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Dieser „Ober-Chauffeur“ hatte den ersten Braunschweiger Führerschein

Fahrer des Hochadels: Wilhelm Schmidt (links) mit seinem Automobil vor dem Braunschweiger Residenzschloss. Foto: Richard Borek Stiftung
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Ein Stück braunschweigische Automobilgeschichte: Jahrzehntelang fuhr der „herzogliche Ober-Chauffeur“ Wilhelm Schmidt den deutschen Hochadel, unter anderem auch den letzten Braunschweiger Herzog. In seinem Nachlass befindet sich der erste Führerschein der Löwenstadt.

Sichtlich stolz steht Wilhelm Schmidt vor seinem frühen Automobil, im Hintergrund das Braunschweiger Schloss. Die Uniform weist ihn als „herzoglichen Fahrer“ aus. Wie die Zeitung „Wochenend“ in Schmidts Todesjahr 1951 schrieb, sei er „fast sein ganzes Leben nicht mehr hinter dem Steuerrad hervorgekommen“: Er fuhr die Reichen und Mächtigen durch die Welt und erhielt Braunschweigs Führerschein Nummer 1.

Das Foto wie auch der Führerschein und diverse Zeitungsausschnitte sowie Postkarten gehören zu Schmidts Nachlass, der nun von der Richard Borek Stiftung erworben wurde. Der Nachlass gewährt einen Einblick in eine Zeit, als das Auto ein Stück seltene Hochtechnologie war.

Schmidt, ein Auto-Pionier

Laut seiner späteren Entlassungsurkunde wurde Schmidt am 14. Oktober 1868 in Neu-Lebus in Brandenburg geboren. Seinen Wehrdienst beendete er Ende September 1892. Kurz darauf suchte und fand er eine Anstellung bei der „Marienfelder Motorenfabrik“ – einem der ersten Daimler-Werke Deutschlands.

Doch reichte es Schmidt nicht, die Wagen zu bauen. Sehr bald lernte er sie zu fahren. Für 1897 lässt sich eine Eintragung als „Oberfahrer“ in der „Kutscherei“ der „Allgemeinen Motorwagen Gesellschaft“ in Berlin belegen, eine Position, die er ohne Fahrkenntnisse wohl kaum bekommen hätte. Von 1899 bis 1901 folgte eine Anstellung als „Oberfahrer“ beim Nachfolgeunternehmen „Motorfahrzeug- und Motorenfabrik Berlin“, das unter anderem auch einen Fahrzeugverleih betrieb.

Wilhelm Schmidt als Fahrer in Aktion. Foto: Richard Borek Stiftung

Wilhelm Schmidt als Fahrer in Aktion. Foto: Richard Borek Stiftung

Damit gehörte Schmidt zu den frühen Automobil-Pionieren des Landes. Denn nur wenige Jahre zuvor, ab 1885, entwickelten Carl Benz in Mannheim und Gottlieb Däumler (später Daimler) bei Stuttgart die ersten Modelle eines Automobils mit Verbrennungsmotor, die zu einer tatsächlichen Serienproduktion führten.

Automobile waren zu dieser Zeit Spielzeuge der Elite. Nur etwa 10.000 fuhren im Jahr 1906 durch Deutschland. Es gab keine Tankstellen, und Betrieb sowie Instandhaltung der empfindlichen und pannenanfälligen Fahrzeuge waren teuer. Außerdem war Autofahren – ohne geregelte Ausbildung – eine seltene Fähigkeit. Das erklärt, warum beim Verleih oder beim Verkauf von Autos gern ein Fahrer mitgeschickt wurde. Auf diesem Weg gelang Wilhelm Schmidt der wohl wichtigste Karrieresprung seines Lebens.

Chauffeur im Dienst des Hochadels

Am 1. April 1901 verließ Schmidt, den sein Arbeitszeugnis als „äusserst zuverlässigen und geschickten Fahrer“ bezeichnet, die Motorfahrzeug- und Motorenfabrik Berlin „auf eigenen Wunsch“. Wie ein Zeitungsartikel nahelegt, soll er einen Wagen an Fürst Christian Kraft zu Hohenlohe-Oehringen ausgeliefert haben, der so viel Gefallen an Schmidt fand, dass er ihn glatt „mitkaufte“.

Sehr zufrieden mit seinem Fahrer: Fürst Christian Kraft, Prinz zu Hohenlohe-Oehringen. Foto: Wikimedia Commons

Sehr zufrieden mit seinem Fahrer: Fürst Christian Kraft, Prinz zu Hohenlohe-Oehringen. Foto: Wikimedia Commons

Vom 1. Mai 1901 bis März 1908 war er dem Fürsten Hohenlohe als „Motorwagenführer“ zu Diensten, und kam mächtig herum in Europa. „Bei den grösseren Automobiltouren, die er jährlich des Oefteren in Deutschland, sowie in Oesterreich-Ungarn, und mehrere Male an der Riviera, in Belgien und Holland, theils mit mir, theils allein gefahren hat, hat er gezeigt, dass er sich in jeder Lage zu helfen weiss“, schrieb der zufriedene Fürst.

