Von der höheren Töchter­schule zur Kleinen Burg

Seit 1867 ist die „Kleine Burg“ an ihrem angestammten Standort zuhause. Foto: Der Löwe

Braun­schweigs Schulen, Teil 6: Aufsichts­damen stellten sicher, dass die engen Grenzen des weibli­chen Anstands nicht überschritten wurden.

Das Gymnasium Kleine Burg ist Braun­schweigs Rekord­halter. Mit 14 unter­schied­li­chen, amtlichen Namen liegt es ganz vorn in einer zugege­be­ner­maßen inoffi­zi­ellen Hitliste. Mit dem Gründungs­datum 1814 schafft es die Schule im ernst­zu­neh­menden Ranking der ältesten Schulen der Stadt aber auf Rang zwei hinter dem Martino-Katha­ri­neum (1415) und vor der Neuen Oberschule (1828). Die NO ist wiederum zweit­äl­teste staat­liche Schule, weil die Kleine Burg von den drei Schwes­tern Albertine, Louise und Caroline Pott als „höhere Privat-Töchter­schule“ gegründet worden war und erst Jahrzehnte später „staatlich“ wurde.

Knapp 1000 Schüle­rinnen und Schüler

Die Stiftsherrenhäuser nutzt das Gymnasium für den offenen Ganztagsschulbetrieb. Foto: Der Löwe
Die Stifts­her­ren­häuser nutzt das Gymnasium für den offenen Ganztags­schul­be­trieb. Foto: Der Löwe

Nach mehr als 200 Jahren ist die Kleine Burg heute ein inhalt­lich sehr modernes Gymnasium mit rund 80 Lehre­rinnen und Lehrer, die insgesamt etwa 950 Schüle­rinnen und Schüler unter­richten. Um als offene Ganztags­schule die entspre­chenden Angebote machen zu können, nutzt die Schule die Stifts­her­ren­häuser in unmit­tel­barer Nachbar­schaft, die trotz des Denkmal­schutzes schul­ge­recht einge­richtet wurden. Dort finden Biblio­thek, Mediathek, Aufent­halts­räume und perspek­ti­visch auch eine Mensa Platz. Zum Schul­pro­gramm gehören vielfäl­tige musische, sport­liche und wissen­schaft­liche Initia­tiven sowie inter­na­tio­nale Begeg­nungen im Austausch oder als Studi­en­fahrten.

Teurer Schul­be­such

Seit 1988 erinnert eine gusseiserne Gedenktafel an die Schulgründerinnen, die Schwestern Pott. Foto: Der Löwe
Seit 1988 erinnert eine gussei­serne Gedenk­tafel an die Schul­grün­de­rinnen, die Schwes­tern Pott. Foto: Der Löwe

Am Anfang, also vor mehr als 200 Jahren, ging es den Schwes­tern Pott darum „weibliche Bildung unter den wohlha­benden Ständen“ zu fördern. Zunächst wurden Mädchen im Grund­schul­alter aus bildungs­be­strebten und wirtschaft­lich privi­le­gierten Familien aufge­nommen. Das Schulgeld betrug deutlich mehr als an staat­li­chen Bürger­schulen. Dennoch stieg die Schüle­rin­nen­zahl recht schnell. 1836 waren bereits 100 Schüle­rinnen, verteilt auf drei Klassen, angemeldet. Sie wurden überwie­gend von Lehre­rinnen unter­richtet. Und wenn zum Beispiel in Religion ein Pfarrer unter­richtet, so war stets eine Aufsichts­dame mit im Klassen­raum. Sie mussten sicher­stellen, dass die engen Grenzen des weibli­chen Anstands nicht überschritten wurden.

Die drei Schwes­tern Pott, Henriette Louise (1778–1833), Johanne Dorothea Albertine (1783–1837) und Auguste Wilhel­mine Caroline (1785–1855), hatten zunächst in einer Zeitungs­an­zeige für ihre neue Mädchen­schule geworben. Dort stand: „Zufolge mehreren an uns erlas­senen Auffor­de­rungen haben wir uns entschlossen, der seit längerer Zeit von Demoi­selle Wegener und uns besorgten Töchter­schule einen erwei­terten Umfang sowohl in Hinsicht der Zeit, als der Gegen­stände selbst des Unter­richts zu geben. Statt daß sich also unsere Anweisung bisher in den Nachmit­tags­stunden nur auf die franzö­si­sche Sprache und weibliche Handar­beiten erstreckte, sind wir geneigt, auch die Vormit­tags­stunden zu Hülfe zu nehmen, und in diesen durch die bewähr­testen Lehrer (…) Unter­richt in der Religion und Moral, unserer Mutter­sprache, der Geschichte und Geogra­phie, dem Rechnen und Schreiben ertheilen zu lassen.“

Festschrift zum 200-jährigen Bestehen

Die Fotos von Henriette Louise (1778-1833), Johanne Dorothea Albertine (1783-1837) und Auguste Wilhelmine Caroline (1785-1855) Pott hängen noch heute im Direktorzimmer. Foto: Der Löwe
Die Fotos von Henriette Louise (1778–1833), Johanne Dorothea Albertine (1783–1837) und Auguste Wilhel­mine Caroline (1785–1855) Pott hängen noch heute im Direk­tor­zimmer. Foto: Der Löwe

Ausführ­lich zu lesen ist die bewegte Historie der Kleinen Burg in der Jubilä­ums­schrift, die anläss­lich des 200-jährigen Bestehens im Jahr 2014 erschien. Lehrerin Birte Celle hatte sich der Recherche angenommen und eine infor­ma­tive und amüsante Chronik verfasst. „Die Arbeit an der Chronik hat mich faszi­niert und war wieder­holt von Schmun­zeln, Staunen, Befremden oder auch Respekt vor dem, was frühere Schüler­ge­nera­tionen leisteten, begleitet“, schreibt sie in ihrem Vorwort. Unser Bericht stützt sich auf die Festschrift.

