Herr der Lage zu allen Zeiten

Andreas Döring (rechts) liest die Briefe von Rudolf Jahns. Foto: Theater Zeitraum
Andreas Döring (rechts) liest die Briefe von Rudolf Jahns. Foto: Theater Zeitraum

Theater Zeitraum überzeugt mit einer Lesung aus dem Brief­wechsel zwischen Ernst Sander und Rudolf Jahns.

Lesung aus den Brief­wech­seln zwischen Rudolf Jahns und Ernst Sander. Rudolf wer? Sander, mmmhh? Nie gehört. Sander Schrift­steller, Jahns Maler weiß google. Nun verhält es sich ja oft so, dass dieje­nigen, deren Schriften es nicht nachhaltig in den Kanon der Abitur­prü­fungen im Fach Deutsch geschafft haben, derer nicht immer mal wieder in großen Retro­spek­tiven gedacht wird, oftmals zu Recht vergessen sind. Weil von ihrem künst­le­ri­schen Schaffen womöglich nicht die epochale Strahl­kraft ausging, um sich nachhaltig als Licht­ge­stalt in der Kultur­ge­schichte zu etablieren. Derlei Gedanken begleiten einen als man die Stufen zum großen Saal im Glies­ma­roder Thurm empor steigt. Ein Brief­wechsel zweier älterer Künstler – ob der so hörens­wert ist? Oben im Saal angekommen und zwischen 20 anderen Platz genommen neigt man noch eher zur Skepsis.

Und dann beginnen Andreas Döring (Rudolf Jahns, 1896 ‑1983) und Hans Stallmach (Ernst Sander, 1896 – 1976) zu lesen. Und spätes­tens nach der ersten Viertel­stunde Lese-Ping-Pongs ist man froh, am Ende sogar berührt, diese beiden Künstler kennen­ge­lernt zu haben, ja, ihnen in dieser feinen, kleinen Lesung begegnet zu sein bei einem Bad im Meer in Jugosla­wien, auf einer Fahrt im Audi 100 in die fremde Ferne, bei der Vesper mit der fast 50 Jahre jüngeren Geliebten in Italien, bei der wilden, suizi­dalen Raucherei, der Liebe eines 74jährigen Romeos, den Spazier­gängen auf tannen­na­del­ge­pols­tertem, elasti­schen Boden in Querum.

50 Jahre nach ihrem Abitur 1915 in Braun­schweig sahen sich die beiden zum ersten Mal wieder. „Im Mantel des Unbekannten sind wir uns wieder begegnet“, wird Jahns an den Klassen­ka­me­raden von einst schreiben und befinden, dass „Schrift­steller und Maler doch recht gut zusammen passen“. Das Betörende an dieser von Gilbert Holzgang arran­gierten und mit dezenten, thema­tisch klug abgestimmten Musik­ein­spie­lungen durch­wo­benen Lesung ist die Kombi­na­tion von intel­lek­tu­ellen Aufschwüngen und sprach­lich brillant geschlif­fenen Einbli­cken in das Schaffen eines Künstlers mit den profanen, mit einem leichten, fast trotzigen Schul­ter­zu­cken zur Kenntnis genom­menen Abgründen des Alterns und des Alters und des Alltags.

Der Brief­wechsel beginnt 1967, beide sind eigent­lich im fortge­setzten Renten­alter. Sander, der im Breisgau lebt, lernen wir als Reclam-Übersetzer kennen, eine Art running-gag ist sein Greinen über den elenden Balzac, den zu übersetzen er so was von Leid ist. Jahns, der einem ungeliebten Brotberuf als Zollbe­amter in Holzminden nachging, ist als Künstler den Konstruk­ti­visten zuzurechnen. Eigent­lich, so präpa­riert sich das während der Lesung schnell heraus, ist er, Jahns, der Poet. Wenn Rudi seinem Freund Ernst schildert, wie er sich mit größter Sorgfalt dem Malgrund – „niemals fertig gekauften!“ – widmet, die Hartfa­ser­platte mit Roller, Pinsel oder Handballen derart mit dem selbst gerührten Malgrund belegt, dass sich eine andere Struktur für die Sprache und Melodie der wenigen Farben und einfachen Formen ergibt, ach – dann ist man ganz gefangen von dem Faszi­nosum des Zuein­an­der­kom­mens von Form und Farbe. Oder wenn er die Zinkplatte für seine Drucke mit der sehr feinpo­rigen Haut einer Frau vergleicht und die Linie in seiner Malerei als Lebewesen wie jedes andere auch preist, dann ist man begeis­tert von der diffe­ren­zierten, schil­lernden Sprach­vir­tuo­sität dieses Rudolf Jahns.

Natürlich lässt Gilbert Holzgang in seiner niemals die Zügel der Aufmerk­sam­keit schleifen lassenden Regie auch Klagen über finan­zi­elle Engpässe nicht aus, Rückblicke in die dunklen Jahre der Kriege sowie der Kindheit bei Sander, die ihm „ein Inferno“ war, haben auch ihren Raum. So wurde Sander als „entar­teter Feuil­le­to­nist und Antifa­schist“ denun­ziert“, Jahns hatte in Braun­schweig später zu kämpfen mit den Gaune­reien eines Galeristen, „ein Lump, dieser Dr. L.“ Doch trotz allem begegnen uns zwei Männer, die die harten Jahre nicht zu brechen vermochten, die, wie Jahns erkennt im Alter, durch die guten, jungen Jahre mit Schul­or­chester und Theater ein Fundament bekamen, auf dem sich aufbauen, leben ließ, das sie getragen hat, den Geist beflügelt und stets wach gehalten hat.

