Die späte Zerstö­rung des alten Braun­schweigs

Das Doppelhaus Schuhstraße 5/6 im Jahr 1880. Foto: Der Löwe/Stadtarchiv
Das Doppelhaus Schuhstraße 5/6 im Jahr 1880. Foto: Der Löwe/Stadtarchiv

Das vom Bomben­hagel verschonte Quartier zwischen Schuh­straße und Hutfil­tern hätte das Zeug zu einer sechsten Tradi­ti­ons­insel gehabt, aber der Raubbau geht immer weiter.

Ein Blick auf die Schadens­karte von Braun­schweig aus dem Jahr 1945 zeigt, dass das Quartier zwischen Schuh­straße und Hutfil­tern sowie zwischen Vor der Burg und Kleine Burg praktisch komplett vom Bomben­hagel der Royal Air Force verschont geblieben war, obwohl die Stadt zu 90 Prozent in Schutt und Asche lag. Faktisch wäre dieses Areal präde­sti­niert gewesen für eine weitere beein­dru­ckende Tradi­ti­ons­insel neben Magni­viertel, Michae­lis­viertel, Aegidi­en­viertel, Burgplatz und Altstadt­markt. Doch die Stadt­väter sahen das seiner­zeit anders. Und zu allem Überfluss geht die späte Zerstö­rung des alten Braun­schweigs an dieser Stelle immer weiter.

Eine ganze Reihe intakter, mittel­al­ter­li­cher Gebäude musste nach und nach geschichts­ver­gessen für teilweise profane Bauten weichen. Zum Beispiel das Haus Kleine Burg Nr. 14 ist ein prägnantes Beispiel für den Raubbau an der histo­ri­schen Substanz. In dem Neubau ist heute die Tourist­info unter­ge­bracht. Und jetzt kommt wohl erneut der Abriss­bagger. Diesmal muss das Haus Schuh­straße Nr. 6 dran glauben. So wird für die Umgestal­tung der jetzigen Burgpas­sage wieder ein Stück altes Braun­schweig verschwinden. Aller­dings steht lediglich noch die Fassade. Und die auch nur zu einem Teil, denn das Erdge­schoss wurde bereits geopfert für den Eingang zur Burgpas­sage. Die Stadt verspricht immerhin, die Reste des Denkmals zu sichern.

Gerade dieses bis in die ersten Nachkriegs­jahre unver­sehrte, typisch braun­schwei­gi­sche Quartier musste immer wieder leiden und wurde teilweise bis zur Unkennt­lich­keit verschan­delt. 1955 kam es schon zum ersten Sünden­fall: Für die Erwei­te­rung des damaligen Presse­hauses der Braun­schweiger Zeitung mussten die Maria-Magda­lenen-Kapelle und einige Fachwerk­häuser verschwinden. 1982 der zweite Sünden­fall: Die Burgpas­sage entstand erneut auf Kosten alter Bausub­stanz. Und jetzt steht der dritte Sünden­fall an: Die östliche Hälfte des Hauses Schuh­straße 6 soll komplett abgerissen werden.

Auf der Seite vom Hutfil­tern soll zudem ein weiteres Geschoss aus der einstigen Presse­haus-Fassade geschnitten werden. Ein Düssel­dorfer Investor will rund 90 Millionen Euro ausgeben, um aus der überdachten Passage eine offene Twete zu machen. Braun­schwei­gi­sche Befind­lich­keiten stören da nur. Aus Inves­to­ren­sicht ist weniger die Qualität der Geschäfte, sondern vielmehr die Größe des Eingangs für die neue Twete für den Erfolg entschei­dend. So sagt es jeden­falls ein eilig angefor­dertes Gutachten aus. Nach anderen Lösungen wird offenbar nicht mehr gesucht. Vielen war das gegen­wär­tige Konzept mit der Überda­chung aber lieb. Was fehlte waren attrak­tive Lokale und Läden, nicht grund­sätz­lich die Frequenz, weil eben das eine das andere bedingt. Das wird übrigens auch in Zukunft so sein. Man darf gespannt sein.

Der Deutsche Histo­ri­sche Städteatlas des Instituts für verglei­chende Stadt­ge­schichte belegt, warum es ursprüng­lich die Verbin­dung zwischen der Schuh­straße und dem Hutfil­tern an dieser Stelle nicht gab. Im Bereich hinter den Stifts­her­ren­häu­sern verlief noch 1750 der Burgmüh­len­graben, und es existierte bereits eine geschlos­sene Bebauung auf beiden Seiten, die bis heute noch nachvoll­ziehbar ist. Das wird sich nun erstmals nach mehr als 500 Jahren ändern, wenn der Eingang zur neuen Twete, der Arbeits­titel lautet für Braun­schweig völlig untypisch „Burggasse“ von der Schuh­straße aus komplett offen gestaltet wird.

Die Stifts­her­ren­häuser in der Nähe von Burg und Dom, zu denen auch das Haus Schuh­straße Nr. 6 gehört, zählen zu den ältesten Gebäuden der Stadt. Die Kernbau­sub­stanz des als Baudenkmal ausge­wie­senen Objekts stammt aus der Zeit um 1500. Dabei besteht das Gebäude Schuh­straße 6 im Prinzip aus zwei Häusern, aus zwei gleich breiten Haushälften, die aber über ein durch­ge­hendes Dach und eine gleiche Gestal­tung verfügen. Im 18. Jahrhun­dert wurden die Haushälften nach Einfüh­rung der Feuer­ver­si­che­rung mit getrennten Asseku­ranz­num­mern und Hausnum­mern versehen. Im 19. Jahrhun­dert waren dort beispiels­weise das Buntpa­pier­ge­schäft Heine (Nr. 6) und der Uhrmacher Koblig (Nr. 5) ansässig. Im Erdge­schoss befanden sich schon damals Laden­ge­schäfte. Das bekann­teste war später das dort behei­ma­tete Fachge­schäft Handschuh Röver. Mit Bau der Burgpas­sage wurden beide Hälften wieder zusam­men­ge­fasst unter Schuh­straße 6.

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