Das zu spät gekommene Hochzeits­ge­schenk

Die meisten Teller des Nymphenburger Hochzeitservices sind mit aufwändig gemalten Blumen verziert. Foto: Richard Borek Stiftung

Objekt des Monats, Folge 9: Das Nymphen­burger Hochzeits­ser­vice wird von September an unter dem Titel „Scherben zum Glück“ im Museum Schloss Fürsten­berg ausge­stellt.

Das Porzel­lan­mu­seum Fürsten­berg stellt von September an erstmals seit seiner Entste­hung ein kostbares Service aus: Ganze 700 Teile aus feinstem Porzellan, herge­stellt zur Hochzeit zweier Herrscher­dy­nas­tien. Und doch wurde es wohl nie benutzt. Wie kam es dazu?
1913, ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, als Monarchie und deutscher Adel noch intakt waren, feierten Viktoria Luise von Preußen und Welfen­prinz Ernst August III. von Hannover ihre Hochzeit. Diese aus Liebe geschlos­sene Ehe beendete ein halbes Jahrhun­dert der Feind­schaft zwischen den Adels­häu­sern der Hohen­zol­lern und der Welfen. Gleich­zeitig bestieg somit erneut – und zum letzten Mal – ein Welfe den braun­schwei­gi­schen Thron. Ein Geschenk für das braun­schwei­gi­sche Herzogs­paar war ein 700-teiliges Hochzeits­ser­vice, in Auftrag gegeben vom Landes­di­rek­to­rium Hannover bei der Porzel­lan­ma­nu­faktur Nymphen­burg.
Porzellan wurde als Werkstoff überaus geschätzt und erfüllte als Kunstwerk und Inbegriff höfischer Kulti­viert­heit einen im höchsten Maße reprä­sen­ta­tiven Zweck. Als das Geschenk jedoch erst Anfang der 1920er-Jahre ausge­lie­fert wurde, konnte es diesen Zweck schon nicht mehr erfüllen.

Eine feine Adresse

Die kurfürst­liche Manufaktur Nymphen­burg wurde Mitte des 18. Jahrhun­derts in Neudeck bei München gegründet und machte sich vor allem durch Rokoko-Porzel­lane einen Namen. Dort bestellte man für das Hochzeits­ser­vice 50 Suppen‑, 300 Speise- und 150 Dessert­teller, 50 halbmond­för­mige Teller, 15 ovale und 20 runde Platten, fünf eckige Gemüse­schüs­seln, 15 runde Kompott­schüs­seln, fünf Salat­schüs­seln, fünf Frucht­schalen, fünf Konfekt­schalen, 15 Saucieren und zwölf Salzfässer. Als stilis­ti­sches Vorbild diente das erste kurfürst­liche Hofser­vice der Manufaktur Nymphen­burg aus Händen Franz Anton Bustellis, um 1765 mit aufwen­digem, bunten Blumen­dekor und reicher Goldstaf­fage. Zusätz­lich wurden Teile ergänzt, die auch Franken­thaler Vogel­dekor mit Gitter­muster zeigten, und dazu 50 verschie­dene Dessert­teller mit topogra­fi­schen Ansichten des ehema­ligen welfi­schen Herzog­tums. Darunter sind Motive wie das Residenz­schloss Braun­schweig, der große Garten bei Herren­hausen und die Insel Norderney.

Fünfzig besondere Dessert­teller zeigen unter­schied­liche Ansichten des Fürsten­tums. Foto: Richard Borek Stiftung

Symbole der Macht

Besonders heraus­ra­gend ist der Tafel­auf­satz mit einer dazuge­hö­rigen Unter­platte, der mit seiner Höhe von 65 Zenti­me­tern wohl das Können aller Betei­ligten heraus­for­derte. Geschaffen vom Bildhauer Josef Wackerle, ist das sprin­gende Welfen­ross mit Putto und einem Wappen­schild darge­stellt, auf dem das Hochzeits­datum „Vierund­zwan­zigster Mai Neunzehn­hun­dert­drei­zehn“ vermerkt ist. Auf dem gedeckten Tisch bildete der Tafel­auf­satz zweifellos den künst­le­ri­schen Fokus­punkt: Die Vorder­beine des Pferdes ragen weit nach vorne über den blumen­ver­zierten Sockel hinaus. In der Längs­achse neigt sich das im Sprung begrif­fene Tier leicht nach links, wodurch die raumgrei­fende Dynamik der Bewegung unter­stri­chen wird. Je nachdem, wie nah die Gäste an der Tafel­de­ko­ra­tion saßen, ergaben sich verschie­dene Eindrücke. Auf die Entfer­nung begeis­terte die dynamisch aufra­gende Pferde­plastik und aus der Nähe entfal­tete die Unter­platte (73x62x8 cm) mit Blumen­dekor, Rocail­le­füßen und Goldstaf­fage ihre Wirkung.

Der Tafel­auf­satz des Porzel­lan­ser­vices: Das Welfen­ross springt über den gedeckten Tisch. Foto: Richard Borek Stiftung

Erst 1921 übergeben

Der Produk­ti­ons­auf­trag an Nymphen­burg erfolgte jedoch zu kurzfristig, um das Prunk­ser­vice pünktlich zur Hochzeit 1913 fertig­zu­stellen. Dazu kamen bald der Erste Weltkrieg und damit Produk­ti­ons­schwie­rig­keiten für die Manufaktur. Erst 1921 erreichte das Hochzeits­ser­vice die Beschenkten, als das Paar längst im öster­rei­chi­schen Exil lebte und ein so umfang­rei­ches Prunk­ser­vice nicht mehr gebrau­chen konnte. Der ideelle Wert des Tafel­auf­satzes für die Adels­fa­milie zeigt sich jedoch in der Tatsache, dass er in den 1930er Jahren in der Biblio­thek des Schlosses Blanken­burg ausge­stellt wurde. Ob das Hochzeits­ser­vice je zum gedachten Zweck, eventuell im kleineren Kreis, zum Einsatz kam, ist jedoch ungewiss. 2005 wurde es von der Richard Borek Stiftung nahezu unver­sehrt angekauft und wird nun erstmals seit seiner Entste­hung für ein breites Publikum ab September 2024 in der Ausstel­lung „Scherben zum Glück. Ein Hochzeit­ge­schenk für Kaiser­tochter Victoria Luise und Herzog Ernst August“ im Museum Fürsten­berg zu sehen sein.

Johanna Johnen ist Kunst­his­to­ri­kerin und beschäf­tigt sich mit Kunst­hand­werk und Druck­grafik sowie mit der Darstel­lung von Krankheit in der Kunst.

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