Beide lieben im Alter viel jüngere Frauen. Sander hat eine Nebenfrau, Jahns eine ab und an anrei­sende Geliebte, was seinem Naturell entspricht, denn eigent­lich ist er ganz gern allein, denn, so schreibt er am Ende seiner Tage, „wer erkennen kann, ist nie allein“. Als Chris­tiane dann doch ihren Ernst verlässt, schreibt Rudi sinngemäß: „Was willst Du? Er ist jung, frisch, dagegen kannst nicht mit Klugheit und Alters­würde angehen.“ Den Humor verlieren beide zu keiner Zeit, auch als Ernst erkrankt nicht. Rudi schreibt ihm bildmäch­tige Zeilen des Trostes: „Ich denke, Du bist der Herr der Lage, oben auf dem Berg angekommen.“ Die Mühen des Alltags – ich sage nur Balzac! – lasten nicht mehr auf ihm, nun sei er frei, so Rudi, gute Gedichte zu machen.

Ein bisschen gallig schreiben sie von Hirnleere, grüßen als Dein verkal­kender Freund, sind doch aber im Grunde hellwach, diagnos­ti­zieren blitz­ge­scheit ihre Umwelt, werden womöglich schneller müde, aber empfinden die Arbeit doch immer noch als Befreiung von sich selbst, als Vehikel gegen Alters­de­pres­sion.

Manchmal muss man auflachen, so, wenn Rudi schreibt, er wollte lieber blöd sein, aber gesund. Oder Ernst angesichts des großen Verdienst­kreuzes konsta­tiert, er werde auch dieses Kreuz zu tragen wissen.

Die Lesenden haben hier zwei Perlen privater Korre­spon­denz zum Leuchten gebracht, modulieren prägnant und präzise, ohne sich je in den Vorder­grund zu drängen. Welch eine Lust es diesen Männern gewesen sein muss, die Gedanken fürein­ander so ambitio­niert und detail­ver­liebt, ohne jeden Anflug von Nachläs­sig­keit zu drechseln! Man hört quasi die Tinten­feder übers Papier kratzen – anders kann das gar nicht sein.

Als das Leben der beiden sich dem Ende neigt, schreibt Jahns, wohl in der Ahnung des Todes des Freundes (und Tod wird ja immer gleich mit schwarz assozi­iert): „Schwarz ist Diaman­ten­glut, so alt wie die Erde, Geheimnis, leuch­tende Tiefe, Schwarz macht, das die anderen Farben leuchten, sie ist Urgrund und Ferne. Immer souverän.“ Und Sander schickt vom Kranken­lager einen seiner letzten Grüße: Ich sah mich an einem grau-grünen Gewölbe, an einer Art Teich und ich dachte: Gleich ist es hinüber. Und es ist gar nicht so schlimm.“

Manche sind eben doch zu Unrecht vergessen.

„Herr der Lage“ ist eine Produk­tion des Theaters Zeitraum Braun­schweig im Auftrag des Arbeits­kreises andere Geschichte. Für Regie und Drama­turgie zeichnet Gilbert Holzgang verant­wort­lich. Der Brief­wechsel ist vollständig im Stadt­ar­chiv Braun­schweig erhalten. Unter­stützt wird das Projekt von der STIFTUNG NORD/LB • ÖFFENTLICHE. Weitere Lesungen: 22 . Mai, 19.30, Schloss­theater Wolfen­büttel, 25. Mai, 11.15 Uhr, Sprengel-Museum Hannover, 4.Juni, 19.30 Uhr Kaiser­saal Bad Ganders­heim, 10. Juni, 19 Uhr, Städti­sches Museum Braun­schweig, 11. Juni, 19.30 Uhr, Glies­ma­roder Thurm, 13. Juni, 19.30 Uhr, Till-Eulen­spie­gel­mu­seum Schöp­pen­stedt, 14. Juni, 19.30 Uhr, Glies­ma­roder Thurm, 6. Juli, 16 Uhr, Stiftung Moritz­burg, Kunst­mu­seum, Halle (Saale).

Mehr unter www.theater-zeitraum.de

Fotos

Das könnte Sie auch interessieren

  • Herr der Lage

    Herr der Lage

    Der Brief­wechsel von Rudolf Jahns und Ernst Sander als Lesung mit Musik. Georg Holzgang, freischaf­fender Dramaturg und Regisseur beim Theater Zeitraum Braun­schweig und am Braun­schweiger Staats­theater, führt vom 8. Mai bis zum 14. Juni 1014 an verschie­denen Orten in der Region eine außer­ge­wöhn­liche Lesung mit Musik auf. Der Titel lautet „Herr der Lage“. Inhalt der… Weiterlesen

  • Die Lage in der Kultur­szene sieht düster aus

    Die Lage in der Kultur­szene sieht düster aus

    „Der Löwe – das Portal für das Braunschweigische“ fragte freie Kulturschaffende, wie es ihnen mitten in der Corona-Krise geht. Weiterlesen

  • Es bleibt die Existenz­angst

    Es bleibt die Existenz­angst

    Umfrage in der Kulturszene: Nach einem halben Jahr coronabedingter Einschränkungen wächst die Zuversicht. Weiterlesen