Schüler besuchten ehema­liges KZ-Gelände

Die Schülerinnen und Schüler der 10e des Gymnasiums Große Schule befragten Zeitzeuginnen aus Schandelah über ihre Erinnerungen an das KZ und die NS-Zeit. Foto: Yvonne Salzmann
Die Schülerinnen und Schüler der 10e des Gymnasiums Große Schule befragten Zeitzeuginnen aus Schandelah über ihre Erinnerungen an das KZ und die NS-Zeit. Foto: Yvonne Salzmann

Die Klasse 10e des Gymna­siums Große Schule erkundete im Rahmen einer Foto- und Geschichts­werk­statt das Gelände des ehema­ligen KZ-Außen­la­gers in Schan­delah. Das Zeitzeu­gen­ge­spräch am Ende des mehrtä­gigen Workshops zog die Wolfen­büt­teler Schüle­rinnen und Schüler in ihren Bann.

Jeder kennt die schreck­li­chen Film- und Fotoauf­nahmen, die unmit­telbar nach der Befreiung durch sowje­ti­sche Truppen im Konzen­tra­ti­ons­lager Auschwitz aufge­nommen wurden. Die Zeitdo­ku­mente zeigen ausge­hun­gerte, oft über viele Jahre körper­lich und seelisch gequälte KZ-Insassen sowie Leichen­berge. Sie spiegeln unend­li­ches Leid wider. Doch dass natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Verbre­chen nicht selten vor der eigenen Haustür statt­ge­funden haben, erfuhren Schüle­rinnen und Schüler der Klasse 10e des Gymna­siums Große Schule in Wolfen­büttel bei einer Erkun­dungs­tour über das Gelände des ehema­ligen KZ-Außen­la­gers Schan­delah-Wohld. Geleitet wurde der mehrtä­gige, von der Braun­schwei­gi­schen Stiftung und der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz geför­derte Workshop von der Fotokünst­lerin Yvonne Salzmann und dem Histo­riker Markus Gröch­tem­eier.

11 Kilometer lang, 2,5 Kilometer breit – Nordöst­lich des Ortes Schan­delah befindet sich das vermut­lich größte zusam­men­hän­gende Ölschie­fer­vor­kommen in Deutsch­land. Angesichts des drasti­schen Engpasses in der Treib­stoff- und Energie­ver­sor­gung der deutschen Armee gegen Ende des Zweiten Weltkrieges kamen die natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Entschei­dungs­träger auf die Idee, aus diesem Sediment­ge­stein Treib­stoff zu gewinnen. Somit war Schan­delah erste Wahl für Abbau- und Forschungs­ar­beiten hinsicht­lich des Schiefers. Aufgrund des Arbeits­kräf­te­man­gels bedienten sich die Macht­haber für die schweren Arbeiten der Häftlinge des KZ Neuen­gamme. Bis zu 800 KZ-Gefangene aus 15 unter­schied­li­chen Nationen bauten zwischen Herbst 1944 und dem 11. April 1945 bei Schan­delah Ölschiefer ab.

Etwa 300 Männer unter anderem aus Frank­reich, Belgien, Polen, Russland und Tsche­chien – darunter Wider­ständler und alliierte Kriegs­ge­fan­gene – aber auch Deutsche fanden im Arbeits­ein­satz unter grausamen Arbeits- und Lebens­be­din­gungen sowie der schlechten Hygiene und Ernäh­rungs­lage den Tod. Viele wurden Opfer der Gewalt der SS-Wachmann­schaften – und wurden aus Willkür oder auf der Flucht erschossen. Die Spuren ihrer Taten verwischten die NS-Verbre­cher: Mit heran­na­hendem Kriegs­ende im Landkreis Wolfen­büttel wurden die Toten immer häufiger an einer Stelle im nahege­le­genen Waldstück einfach so verscharrt.

Jeder der KZ-Häftlinge mit bloßen Händen – zehn bis zwölf Stunden täglich – einen Bahndamm aus dem Boden stampfen mussten. Eine Tortur für jeden Gefan­genen, denn die über 20 Kilogramm schweren Bahnschwellen galt es Tag für Tag mit bloßen Händen zu tragen. Wie schwer dies ist, erfuhren die Schüle­rinnen und Schüler sehr anschau­lich, indem sie zwei Wasser­eimer mit jeweils 10-Kilogramm-Gewichten in die Hände nahmen – und sich einige Meter fortbe­wegten. Im Waldstück erkannte die Geschichts­klasse der Großen Schule den ehema­ligen Bahnli­ni­en­ver­lauf und fanden Überreste des Damms, der von einer Lorenbahn befahren wurde und die Verbin­dung vom Abbau­ge­biet und Bahnhof Schan­delah herstellte, in Form von Schot­ter­steinen.

