Von der „Kleinen Burg“ auf die große Bühne

Autogrammkarte „Tadellöser und Wolff“ mit Unterschriften von Martin Semmelrogge (links) und Edda Seippel. Foto: Archiv Roffmann
Autogrammkarte „Tadellöser und Wolff“ mit Unterschriften von Martin Semmelrogge (links) und Edda Seippel. Foto: Archiv Roffmann

Vor hundert Jahren wurde die Schau­spie­lerin Edda Seippel in Braun­schweig geboren.

Als Mutter Kempowski schrieb Edda Seippel in den Verfil­mungen von „Tadel­löser und Wolff“ und „Ein Kapitel für sich“ deutsche Fernseh­ge­schichte. Am 19. Dezember jährt sich der Geburtstag der in Braun­schweig aufge­wach­senen großen Schau­spie­lerin zum 100. Mal. Grund genug für „Der Löwe – das Portal für das Braun­schwei­gi­sche“, auf ihr Leben zurück­zu­bli­cken.

Edda Seippels Vater Herrmann stammte aus einer Hamburger Buchhänd­ler­fa­milie, er führte die Famili­en­tra­di­tion zunächst weiter, gründete aber später in Braun­schweig eine Handels­agentur. Ihre Mutter „Bona“ Auguste Sophie Lüning kam aus gutbür­ger­li­chen Verhält­nissen und war vor der Heirat in Lüneburg als Lehrerin tätig. Edda Seippel erinnert sich später in einem Interview in der „Zeit“, dass sie und ihre Eltern für die Angehö­rigen mütter­li­cher­seits immer die armen Verwandten geblieben waren.

Zuhause in der Bertram­straße

Die Familie wohnte in der Braun­schweiger Bertram­straße. Edda hatte noch einen älteren Bruder, der wie seine Mutter später die Lehrerlauf­bahn einschlug. Als Schülerin besuchte sie das Gymnasium „Kleine Burg“. Die junge Edda verließ die Schule aller­dings vor dem Abitur, um ihrem Wunsch, Tänzerin zu werden, näher zu kommen.

Den Plan ließ Edda Seippel aller­dings früh fallen, um lieber die Schau­spiel­kar­riere einzu­schlagen. Erste Engage­ments führten sie Ende der 1930er Jahre in das mecklen­bur­gi­sche Neustre­litz und nach Göttingen, in den 1940er Jahren nach Breslau, Hamburg und Stuttgart. Anfang der 1950erJahre zog es sie wieder nach Hamburg, wo sie während mehrerer Spiel­zeiten im Deutschen Schau­spiel­haus auf der Bühne stand. Später war sie als Ensem­ble­mit­glied der Städti­schen Bühnen Frankfurt zu sehen. In den 1960er Jahren und Anfang der 1970er war sie häufig am Münchner Residenz­theater engagiert.

Hochzeit 1953 in Braun­schweig

Während der Jahre in Hamburg lernte Edda Seippel auch ihren späteren Ehemann Gerhard Forsch­bach kennen. Sie heiratete den 1913 in Breslau geborenen Arzt 1953 in Braun­schweig. Ihr Vater Herrmann erlebte die Heirat seiner Tochter nicht mehr. Er war bereits ein Jahr zuvor in Braun­schweig gestorben.

Im Verlauf ihrer langjäh­rigen Schau­spie­ler­kar­riere boten Edda Seippel die großen deutschen Bühnen eine künst­le­ri­sche Heimat. Sie arbeitete mit Fritz Kortner als Regisseur zusammen und unter der Intendanz von August Everding; zu den Kolle­ginnen und Kollegen, mit denen sie auf der Bühne stand, zählten Ingrid Andree, Monica Bleibtreu, Marianne Hoppe, Bernhard Minetti, Will Quadflieg und Klaus Schwarz­kopf.

Späte Karriere im Fernsehen

In den 1970er Jahren wurde die Theater­schau­spie­lerin mit nunmehr über fünfzig Jahren auch einem breiten Fernseh­pu­blikum bekannt. Als Mutter Kempowski prägte sie sich in der Litera­tur­ver­fil­mung „Tadel­löser und Wolff“ ins kollek­tive Bewusst­sein der Fernseh­zu­schauer ein. Der Fernseh­zwei­teiler entstand 1975 unter der Regie von Eberhard Fechner und basiert auf dem gleich­na­migen Roman von Walter Kempowski. In seiner autobio­gra­phi­schen Chronik berichtet der Schrift­steller über das Leben seiner Familie von 1939 bis 1945 in Rostock.

