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Es bleibt die Existenzangst

Andreas Jäger als Herzog Anton Ulrich. Foto: Museum Wolfenbüttel/ Florian Kleinschmidt.
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Umfrage in der Kulturszene: Nach einem halben Jahr coronabedingter Einschränkungen wächst die Zuversicht.

Nicht sorgenfrei, aber doch zuversichtlich blickt die Braunschweigische Kunst- und Kulturszene nach einem halben Jahr Corona-Einschränkungen in die Zukunft. Angesichts der pandemiebedingt sinkenden Einnahmen sehen sich vor allem die freien Theater weiter in einer existenzbedrohenden Situation. „Der Löwe – das Portal für das Braunschweigische“ hat sich nach der Umfrage von Anfang April erneut umgehört.

Vorsichtig analog

Julia Taut. Foto: BBK/Andreas Greiner-Napp

Julia Taut. Foto: BBK/Andreas Greiner-Napp

Julia Taut/Geschäftsführerin Bund Bildender Künstlerinnen und Künstler in Braunschweig: Wir befinden uns in einer Phase des vorsichtigen Tastens. Kunst ist wieder analog erfahrbar, Ausstellungen sind unter Auflagen geöffnet. Dafür sind wir sehr dankbar und wissen, dass andere urbane Orte wie Clubs weiterhin geschlossen sind. Doch die Künstlerinnen und Künstler sorgen sich weiterhin zu Recht um ihre Existenz. Soforthilfen für Freiberufler und Solo-Selbstständige klammerten meist die Lebenshaltungskosten aus, lediglich gewerbliche Betriebskosten konnten angerechnet werden. Doch die wenigsten Künstlerinnen und Künstler mieten ein externes Atelier, der Verweis auf die Grundsicherung war und ist für viele unserer Mitglieder einfach nur ein Graus.

Der Freundeskreis für Bildende Künstler in Braunschweig e.V. hat sich einiger besonders harter Fälle von Umsatzeinbußen bereits angenommen. Mit dem Programm „Neustart für Bildende Künstlerinnen und Künstler“ ist ein erster Schritt getan, dennoch fordern wir seit der Corona-Pandemie vehementer eine verbindliche Ausstellungsvergütung, die Stärkung der Urheberrechte, eine ermäßigte Mehrwertsteuer für den Kunsthandel, eine Aufstockung bzw. Wiederherstellung der Ankaufsetats städtischer und staatlicher Museen von Bund, Ländern und Kommunen, um die kontinuierliche Sammlung zeitgenössischer Kunst wieder aufzunehmen und eine verbindliche Kunst am Bau bei allen öffentlich geförderten Bauwerken.

Selbstverständlich blicken auch wir als Galerie sorgenvoll in die Zukunft. Das Kunsthaus BBK ist ein Teil der kulturellen Infrastruktur dieser Stadt und somit ein vitaler Nährboden für künstlerisches Schaffen und Kunstrezeption. Wir werden großzügig durch die institutionelle Förderung der Stadt Braunschweig sowie durch die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz unterstützt. Wir haben durchaus coronabedingte Mehrausgaben bzw. Einbußen, unsere Basisarbeit leidet jedoch im Moment noch nicht. Dennoch fürchten wir uns vor kommunalen Sparmaßnahmen aufgrund steuerlicher Einbußen.

Für den Erhalt kämpfen

Miriam Paul im Pavillon des Wirtshauses „Heinrich“ Foto: Theater Fadenschein/ Yvonne Uhlig

Miriam Paul im Pavillon des Wirtshauses „Heinrich“ Foto: Theater Fadenschein/ Yvonne Uhlig

Miriam Paul, Theater Fadenschein: Zuerst die gute Nachricht: Mitte September nehmen wir den Spielbetrieb für Kinder und Erwachsene wieder auf und der Vorverkauf läuft. Wir freuen uns sehr darauf, die wunderbaren Stücke, wir vor einem halben Jahr coronabedingt absagen mussten, endlich gemeinsam mit unserem Publikum zu erleben. Ein Virendoktor für unsere Klimaanlage und eine neue Lüftungsanlage ermöglichen uns, wieder in unserem schönen Theatersaal zu spielen. Einen ersten Kontakt zum Publikum hatten wir bereits im Juni und Juli Open Air. Dank der kurzfristigen Unterstützung der Braunschweigischen Stiftung und der Gastfreundschaft des Wirtshauses „Heinrich“ spielten wir an sieben ausverkauften Wochenenden einen Sommerspielplan, den es so noch nie gab – vielleicht der Beginn

