Erneue­rung der mittel­al­ter­li­chen Stadt mit modernen Bauwerken

Martini-Apotheke, Aufnahme vor 1944. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmalpflege

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Teil 6: Nach der Unter­wer­fung der Stadt durch Herzog Rudolf August von Braun­schweig-Wolfen­büttel im Jahr 1671 erhielten einige Straßen­züge und Plätze ein neues Gepräge durch Bauten des Barocks und Rokokos.

Martini-Apotheke, Kupfer­stich von Johann Georg Beck, 1717. Foto: Stadt­ar­chiv

Der Eiermarkt gehört zu den ältesten Siedlungs­be­rei­chen in der Innen­stadt Braun­schweigs. Dort steht die Jakobs­ka­pelle, die man bis in die Zeit um 1900 als ältestes Bauwerk der Löwen­stadt ansprach: An der Kapelle soll sich eine Inschrift aus dem Jahr 861 befunden haben. So feierte man 1861 ein großes 1000-jähriges Stadt­ju­bi­läum. Heute wird das als Fehlin­ter­pre­ta­tion angesehen. Deswegen wird 2031 groß gefeiert, wenn sich die erste urkund­liche Erwähnung Braun­schweigs zum 1000sten Mal jährt. Grabungen in der Jakobs­a­pelle und auf dem Gelände des heutigen Amtsge­richts haben in den 1970er und 1990er Jahren immerhin Funda­mente und Siedlungs­spuren aus dem 11. Jahrhun­dert identi­fi­zieren können.

Martini-Apotheke, Kupfer­stich von Anton August Beck, 1778. Foto: Stadt­ar­chiv

Als Verbin­dung zwischen Altstadt­markt und Stein­straße gehörte der Eiermarkt in der mittel­al­ter­li­chen Stadt zu den bevor­zugten Adressen vermö­gender und einfluss­rei­cher Bürger. An der Ecke Eiermarkt/Garküche entstand bereits 1330 die Martini-Apotheke. Mit einer Darstel­lung dem Jahr 1717 ist ihre seiner­zeit noch auf das Spätmit­tel­alter (1476 und 1552) zurück­ge­hende Gestalt überlie­fert. Hinter der Kapelle lag an der Jakobstraße ein großer Patri­zi­er­wohn­sitz, von dem noch heute die Jakob-Kemenate zeugt.

Staat als Bauherr

Nach der Unter­wer­fung der Stadt durch Herzog Rudolf August von Braun­schweig-Wolfen­büttel im Jahr 1671 erhielten einige Straßen­züge und Plätze ein neues Gepräge durch Bauten des Barocks und Rokokos. Neben altein­ge­ses­senen Kaufleuten traten nun auch der absolu­tis­ti­sche Staat und seine Hofbe­amten als Bauherren in Erschei­nung. Die Erneue­rung der mittel­al­ter­li­chen Stadt mit modernen Bauwerken, die der zeitge­nös­si­schen Archi­tek­tur­lehre entspra­chen, war ein wichtiges Anliegen der fürst­li­chen Landes­herren.

Standort der ehema­ligen Marti­niapo­theke heute. Foto: Arnhold

So wurde die einstige Martini-Apotheke 1750 von der landes­herr­li­chen Regierung erworben und an Stelle des spätgo­ti­schen Hauses im Jahr 1777 ein statt­li­cher Neubau errichtet (Eiermarkt 1). Bauherr war der privi­le­gierte Ober-Apotheker Johann Friedrich Reichmann. Das Bauwerk wirkte mit seinen durch Giebel hervor­ge­ho­benen Achsen in der Mitte und an den Fassa­den­enden wie ein zeitge­nös­si­sches Palais. Erst auf den zweiten Blick wurde sichtbar, dass die beiden Oberge­schosse in Fachwerk gezimmert waren.

Haus Eiermarkt 3/4, Aufnahme vor 1944. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

Steinbau vorge­täuscht

Es handelte sich um ein für das 18. Jahrhun­dert typisches Beispiel einer Fachwerk­ar­chi­tektur, die einen Steinbau vortäu­schen sollte. Ein Kupfer­stich aus der Zeit kurz nach Fertig­stel­lung des Hauses zeigt das Gebäude sogar mit Eckver­qua­de­rungen, welche der Fassade in den oberen Stock­werken lediglich aufgemalt waren. Anhand von Baube­funden sind solche Fassa­den­ge­stal­tungen an barocken Fachwerk­bauten bisweilen noch heute nachzu­weisen. Nach der Bomben­nacht vom 15. Oktober 1944 blieb das massive Erdge­schoss mit den steinernen Tür- und Fenster­ge­wänden erhalten. Es wurde in einen Neubau mit drei Oberge­schossen einbe­zogen.

