Ein „perso­ni­fi­ziertes Stück Arbei­ter­ge­schichte“

Walter Schmidt (rechts) mit Willy Brandt im Bundestagswahlkampf 1961. Foto: IBRG
Walter Schmidt (rechts) mit Willy Brandt im Bundestagswahlkampf 1961. Foto: IBRG

Ehren­bürger der Stadt Braun­schweig, Folge 3: Walter Schmidt.

In der Geschichte der Braun­schweiger SPD hat niemand so lange Führungs­po­si­tionen innege­habt wie Braun­schweigs Ehren­bürger Walter Schmidt, der ein „perso­ni­fi­ziertes Stück Arbei­ter­ge­schichte“ darstellte. 40 Jahre – mit kleinen Unter­bre­chungen – war er Mitglied des Kreis‑, später Unter­be­zirks­vor­standes der Braun­schweiger SPD, davon 12 Jahre 2. Vorsit­zender und 8 Jahre 1. Vorsit­zender, fast 16 Jahre stell­ver­tre­tender Vorsit­zender des SPD-Bezirks Braun­schweig, 14 Jahre direkt gewählter Landtags­ab­ge­ord­neter, 11 Jahre ebenfalls vom Wahlkreis entsandter Bundes­tags­ab­ge­ord­neter.

Walter Schmidt wurde am 27. Februar 1907 in Braun­schweig geboren. Sein Vater Wilhelm war Schlosser von Beruf und starb bereits 1914, so dass die Mutter Emma in einer Fabrik für Nähma­schi­nen­zu­behör arbeiten musste, um die Familie (vier Söhne) zu versorgen. So machte der Sohn schon früh Erfah­rungen der Armut und sozialen Not. Sie sollten bereits den jungen Walter Schmidt in seinem sozialen Bewusst­sein prägen. Seit 1918 lebte die Familie im Magni­viertel.

Schon als Kind politisch inter­es­siert

Bis in diese Zeit reichten die ersten politi­schen Erinne­rungen von Walter Schmidt zurück, von denen er gerne im Freun­des­kreis erzählte. Nach dem Sturz der Monarchie am 8. November 1918 gehörte Walter Schmidts Onkel, der Matrose und Schmied Gustav Rosenthal, der neuen Regierung als Volks­kom­missar für revolu­tio­näre Vertei­di­gung an. Sehr oft traf er sich mit Gesprächs­part­nern und Partei­freunden in der Wohnung seiner Schwä­gerin Emma in Ölschlä­gern. An diesen Gesprächs­runden nahm auch der damals zwölf­jäh­rige Walter neugierig und mit wachsendem Interesse teil.

Nach dem Besuch der Volks­schule begann Walter Schmidt 1921 bei der MIAG eine Lehre als Maschi­nen­bauer. Entspre­chend der Maxime, dass Bildung und Lernen die Zukunft bestimmt. besuchte er ab 1923 im Abend­un­ter­richt die Fachschule für Maschi­nenbau, die er nach sechs Semestern erfolg­reich als Techniker abschloss. Noch während seiner Lehrzeit trat er 1924 dem Deutschen Metall­ar­bei­ter­ver­band (DMV), dem Vorläufer der IG-Metall, bei, und wurde 1926 Mitglied in der SPD.

Kurs bei Otto Grotewohl belegt

Im Winter 1932/33 nahm er an einem Lehrgang der Braun­schweiger SPD zum Thema „Wissen­schaft­li­cher Sozia­lismus“ teil. Leiter des Kurses war Otto Grotewohl, damals SPD-Bezirks­vor­sit­zender, ab 1949 Minis­ter­prä­si­dent der DDR. Seine Mitglied­schaften verstand Walter Schmidt stets als Verpflich­tung zu aktiver Betei­li­gung, was sich in zahlrei­chen Amtspflichten und Ehren­äm­tern nieder­schlagen sollte. So war er bereits mit 23 Jahren Betriebs­rats­vor­sit­zender in den Braun­schweiger Hütten­werken, ein Amt, das er bis 1933 aktiv wahrnahm. In der Freizeit galten die Haupt­ak­ti­vi­täten von Walter Schmidt jedoch dem Sport: Wandern bei den Natur­freunden, Fußball bei der Spiel­ver­ei­ni­gung Wacker, deren Ehren­mit­glied er später werden sollte.

Walter Schmidt erlebte unmit­telbar den Terror und Schrecken der Nazis ab 1930, insbe­son­dere den Sturm auf das Volks­freund­ge­bäude, die Besetzung der AOK und die Riese­berg­morde. Trotz vielfa­cher Repres­sa­lien wurde Walter Schmidt in dieser Zeit nie verhaftet, obwohl er aktiv im Wider­stand gegen das Nazire­gime engagiert war. Zeitweise tauchte er in Gifhorn unter. 1936 legte er sogar noch die Maschi­nenbau-Meister­prü­fung ab und wechselte zur Firma Karges und Hammer. Vom Kriegs­dienst war Walter Schmidt wegen seiner betrieb­li­chen Aufgaben freige­stellt. In der Firma wurden Kriegs­ge­fan­gene und Zwangs­ar­beiter unter entwür­di­genden Umständen einge­setzt, für die Schmidt mit kleineren Hilfen das Leid zu lindern versuchte. Nicht verwun­der­lich, dass er mehrere Male wegen zu loyaler Haltung gegenüber den Auslän­dern von der Gestapo verwarnt wurde.