Weiter ging es bei der Waldtour zu einer Stelle, an der der Ölschiefer heute noch sichtbar ist. Hier lernten die Workshop-Teilnehmer etwas über die Beschaf­fen­heit von Ölschiefer – aber auch über die Ineffek­ti­vität des Prozesses: Aus 35 Tonnen Ölschie­fer­masse, die unter für die KZ-Häftlinge unmensch­li­chen Arbeits­be­din­gungen – teilweise mit bloßen Händen – gefördert wurden, konnte lediglich eine Tonne Treib­stoff gewonnen werden. Und dieser funktio­nierte nur bei bestimmten Motoren­typen. Tag eins endete nach einer Wanderung mit festem Schuhwerk zur neu angelegten Gedenk­stätte KZ Schan­delah-Wohld (an der Kreis­straße Richtung Scheppau) mit dem Gedenk­stein mit der Aufschrift „Wir lernen nur, wenn wir nicht vergessen“, den ganz neuen Infor­ma­ti­ons­ta­feln und am ehema­ligen Abbau­ge­biet, das heute ein See ist.

Von dort aus ging es zu Fuß zu den Überresten des ehema­ligen Ölschie­fer­brenn­ofens in Form eines Beton­ske­letts, das heute wie ein Mahnmal mitten in der Landschaft steht, früher jedoch ein komplexes Forschungs­pro­jekt darstellte. Über einen Feldweg gelangten alle zur ehema­ligen Massen­grab­stelle im Wald. Die Grabstellen sind durch den leicht einge­fal­lenen Boden heute noch gut erkennbar. Über hundert KZ-Insassen wurden hier, teilweise zu mehreren Personen auf einer Grabstelle, einfach so im Boden vergraben. Zu Beginn der 50er Jahre wurden die Toten exhumiert und in Särgen bestattet. Heute liegen über 100 zum Teil unbekannte Personen auf dem Friedhof Scheppau auf einem Ehren­friedhof begraben.

„Wir möchten mit unseren Workshops Schüle­rinnen und Schülern die Ereig­nisse des NS-Unrechts­staates näher­bringen. Alle Workshop-Teilnehmer erhalten auf einem ‚Entde­ckungs­pfad‘ einen histo­ri­schen Einblick in das Thema KZ und Zwangs­ar­beit, betei­ligen sich jedoch auch aktiv an der Spuren­suche. Dies geschieht außer in archäo­lo­gi­scher Weise insbe­son­dere durch die Betrach­tung durch den Sucher eines Fotoap­pa­rates“, berichtet Kurslei­terin und Fotokünst­lerin Yvonne Salzmann. „Jeder Teilnehmer berichtet und beschäf­tigt sich während des Projektes mit dem Thema und sucht sich dafür entspre­chende Bilder und Motive. Die öffent­liche Präsen­ta­tion in Form eines Kataloges, der mit nach Hause genommen werden kann, dient als dauer­hafte Dokumen­ta­tion einer eigenen ‚Kunst- und Geschichts­pro­duk­tion‘.“

Bei einem zweiten Besuch in Schan­delah inter­viewten die Schüle­rinnen und Schüler im Rahmen einer Kaffee­runde auf dem Hof von Marlis Krüger, die Mutter von Yvonne Salzmann, vier ältere Einwoh­ne­rinnen des Ortes, die sehr ehrlich und emotional über die Zeit des Natio­nal­so­zia­lismus und an Flucht und Vertrei­bung berich­teten. Ein zweistün­diges Gespräch, das die Klasse von Sandra Feuge tief beein­druckte.

Den Anfang hatte bereits vor drei Jahren die mehrtä­gige Geschichts- und Fotowerk­statt „Durch­ge­blickt – das KZ-Außen­lager Schan­delah-Wohld“ mit Kindern und Jugend­li­chen Mansfeld-Löbbecke-Stiftung gemacht. Beim bereits damals von der SBK geför­derten Pilot­pro­jekt hatten insgesamt sechs Jungen und Mädchen im Alter zwischen acht und 17 Jahren aus den Stiftungs­wohn­gruppen aus Goslar, aus Vienen­burg und aus Hahnen­klee – im Wechsel­spiel zwischen Dokumen­ta­tion und Fotografie – sieben für das KZ Schan­delah-Wohld histo­risch bedeut­same Stationen erkundet.

Zusam­men­ar­beit

Das Model­pro­jekt erfolgte unter Einbe­zie­hung der Schulen, der örtlichen Gemein­de­ver­wal­tung, der Politik, der Inter­es­sen­gruppen und Bevöl­ke­rung sowie der Arbeits­gruppe um Dr. Diethelm Krause-Hotopp, die sich bereits seit Beginn der 1980er Jahre mit dem Ausbau der Gedenk­stätte für das KZ Schan­delah befasst. Jedes Jahr findet Anfang Mai eine stets ergrei­fende Gedenk­ver­an­stal­tung zum KZ Schan­delah-Wohld statt – unter Teilnahme auslän­di­scher Opfer­fa­mi­lien.

Fotos

Das könnte Sie auch interessieren