Wie es ihn nach Braunschweig verschlug, bleibt ein Rätsel. Hatte der Fürst Hohenlohe ihn empfohlen? Sicher ist, dass er ab dem 1. April 1908 in Braunschweig als Fahrer in den herzoglichen Hofdienst übernommen wurde und dem Regenten Johann Albrecht diente. Eine Urkunde Anfang 1913 weist ihn hochoffiziell als „herzoglicher Fahrer“ aus, vielleicht, um seine Position vor der Übernahme durch den Welfen Ernst August zu festigen.

Auch unter dem letzten Braunschweiger Herzog blieb Schmidt zunächst in Amt und Würden, wurde 1914 sogar zum „Ober-Chauffeur“ ernannt und brachte Ernst August als Teil des X. Armee-Korps im Ersten Weltkrieg an die Front. Angeblich kutschierte er sogar Kaiser Wilhelm II. höchstpersönlich – was durchaus möglich ist, wenn man bedenkt, dass er als Fahrer auch die Hochzeit von Kaisertochter Viktoria Luise und Ernst August im Jahr 1913 erlebte.

Einer der ersten Führerscheine Deutschlands

Jahrelang fuhr Wilhelm Schmidt ohne Führerschein – einfach, weil es den „Lappen“ noch nicht gab. Erst allmählich wurden in einzelnen Teilen des Reiches entsprechende Gesetze erlassen, so etwa 1903 in Preußen. Dabei hatten erste „Fahrerlaubnisse“ oft weniger etwas mit Verkehrsregeln zu tun, sondern bescheinigten Grundkenntnisse in der KFZ-Mechanik.

Erst, als sich in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts die Unfälle häuften, wurde eine einheitliche und rechtsverbindliche Regelung für das gesamte Deutsche Reich gefasst: Das „Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen“ aus dem Mai 1909 regelte die Führerscheinpflicht, die dazugehörige Prüfung und Haftungsfragen.

Der erste Führerschein Braunschweigs. Foto: Richard Borek Stiftung

Der erste Führerschein Braunschweigs. Foto: Richard Borek Stiftung

Das Gesetz trat am 1. April 1910 in Kraft. Auf wenige Tage später, nämlich den 21. April 1910, ist Wilhelm Schmidts Führerschein datiert – mit der Listennummer 1 also der erste „echte“ Führerschein Braunschweigs und einer der ersten in Deutschland. Vorher muss es aber bereits eine andere Form der Prüfung im Herzogtum Braunschweig gegeben haben – Schmidts Fahrprüfung ist nämlich auf den 10. April 1908 datiert, also kurz nach seinem Eintritt in herzogliche Dienste.

„Überzählig geworden“

Die Thronbesteigung des letzten Welfenherzogs brachte Schmidt am Ende kein Glück. Anfang Mai 1916 wurde er in den Ruhestand versetzt. Laut Entlassungsurkunde sei er „überzählig geworden“ – denn Ernst August hatte zwei eigene Chauffeure mitgebracht. Wenigstens verlieh er Schmidt Ende des Jahres noch das Braunschweigische Verdienstkreuz zweiter Klasse für seine langjährigen Dienste. Zweieinhalb Jahre später wurde der Herzog selbst „überzählig“: seine Herrschaft endete durch die Novemberrevolution, und fortan gab es auch keinen Bedarf mehr an herzoglichen „Oberfahrern“, zumindest im offiziellen Sinne.

Was danach mit Schmidt geschah, liegt im Dunkeln, der Nachlass gibt darüber keine Auskunft, weitere Arbeitszeugnisse oder Urkunden fehlen. War er vielleicht auf seine späteren Aufgaben nicht stolz genug, um Zeugnisse davon aufzuheben? Einzig der Nachruf in einem Zeitungsartikel des Blattes „Wochenend“ aus dem Jahr 1951 weist auf Schmidts weiteres Leben hin: er habe bis zu seinem Renteneintritt 1931 die Präsidenten der Braunschweigischen Staatsbank, dem Vorläufer der Norddeutschen Landesbank, gefahren und sei mit 82 Jahren schließlich in seiner Wahlheimat Braunschweig gestorben. „Es war das erstemal“, schließt der Autor, „daß Wilhelm Schmidt nicht am Steuer, sondern auf dem Rücksitz saß.“

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