Starke Wahler­geb­nisse

Nach Kriegs­ende organi­sierte Walter Schmidt erfolg­reich die Wieder­auf­nahme der Produk­tion seiner Firma und trat am 14. September 1945 erneut in die SPD ein. Er engagierte sich intensiv für die Partei­ar­beit, so etwa als Ortsver­eins­vor­sit­zender (Wendentor) und als Kandidat seiner Partei bei den Wahlen. 1946 und 1947 waren wichtige Jahre, in denen Walter Schmidt für die SPD wichtige Aufgaben übernahm. Am 9./10. November 1946 wurde er vom Landes­par­teitag Braun­schweig als Kandidat für die Landtags­wahl am 20. April 1947 benannt. Im Wahlkreis 41, der Innen­stadt und dem Westen der Stadt erhielt er 48,6 Prozent der Stimmen. Mit Walter Schmidt wurden damals Ernst Böhme und Otto Bennemann gewählt, die SPD gewann damals alle drei Braun­schweiger Wahlkreise.

Auch in der Landes ‑und Bundes­po­litik wurde und war in den folgenden Jahren aktiv. Von 1947 bis 1961 war Walter Schmidt Mitglied des Nieder­säch­si­schen Landtags und von 1961 bis 1972 Abgeord­neter des Deutschen Bundes­tages. 1951 bis 1970 war er Stell­ver­tre­tender Vorsit­zender des SPD-Bezirks Braun­schweig und von 1964 bis 1970 Vorsit­zender des Unter­be­zirks Braun­schweig der SPD. Stets engagierte sich der äußerst populäre Kandidat auch vor Ort in den politi­schen Gremien seiner Partei.

Im Bundestag war er Mitglied im Verkehrs- und Wirtschafts­aus­schuss und betrieb erfolg­reich eine verbes­serte Verkehrs­an­bin­dung Braun­schweig. Aber nicht nur die großen politi­schen Fragen waren Anliegen von Walter Schmidt, sondern stets setzte er sich für die Belange der sogenannten kleinen Leute ein, was sich 1969 in seinem Wahler­gebnis von 54,1 Prozent Erststimmen bei der Bundes­tags­wahl nieder­schlug. 

„Braun­schweig im Mittel­punkt“

Die Aufzäh­lung der Vielzahl der Ehren­ämter, aber auch der Ehrungen (so zum Beispiel das Große Verdienst­kreuz des Bundes­ver­dienst­or­dens der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land), die Walter Schmidt erhielt, würde den Beitrag sprengen. Als er 1972 aus der Politik ausschied, war Walter Schmidt weiter im Interesse seiner so geliebten Vater­stadt Braun­schweig tätig. Legendär wurden seine Stadt­füh­rungen und Diavor­träge, die sich mit dem Bild der Stadt vor und nach der Zerstö­rung beschäf­tigten. Er selbst meinte an seinem 85. Geburtstag: „Für meine politi­sche Arbeit stand Braun­schweig immer im Mittel­punkt“.

Walter Schmidt (links) mit Gerhard Glogowski. Foto: IBRG
Walter Schmidt (links) mit Gerhard Glogowski. Foto: IBRG

1987, zum 40-jährigen Jubiläum in der Braun­schweiger SPD hielt Staats­se­kretär Holger Börner die Laudatio und meinte, Schmidt habe stets ein kämpfe­ri­sches Herz für die soziale Gerech­tig­keit gehabt und Solida­rität denen gegenüber geübt, die auf seine Hilfe angewiesen waren. Im Namen der Partei dankte er Walter Schmidt für dessen „hervor­ra­gende Lebens­leis­tung“. Daher war es nur konse­quent und verdient, dass der Rat der Stadt Braun­schweig am 14. Juni 1988 einstimmig beschloss, Walter Schmidt mit der Ehren­bür­ger­würde der Stadt Braun­schweig auszu­zeichnen.

Als Oberbür­ger­meister Gerhard Glogowski am 17. August 1988 die Auszeich­nung in der Dornse des Altstadt­rat­hauses vornahm, meinte er: „Walter Schmidt ist ein Mensch, der für viele Braun­schweiger eine oft letzte Hilfs­mög­lich­keit gewesen ist“. Er habe die Belange Vieler vertreten, ohne auf deren Partei­zu­ge­hö­rig­keit zu achten. Ehren­bürger Walter Schmidt starb am 17. Oktober 1997 in seiner Heimat­stadt Braun­schweig.

Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungs­di­rektor des Instituts für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und Geschichts­ver­mitt­lung an der TU Braun­schweig.

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