1863 übernahm schließ­lich die Stadt Braun­schweig die Schule. Aus der „Pott’schen höheren Privat-Töchter­schule“ wurde nament­lich 1865 die „Städti­sche Höhere Töchter­schule“. „Die neu zu errich­tende Schule, in welcher Mädchen vom ersten bildungs­fä­higen Alter an Aufnahme finden, wird es sich zur Aufgabe machen, die ihr anver­trauten Schüle­rinnen durch einen gründ­li­chen Unter­richt in Sprachen, Wissen­schaften und Kunst­fer­tig­keiten, durch Erweckung und Förderung eines religiösen Sinnes und sittli­chen Ernstes auf die Stufe der intellec­tu­ellen und morali­schen Bildung zu heben, auf welcher sie fähig sind, als selbst­stän­dige Glieder den gebil­deten höheren Lebens­kreisen anzuge­hören“, heißt es dazu seitens der Stadt­ver­wal­tung.

Seit 1867 am Standort

Lag der bisherige Standort seit 1830 an der Katha­ri­nen­straße, so bezog die Schule 1867 den Schul­neubau, das so genannte „Graue Haus“ an der Kleinen Burg 6. Die Straße wurde zum späteren Namens­geber des Gymna­siums. 1880 folgte bereits der Neubau des „roten Hauses“. Beide Gebäude stehen noch heute, werden genutzt und machen diesen ganz beson­deren, liebens­werten Charme der Schule mitten in der Innen­stadt aus. Zu schätzen wussten den unter anderem Musiker Axel Bosse und Braun­schweigs Bundes­tags­ab­ge­ord­neter Carsten Müller oder viel früher bereits Schrift­stel­lerin Ina Seidel und Schau­spie­lerin Edda Seippel.

Entlas­tung war notwendig

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Unter­richt am 13. Dezember 1945 mit 850 Schüle­rinnen und 26 Klassen wieder aufge­nommen. In den Räumen fand zusätz­lich das Abend­gym­na­sium Platz, in dem Erwach­sene von 18.30 bis 21.45 Uhr unter­richtet wurden, um das Abitur nachma­chen zu können. Schon 1955 gingen 1200 Schüle­rinnen zur kleinen Burg, obwohl mit der Ricarda-Huch-Schule (1952) ein weiteres Gymnasium für Mädchen eröffnet worden war. Entlas­tung gab es erst 1957 als die Ina-Seidel-Schule ebenfalls als reines Mädchen-Gymnasium gegründet wurde. 600 Schüle­rinnen und 30 Lehrkräfte verließen damals die Schule auf einen Schlag.

1972 wurden erstmals auch Schüler aufge­nommen. Um das zu dokumen­tieren hieß die Schule für drei Jahre „Gymnasium Kleine Burg für Jungen und Mädchen“. 1975 erfolgte schließ­lich die letzte Umbenen­nung. Jetzt heißt die Schule schlicht und einfach: „Gymnasium Kleine Burg“. Name Nr. 14 wird wohl noch viele Jahre Bestand haben. Am Rekord wird dennoch keine andere Schule mehr kratzen können. Man muss kein Prophet sein, um zu sagen: Der gilt für die Ewigkeit!

Die bishe­rigen Schul­leiter:

  • Albertine Pott (1814 – 1837)
  • Louise Pott (1814 – 1833)
  • Caroline Pott (1814 – 1855)
  • Sophie Heusinger und Fräulein Sallen­tien (1855 – 1863)
  • Heinrich Eduard Fried­richs (1863 – 1875)
  • Dr. Otto Sommer (1875 – 1898)
  • Heinrich Krüger (1898 – 1927)
  • Dr. Richard Bock (1928 – 1937)
  • Herbert Freitag (1938 – 1945)
  • Dr. Richard Bock (1945 – 1952)
  • Erich Heckhausen (1952 – 1970)
  • Helmut Kahmann (1970 – 1974)
  • Dr. Lothar Gulich (1975 – 1993)
  • Gisela Lauerer (1993 – 2013)
  • Dr. Ingo Stübig (seit 2013)

Amtliche Namen der Schule:

  • 1815: Pottsche höhere Privat-Töchter­schule
  • 1865: Städti­sche höhere Töchter­schule
  • 1875: Städti­sche höhere Mädchen­schule
  • 1912: Städti­sches Lyzeum mit Oberly­zeum und Studi­en­an­stalt
  • 1913: Herzogin-Elisabeth-Lyzeum, Oberly­zeum und Studi­en­an­stalt
  • 1929: Städti­sches Oberly­zeum mit Studi­en­an­stalt
  • 1938: Städti­sche Oberschule für Mädchen, hauswirt­schaft­liche und sprach­liche Form
  • 1939: Städti­sche Oberschule für Mädchen, Kleine Burg, hauswirt­schaft­liche und sprach­liche Form
  • 1952: Städti­sche Oberschule für Mädchen l
  • 1953: Städti­sche Oberschule für Mädchen Kleine Burg
  • 1955: lna-Seidel-Schule, Oberschule für Mädchen Kleine Burg
  • 1957: Mädchen­gym­na­sium Kleine Burg
  • 1972: Gymnasium Kleine Burg für Jungen und Mädchen
  • 1975: Gymnasium Kleine Burg

Weitere Infor­ma­tionen:

Homepage: www.kleineburg.de

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