An der Südseite der Jakobs­ka­pelle stand das zu Beginn der 1760er Jahre ganz in Stein errich­tete Haus Eiermarkt 3/4. Der Entwurf für dieses Doppel­haus mit zwei wuchtigen Portalen und symme­tri­scher Straßen­front stammte vermut­lich von dem Baumeister Heinrich Karl Counradi. Der spätba­ro­cken Archi­tektur des Hauses entspre­chend besaß das dreige­schos­sige Gebäude ein Mansar­den­dach, während die durch flache Lisenen geglie­derte Fassade Fenster mit flachen Bögen aufwiesen. Die Gliede­rung der Portal­achsen setzte sich in den beiden Zwerch­häu­sern mit ihren Schweif­gie­beln fort. Im Inneren waren noch vor der Zerstö­rung im Zweiten Weltkrieg Räume mit Rokoko-Stucka­turen erhalten.

Eckquader Eiermarkt 3/4 heute. Foto: Arnhold

Mit Gigan­ten­fi­guren verziert

Eine besondere Preziose der in Braun­schweig seltenen Rokoko-Archi­tektur war das Eckhaus Eiermarkt 5, das die aufge­wei­tete Einmün­dung des Eiermarkts in die Stein­straße eindrucks­voll prägte. Das zweige­schos­sige Gebäude wurde 1765 wohl nach Plänen des Wolfen­büt­teler Archi­tekten Johann Heinrich Straus für den Oberamt­mann Johann Heinrich Reiche errichtet. Die Fassaden des zweiflüg­ligen Hauses kulmi­nierten in der abgerun­deten Ecke mit seinem einzig­ar­tigen Portal. Dieser über eine Freitreppe liegende Haupt­ein­gang war von reich mit Rocaille-Ornamenten verzierten Vorlagen flankiert. Aus ihnen wuchsen Gigan­ten­fi­guren heraus, welche einen Balkon mit fein gearbei­tetem Gitter aus Schmie­de­eisen trugen. Hinter der runden Ecke lagen über entspre­chend gerun­deten Grund­rissen aufge­baute Räume wie Treppen­haus und Saal. Das im Übrigen überwie­gend als Fachwerkbau ausge­führte Haus schloss mit einem Mansard­dach ab, in das Zwerch­häuser einge­bunden waren. Das entspre­chend der Ecksi­tua­tion gerundete Zwerch­haus zeigte einen gestuften Abschluss mit waagrechten Gesimsen.

Eiermarkt 5, Aufnahme um 1910. Foto aus: Karl Hubert Ross, Maleri­sche Monumental-Archi­tektur aus Hannover und Braun­schweig, Hannover o. J.

Portal­pfeiler im Museum

Im 19. und 20. Jahrhun­dert diente das Gebäude als Verwal­tungsbau der Kreis­di­rek­tion. Nach der Kriegs­zer­stö­rung dieses kostbaren Bauwerks konnte einer der Portal­pfeiler geborgen werden. Er befindet sich heute in den Sammlungen des Städti­schen Museums.

Das frühere Portal des Hauses Eiermarkt 5. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

An Stelle der Häuser Eiermarkt 3/4 und 5 befindet sich heute ein Verwal­tungs­ge­bäude der Stadt Braun­schweig (Fachbe­reich Kinder, Jugend und Familie). Es handelt sich um ein typisches und quali­täts­volles Beispiel für die Archi­tektur der 1950er Jahre. An seiner Nordwest­ecke ist im Erdge­schoss ein Rest der Eckqua­de­rung von Eiermarkt 3/4 erhalten: Scheinbar hat man Mauer­reste des Vorgän­gers in den Nachkriegsbau einbe­zogen.

Elmar Arnhold ist Bauhis­to­riker (Gebautes Erbe) und Stadt­teil­hei­mat­pfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröf­fent­licht er regemäßig Beiträge zu histo­ri­schen Bauten in Braun­schweig.

Das ehemalige Treppen­haus des Hauses Eiermarkt 5. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

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