Die schlechte Nachricht: Der Spielbetrieb im Theater Fadenschein unter Einhaltung von Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen ist trotz Erhöhung der Eintrittspreise nicht kostendeckend möglich. Weniger als die Hälfte der möglichen Sitzplätze stehen zur Verfügung. Aber es gibt Hoffnung: Dringend notwendige Hilfsprogramme zur Bezuschussung von Vorstellungen durch Bund und Land sind in Planung, denn der Erhalt der Spielstätten ist die Grundlage der Zukunft der freien Szene.

Große Sorgen bereitet der Blick auf das Weihnachtsprogramm, bislang die finanzielle Grundlage der kommenden Spielzeit. Acht Wochen lang spielen wir normalerweise täglich zwei ausverkaufte Vorstellungen mit bis zu 120 Besucherinnen und Besuchern aus Kindergärten und Schulen. Doch momentan dürfen lediglich „Kohorten“ in den Theatersaal. Und viele Einrichtungen scheuen die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Es bleibt also offen, ob diese Vorstellungen stattfinden werden. Das betrifft auch die theaterpädagogischen Angebote für Kindergärten und Schulen. Ein Teil davon musste bereits abgesagt werden.

Viel Zeit haben wir darauf verwendet, Anträge für Fördermittel zu stellen, um das Überleben des Theaters zu sichern. Uns mit anderen Theatern oder Verbänden auszutauschen, um Rat zu bitten und Erfahrungen weiter zu geben, ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit geworden. Trotz allem sind wir optimistisch. Das Theater Fadenschein gibt es nun schon mehr als 30 Jahre. Es ist das einzige Figurentheaterhaus der Stadt und die meisten Braunschweigerinnen und Braunschweiger waren mindestens schon einmal hier zu Gast und kommen gern wieder. Das motiviert uns weiter für den Erhalt dieses Hauses zu kämpfen.

Grunddilemma Grundfinanzierung

Der Eingang zum LOT-Theater. Foto: LOT-Theater

Der Eingang zum LOT-Theater. Foto: LOT-Theater

Stefani Theis, LOT-Theater: Wir haben die Spielzeit am Anfang September mit unserem Intensiv-Tanztheater-Klub unter den gebotenen Sicherheits- und Hygieneregeln. Das bedeutet natürlich wesentlich weniger Tickets, die verkauft werden können. Was bei einer ausverkauften Vorstellung heißt 35 statt 120 Zuschauerinnen und Zuschauer bei normaler Tribünenbestuhlung. Daraus resultieren wesentlich weniger Einnahmen im Ticketing und Getränkeverkauf.

Dank der pandemiebedingten Bundesförderung „Neustart Kultur“ können notwendige Investitionen getätigt werden, die einen Spielbetrieb zurzeit überhaupt erst möglich machen. Hilfreich waren auch die Soforthilfen und das Kurzarbeitergeld, aber jetzt geht es in die Phase eines wieder laufenden Spielbetriebs und die anfallenden Betriebskosten wollen bezahlt werden. An dieser Stelle wird die Problematik einer fehlenden Grundfinanzierung für Betriebskosten von freien Theaterhäusern in Niedersachsen überdeutlich. Angesichts der pandemiebedingt sinkenden Einnahmen tritt eine deutliche Verschärfung dieser Situation ein.

Dieses Grunddilemma gilt es, vor allem mit der Landespolitik zu lösen. Zum größten Teil können alle geplanten Veranstaltungen bis Jahresende durchgeführt werden, da die meisten Produktionen sich auf die pandemiebedingten Vorgaben einstellen konnten. Auch für die abgesagten Veranstaltungen haben wir gute Alternativen finden können. Wir sind gespannt, auf das, was kommt und die nächsten Wochen werden zeigen, ob wir neue Routinen im Zusammenspiel Zuschauer, Künstler und Veranstalter entwickeln können. Der Probenbetrieb der letzten Wochen hat gut funktioniert.

Coronataugliche Konzepte entwickeln

Andreas Jäger als Herzog Anton Ulrich. Foto: Museum Wolfenbüttel/ Florian Kleinschmidt.

Andreas Jäger als Herzog Anton Ulrich. Foto: Museum Wolfenbüttel/ Florian Kleinschmidt.

