebäude und das von Bomben­trich­tern übersäte Rollfeld. Nach der Kapitu­la­tion Braun­schweigs am 12. April 1945 begannen ameri­ka­ni­sche Pioniere damit, den Platz zumindest für kleine Verbin­dungs­flug­zeuge wieder nutzbar zu machen. Dabei wurde sogar erstmalig eine feste Start- und Landebahn einge­richtet.

Zwei Henschel HS 126 vor einer Flugzeughalle des Fliegerhorsts Broitzem, 1939. Foto: Archiv Dieter Heitefuß
Zwei Henschel HS 126 vor einer Flugzeug­halle des Flieger­horsts Broitzem, 1939. Foto: Archiv Dieter Heitefuß

Der gesamte Flieger­horst mit den Flugzeug­hallen, den Kaser­nen­ge­bäuden, sämtli­chem Inventar, dem Rollfeld und den getarnten Flugzeug­un­ter­ständen sowie auch die Offiziers­wohn­häuser gegenüber den Kasernen wurden durch die 30. Infan­terie-Division der US-Army besetzt. Die Bewohner einiger privater Siedlungs­häuser an der Broit­zemer Straße westlich des früheren Flieger­horstes (Siedlung Freiland) mussten binnen eines Tages ihre Wohnungen räumen und sie den Soldaten überlassen.

Deutsche Verkehrsfliegerschule in Broitzem, 1929. Foto: gemeinfrei
Deutsche Verkehrs­flie­ger­schule in Broitzem, 1929. Foto: gemein­frei

Briten demon­tierten Flieger­horst

Nach der Übernahme des Flieger­horstes durch die britische Besat­zungs­macht Anfang Juni 1945 wurden alle für den Flugbe­trieb erfor­der­li­chen Anlagen demon­tiert. Es war das Ende der Luftfahrt in Broitzem. In den übrig geblie­benen Bauten des Flieger­horstes wurde von der briti­schen Militär­re­gie­rung ein Lager für Displaced Persons, das sogenannte DP-Camp, einge­richtet. Die Sieger­mächte sammelten und schützten unter dem Einfluss der Vereinten Nationen die Displaced Persons, die während des Krieges aus ihren Heimat­län­dern vertrieben worden waren.

Ziel war es, sie in ihre Heimat zurück­zu­bringen. Nach anfäng­li­chen Erfolgen ergaben sich aber Schwie­rig­keiten für viele Menschen aus osteu­ro­päi­schen Ländern, deren Heimat politisch nicht mehr existierte oder die aus persön­li­chen Gründen nicht mehr dorthin zurück­kehren wollten. Ihnen wurde in den DP-Camps Wohnraum zugewiesen, ihre Verpfle­gung organi­siert, und sie wurden bei der Gestal­tung ihres künftigen Lebens betreut. Ein Verbleib in Deutsch­land war aber nicht vorge­sehen.

Ansichtskarte Fliegerhorst Braunschweig. Foto: Archiv Dieter Heitefuß
Ansichts­karte Flieger­horst Braun­schweig. Foto: Archiv Dieter Heitefuß

Lager für ehemalige Zwangs­ar­beiter

Die Displaced Persons im Camp Braun­schweig-Broitzem waren ehemalige Zwangs­ar­beiter, die während der Kriegs­jahre in den Salzgitter-Hütten­werken, beim Bau des Salzgitter-Stich­ka­nals oder auf den Bauern­höfen der Region als Landar­beiter heran­ge­zogen worden waren. In den Kaser­nen­bauten des Flieger­horstes Broitzem lebten 3.000 Osteu­ro­päer, die „in einer eigenen Welt“ abgeschnit­tenen von der Stadt Braun­schweig lebten.

Das auch „Flieger­horst-Kaserne“ genannte Wohnlager wurde von der briti­schen Besat­zungs­macht bis 1950 betrieben und verwaltet und nach deren Abzug der Stadt Braun­schweig übergeben. Nach Gründung der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land unter­standen die DPs als „Heimat­lose Ausländer“ der deutschen Gesetz­ge­bung und Gerichts­bar­keit. Aus einer Übersicht der Stadt Braun­schweig aus dem Jahre 1960 über die Verwen­dung der Bauten des Flieger­horstes geht hervor, dass es im DP-Camp neben einer Verwal­tung auch einen Kinder­garten, eine Schule, eine Kranken­sta­tion und eine Kirche gegeben hat. Auch ein Sport­platz war vorhanden.

Unter­stand für KVG-Busse

Nicht alle Gebäude des Flieger­horstes waren für die Unter­brin­gung von DPs geeignet. Dazu gehörten die ehemalige Flugzeug­halle an der Broit­zemer Straße 55, die Werft, mehrere Kfz-Hallen sowie weiter Bauten mit Spezi­al­ein­rich­tungen zur Verar­bei­tung und Lagerung von Schmier­stoffen und Farben. Diese Gebäude hat die britische Militär­re­gie­rung der Stadt Braun­schweig überlassen, so dass sie gewerb­lich genutzt werden konnten. Ein Plan der Stadt Braun­schweig aus dem Jahre 1960 weist aus, dass diese Gebäude von der KVG Braun­schweig zur Unter­stel­lung von Fahrzeugen benutzt wurden.