Edda Seippel spielte Mutter Grete, deren anklagend-nörgle­ri­sches „Nein, wie isses nun bloß möglich“ zum geflü­gelten Wort wurde. Unver­gessen ist auch ihr immer wieder im Brustton der Überzeu­gung hervor­ge­brachter Ausspruch „Kinder, wie isses nur zu und zu schön!“, mit dem sie hartnä­ckig der um sie herum in Trümmern liegenden Welt einen notori­schen Zwangs­op­ti­mismus entge­gen­setzte. Die Verfil­mung endet mit dem Einmarsch der Roten Armee im Mai 1945 in Rostock.

Goldene Kamera 1980

Die Fortset­zung des Fernseh­mehr­tei­lers lief 1979 über den Bildschirm. In „Ein Kapitel für sich“ wird das Leben der Familie Kempowski nach dem Krieg in der neu gegrün­deten Sowje­ti­schen Besat­zungs­zone gezeigt. Für ihre Darstel­lung der Grete Kempowski in „Ein Kapitel für sich“ erhielt Edda Seippel 1980 die Goldene Kamera. Im Roggen­kamp-Interview berich­tete die Schau­spie­lerin 1987, für die Umsetzung der Rolle Anleihen bei den eigenen Verwandten gemacht zu haben, die sie mit ihren teils wunder­li­chen Eigen­arten dazu inspi­riert hätten.

Ende der Siebziger Jahre wirkte Edda Seippel in einem weiteren viel beach­teten Fernseh­mehr­teiler mit, der Verfil­mung des Romans „Jauche und Levkojen“. Zu den Verfil­mungen aus den 1970ern, die sich mit der unmit­tel­baren Vergan­gen­heit des Dritten Reichs ausein­an­der­setzen, gehörte auch Peter Beauvais‘ filmische Umsetzung von Siegfried Lenz‘ „Deutsch­stunde“ aus dem Jahr 1971. Dabei stand Edda Seippel bereits zum ersten Mal mit ihrem Filmpartner aus „Jauche und Levkojen“ vor der Kamera. Arno Assmann spielte den Dorfpo­li­zisten Jepsen, der in fanati­scher Ausübung seiner Pflicht das über Max Ludwig Nansen verhängte Malverbot überwacht, Edda Seippel übernimmt als Ditte Nansen die Rolle der Ehefrau des Malers, für den Lenz als reales Vorbild Emil Nolde diente.

In Cannes ausge­zeichnet

1976 wirkte Edda Seippel in der Litera­tur­ver­fil­mung „Die Marquise von O.“ nach der Novelle von Heinrich von Kleist mit. In der deutsch-franzö­si­schen Kinoko­pro­duk­tion unter der Regie von Éric Rohmer übernahm sie die Rolle der Mutter der von Edith Clever darge­stellten Titel­heldin und war an der Seite namhafter Schau­spieler wie Bruno Ganz und Otto Sander zu sehen. Bei den Filmfest­spielen in Cannes wurde der Beitrag mit dem Spezi­al­preis der Jury ausge­zeichnet.

Im Film „Frühlings­sin­fonie“ aus dem Jahr 1983 arbeitete Edda Seippel unter der Regie von Peter Schamoni. Sie spielte dabei an der Seite Herbert Gröne­meyers. Gröne­meyer stellte den Kompo­nisten Robert Schumann dar, der sich in die junge Pianistin Clara Wieck (Nasstasja Kinski) verliebt. In den 1980er Jahren wirkte die Schau­spie­lerin an einigen weiteren Filmpro­duk­tionen mit, die auf der Kinolein­wand ein breites Publikum erreichten. Dazu gehörte mit „Ödipussi“ einer der erfolg­reichsten deutschen Filme des Jahres 1988.

Am 12. Mai 1993 starb Edda Seippel-Forsch­bach in München. Die bayeri­sche Landes­haupt­stadt wurde in ihrem bewegten Schau­spie­ler­leben für sie und ihren Mann im Lauf der Zeit zu einem fixen Lebens­mit­tel­punkt. Ihr Grab und das ihres 2004 verstor­benen Mannes befindet sich in Gräfel­fing bei München.

Autorin Dr. Astrid Roffmann promo­vierte im Jahr 2000 über Thomas Mann an der Techni­schen Univer­sität Carolo-Wilhel­mina zu Braun­schweig. Sie arbeitete unter anderem für die Wolfen­büt­teler Herzog August Biblio­thek, das Lübecker Budden­brook­haus / Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrum, das Litera­tur­haus München und den Rowohlt Verlag in Reinbek bei Hamburg. Aktuell ist sie als Bandbe­ar­bei­terin der Siegfried Lenz-Werkaus­gabe tätig, die in Koope­ra­tion des Hoffmann und Campe Verlags Hamburg, des Seminars für Deutsche Philo­logie der Univer­sität Göttingen, des Deutschen Litera­tur­ar­chivs Marbach mit der Siegfried Lenz-Stiftung Hamburg entsteht.

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