Schauspieler Andreas Jäger: Dank der finanziellen Unterstützung durch die Corona-Hilfe der Stadt Braunschweig wurden die Einnahmeausfälle von März bis Mai kompensiert, das ging schnell und unbürokratisch, doch für mein Programm zur Begleitung des Lichtparcours möchte das Kulturinstitut dann auch gleich wieder eine Lizenzgebühr haben …

Aber egal, der Hunger der Braunschweiger nach Kultur war so groß, dass meine Veranstaltungen „Sein oder Lichtschein“ fast immer ausverkauft sind, und ich mich daher zurzeit über einen Mangel an Arbeit nicht beklagen kann. Außerdem bin ich dabei, coronataugliche Konzepte für weitere Veranstaltungen im Herbst und Winter zu entwickeln, der Kopf ist voller Dinge, die nur darauf warten umgesetzt zu werden… , denn eins ist klar, wir Künstler müssen weitermachen, nicht trotz Corona sondern mit Corona, und wenn wir zusammenhalten, Ideen austauschen, gemeinsame Projekte veranstalten, dann wird uns auch das Überleben in der Krise gelingen. Ich blicke zuversichtlich auf das nächste halbe Jahr, denn wir sind nicht allein, das Publikum ist auf unserer Seite und wartet nur darauf, dass wir aus unserer Corona_Pause wieder auftauchen, ganz langsam, voller Kreativität, aber mit Sicherheitsabstand und Nase-Mundbedeckung!

Herausforderung annehmen

Dr. Ulrike Sbresny, Schlossmuseum Braunschweig: Bereits Anfang Mai hatten die Museen die Möglichkeit, ihre Türen wieder für Besuche zu öffnen, darüber sind wir – auch in Hinblick auf die dramatische Situation anderer Kultureinrichtungen – sehr dankbar. Gleichzeitig sehe ich hier auch eine große Verantwortung, denn wir alle wissen: Covid 19 bleibt eine Gefahr, vor der wir sowohl das eigene Team als auch die Museumsgäste bestmöglich schützen müssen. Es ist dabei schön zu sehen, dass der überwiegende Teil unserer Besucherinnen und Besucher die Sicherheitsvorkehrungen selbstverständlich annimmt und mitträgt. Dass unser Team sowohl in der Zeit der Museumsschließung als auch seit der Wiederöffnung verständnisvoll und motiviert auf alle Veränderungen reagiert hat, macht die Arbeit in diesem neuen Alltag aber erst möglich.

Alles in allem kann ich sagen, dass es uns verhältnismäßig gut geht. Wir haben unsere aktuelle Sonderausstellung „Gesellschaft der Freunde junger Kunst“ bis zum 10. Januar 2021 verlängert und dabei von allen Förderern (Stadt Braunschweig, Richard Borek Stiftung, Die Braunschweigische Stiftung, Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, Stiftung Niedersachsen) und Leihgebern (darunter neben privaten Leihgebern vor allem das Städtische Museum Braunschweig, das Herzog Anton Ulrich-Museum sowie das Niedersächsische Landesarchiv Abteilung Wolfenbüttel und das Stadtarchiv) große Unterstützung erfahren.

Ein großes „Aber“ bleibt jedoch: Ein wichtiger Baustein der Museumsarbeit ist die Vermittlung, die maßgeblich durch Führungen und Veranstaltungen lebendig und spannend wird. Dieser Aspekt fehlt schmerzlich und noch immer können wir den in diesem Bereich freiberuflich Tätigen nicht ansatzweise so viele Aufträge übergeben, wie wir es uns wünschen würden. Wie allen Betroffenen, kostet es auch unser kleines Team viel Kraft, hier flexibel und kreativ zu bleiben. Dennoch nehmen wir die Herausforderung an!

Kultur sehr bedeutend

Barbara Hofmann-Johnson, Museum für Photographie: Wir freuen uns darüber, dass nun wieder Besuche der Ausstellungen möglich sind. Unter Berücksichtigung der Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung von Infektionen wird das Museum von einem interessierten Publikum unterschiedlicher Generationen besucht. Die Bedeutung, die kulturelle Angebote für viele Menschen haben wird sehr deutlich.

Umfrage vom 1. April 2020: www.der-loewe.info/die-lage-in-der-kulturszene-sieht-duester-aus

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