Aus dem mit Gras überwu­cherten Rollfeld wurde von 1947 an Ackerland. Die Stadt Braun­schweig war Eigen­tü­merin des gesamten Gebietes. Da nach dem Zweiten Weltkrieg eine weitere Nutzung als Luftfahrt­ge­lände nicht mehr in Frage kam, wurde dieses Areal nun landwirt­schaft­lich genutzt, um die akute Lebens­mit­tel­knapp­heit der Bevöl­ke­rung zu lindern. Im Herbst 1946 rückten Seilzug­pflüge an, die mit Dampf­lo­ko­mo­bilen betrieben wurden. Diese hatten sich in der Region Braun­schweig bereits bewährt. Mit ihrer Hilfe wurden große Teile des ehema­ligen Rollfeldes zwischen der Lichten­berger Straße im Westen und den Bahnli­nien im Süden und Nordosten in nutzbares Ackerland verwan­delt.

Die Gärtnerhof-Siedlung entsteht

Für die Bewirt­schaf­tung suchte die Stadt Braun­schweig Bauern und Gärtner. Besonders Vertrie­bene aus den Gebieten zwischen Oder und Neiße waren willkommen. Ein Anschlag an Litfaß­säulen lautete: „Stadt Braun­schweig verpachtet Brachland für Landwirt­schaft und Gartenbau“. Die Bewerber erhielten von der Stadt Braun­schweig Lände­reien in Erbpacht und Hausgrund­stücke in getrennten Verträgen mit der Auflage, einen Gärtnerhof zur Gemüse­ver­sor­gung einzu­richten. So entstand die Gärtnerhof-Siedlung. Die Broit­zemer Landwirte erhielten aller­dings ihr während des Ersten Weltkrieges enteig­netes Land nicht zurück, Eigen­tü­merin wurde die Stadt Braun­schweig.

Die Gärtner­hof­sied­lung entstand im östlichen Teil des Rollfeldes des Flieger­horstes. Eine der ersten Inter­es­senten war 1947 Martina Kalanke, die vergeb­lich eine Arbeits­stelle zum Broter­werb suchte, um sich und ihre kranke Mutter zu versorgen. Sie bewarb sich um drei Morgen Land, war überrascht, als ihr die Stadt 16 Morgen Land anbot, mit der Auflage, dort wie die weiteren Bewerber einen Gärtnerhof zur Gemüse­ver­sor­gung einzu­richten. Sie unter­schrieb einen Pacht­ver­trag über sieben Jahre und kulti­vierte alsbald Kartof­feln, Kohl, Gurken, Blatt­salat, Tomaten und etwas Getreide (Hafer). Ein Pferd für Trans­porte und zum Pflügen sowie eine Kuh standen bald in einem simplen Stall neben einem baracken­ähn­li­chen Wohnhaus.

Weitere Klein­bauern und Gärtner gesellten sich in der Nachbar­schaft dazu, sodass 17 Gärtner­höfe mit Pachtland bis zu 20 Morgen entstanden. Vorzugs­weise wurden Vertrie­bene aus Pommern, Ostpreußen und dem Warthegau bei der Vergabe der Lände­reien berück­sich­tigt. Pächter wurden die Familien Pirschel, Kowalewski, Stöber, Müller, Raschke, Hintzler, Zobel, Kalanke, Reinhold, Damme und Grundmann. Das Adress­buch der Stadt Braun­schweig nennt die damaligen Pächter der Grund­stücke und auch die weiteren Bewohner der Gärtner­höfe. Meist dienten Nissen­hütten als Scheune und Stall. Pferde, Kühe, Ziegen, Schweine und Federvieh wurden gehalten. Auf fast jedem der Höfe sorgte ein Wachhund für gewisse Sicher­heit, um sich vor Diebstahl von allem Essbaren, auch Hühnern, Enten, Gänsen und Schweinen zu schützen.

Die Weststadt entsteht: Donaustraße mit KVG-Halle von Süden, 1961. Foto: Hans Steffens
Die Weststadt entsteht: Donau­straße mit KVG-Halle von Süden, 1961. Foto: Hans Steffens

Größtes Neubau­ge­biet der Region

Im Weststadt-Entste­hungs­jahr 1960 begannen auf dem Flugplatz­areal die Bauar­beiten zum zu seiner Zeit größten Neubau­ge­biet der Region. Viele Kaser­nen­be­wohner fanden eine neue Heimat in den ersten Häusern am Quecken­berg, Wasser­kamp, Möhlkamp, Lehmanger und An den Gärtner­höfen. Es folgte das Donau­viertel mit Donau‑, Iller‑, Lech‑, Isar‑, Inn‑, Altmühl- und Naabstraße. Nach Straßen­ausbau und Straßen­bahn­ver­bin­dung zur Weststadt erhielten 1978 zwei Abschnitte der einstigen Broit­zemer Straße die Namen München- und Traun­straße. Die nach 1950 von der Nibelungen-Wohnbau GmbH übernom­menen „Offiziers­häuser“ gehören seitdem zur Pregel­straße 7–12. „Treff­punkt 11“ ist seit 2010 eine Einrich­tung der Lebens­hilfe.

Einige Kaser­nen­ge­bäude dienten nach 1960 der Nachschub­kom­panie eines Bundes­wehr­ba­tail­lons und der Stand­ort­ver­wal­tung. Weil etliche Blocks ungenutzt blieben, verrot­teten sie. 1980 zog die Bundes­wehr aus. Nach Sanierung wurden die Gebäude zivilen Nutzern übergeben. Die letzte verblie­bene Flugzeug­halle wurde vor dem Bau des Einkaufs­zen­trums Donau­knoten im September 2006 abgebro­chen. Die Gärtner­tra­di­tion endete 2016, als auch die Gärtnerei Zobel ihren Betrieb schloss.

Dieter Heitefuß ist Stadt­teil­hei­mat­pfleger für Broitzem.

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