Martha Fuchs – Braun­schweigs Oberbür­ger­meis­terin der Herzen

Überzeugende Schusstechnik! Martha Fuchs, frühere Oberbürgermeisterin in Braunschweig, bei der Eröffnung des neuen Sportplatzes in Querum (um 1960). Foto: Stadtarchiv Braunschweig

Am 1. Oktober wäre sie 130 Jahre alt geworden. Jetzt wurde sie gewürdigt. Ein Blick auf ihre Zeit im KZ, den Schloss-Abriss und ihren Einsatz für Schwache.

Eine einzige Frau war in Braun­schweig bislang Oberbür­ger­meis­terin: Martha Fuchs, von 1959 bis 1964. Am 1. Oktober wäre sie 130 Jahre alt geworden. An diesem Tag wurde sie nun besonders gewürdigt. Der Landes­frau­enrat widmet ihr einen nieder­säch­si­schen Frauenort. Diese würdigen mutige und starke Frauen in der Geschichte an ihrer Wirkungs­stätte.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 23.09.2022 (Bezahl-Artikel)

Die Braun­schweiger Zeitung sprach mit Regina Blume vom Verein Gedenk­stätte Friedens­ka­pelle, Autorin der Biogra­phie „Martha Fuchs – Lebens­sta­tionen einer Braun­schweiger Politi­kerin“.

Ehren­bür­gerin ist Martha Fuchs bereits. Jetzt wird ihr ein nieder­säch­si­scher Frauenort gewidmet. Warum?

Ich fragte mich immer: Was kann man tun, damit das Image dieser Frau in der Stadt besser wird? Dann kam ich auf die Idee, einen Frauenort für sie vorzu­schlagen, nahm Kontakt mit dem Landes­frau­enrat in Hannover auf. So fing es an.

Ist es ein bestimmter Ort oder ist es symbo­lisch?

Beides. Für Braun­schweig und für Martha Fuchs ist es eine symbo­li­sche Würdigung. Zudem wird im April 2023 am Volks­freund­haus in Braun­schweig eine Gedenk­tafel für Matha Fuchs angebracht. Dies ist der Gedenkort, denn dort wohnte die Familie Fuchs am Beginn ihrer Zeit in Braun­schweig von 1923 an.

Oberbür­ger­meis­terin Martha Fuchs an ihrem Schreib­tisch im Rathaus. Foto: Stadt­ar­chiv Braun­schweig

Nieder­sachsen und Braun­schweig bekennen sich mit dem Frauenort also zu Martha Fuchs.

Ja, es ist eine Würdigung ihrer Persön­lich­keit und ihrer Lebens­leis­tung. Sie war 40 Jahre lang Politi­kerin mit Leib und Seele auch in der Zeit der Verfol­gung und des Wider­stands.

Sie sprachen es an: Warum ist es nötig, ihr Image zu verbes­sern?

Gern wollen wir vermit­teln, dass Matha Fuchs ein Mensch war, der sich von widrigen Umständen nicht abschre­cken ließ. 1945 nach ihrer Rückkehr aus dem Konzen­tra­ti­ons­lager sagte sie: „Wir dürfen nie nachlassen im Kampf um die Freiheit.“ Das ist heute so nötig wie damals. Sie war jemand, der sich für humane Lebens­ver­hält­nisse einsetzte. Dazu gehörte für sie gute Bildung für Kinder und Jugend­liche.

Sie spielen doch aber auch an auf die Reduzie­rung dieser Persön­lich­keit auf ein einziges Ereignis.

Das stimmt. Dann fällt oft der Satz: „Das ist ja die, die unser Schloss abgerissen hat.“ Es wird so reduziert, als ob eine Person über den Abbruch des ehema­ligen Residenz­schlosses allein hätte entscheiden können. Es wird nicht zur Kenntnis genommen, dass es eine demokra­ti­sche Mehrheits­ent­schei­dung war.

Martha Fuchs war ein Teil dieser Mehrheits­ent­schei­dung.

Hier mal ganz privat. Foto: Stadt­ar­chiv, Hans Steffens, Museum für Photo­gra­phie

Inter­es­san­ter­weise hat sie während der gesamten Diskus­sion im Rat der Stadt, als es am 21. Dezember 1959 zum ersten Mal um die Entschei­dung ging, nur moderiert, nicht selbst Stellung bezogen. Die damalige Rolle des Oberbür­ger­meis­ters war reprä­sen­tie­rend, moderie­rend, nicht wie heute verant­wort­lich gestal­tend an der Spitze der Stadt­ver­wal­tung. Die Entschei­dung, um die es damals ging, war von der Verwal­tungs­spitze der Stadt über mehrere Jahre vorbe­reitet worden.

Welche Rolle spielte die Meinung der Öffent­lich­keit?

Das Gros der Öffent­lich­keit hat Martha Fuchs und der SPD diese Entschei­dung zum Abriss der Schloss­ruine offen­sicht­lich gar nicht so stark angelastet. Bei den nächsten Kommu­nal­wahlen, die 1961 anstanden, erreichte die SPD zwar nicht mehr 51 Prozent wie zuvor, sondern immer noch 49,4 Prozent. 1964 kam die SPD dann wieder auf 54,3 Prozent. Das ist aussa­ge­kräftig. Als 1961 im Rat der Stadt die Wieder­wahl von Martha Fuchs zur Oberbür­ger­meis­terin anstand, haben von 49 Ratsmit­glie­dern 42 für Martha Fuchs gestimmt.

Wenn also diese eine oft heran­ge­zo­gene Entschei­dung nicht zur allei­nigen Beurtei­lung des Wirkens von Matha Fuchs taugt, was ist es dann?

Sie trug dafür Sorge und half mit, aus Braun­schweig wieder eine lebens­werte Stadt zu machen. Als sie ihr Amt antrat, lagen 33.000 Anträge auf Wohnraum beim Wohnungs­bauamt vor. Sie empfand das als bedrü­ckend und sagte, man müsse alle Kräfte bündeln und Abhilfe schaffen. Typisch Martha Fuchs: Sie war nicht die Fachfrau mit großen Kennt­nissen, das wusste und sagte sie auch, aber sie war ein Mensch mit Verstand und mit Herz. Sie hat immer versucht, vor allem für die Schwä­cheren in der Gesell­schaft Bedin­gungen zu schaffen, unter denen man leben kann und unter denen sie leben wollten.

Sie selbst hat ein schweres Schicksal überstanden, stand im Konzen­tra­ti­ons­lager Ravens­brück schwer erkrankt vor dem Tod und überlebte.

Für die Galerie: Gemälde von Professor Peter Voigt. Foto: Henning Noske

Ja, sie war eine sehr klare, scharf­sin­nige Beobach­terin. Sie wusste: Alle dieje­nigen, die eine feste Überzeu­gung und ein ethisches Fundament mitbrachten, die hatten mehr Chancen als andere, im KZ zu überleben. Wenn es dort zu Diebstählen der Häftlinge unter­ein­ander kam, wenn Schuhe unterm Bett gestohlen wurden oder ein Brotrest unterm Kopfkissen, dann stellte sie dieje­nigen zur Rede, die das taten. Wir sitzen alle in einem Boot, sagte sie, warum tut ihr das? Leicht resigniert erinnerte sie sich später: Entweder erntete man dafür ein Lachen oder eine wüste Schimpf­ka­no­nade. Wirklich geholfen hat es auch nicht.

Die Aufgabe, eine Gesell­schaft mit Resilienz vor rechts­ra­di­kalem Gedan­kengut und Menschen­ver­ach­tung auszu­statten, besteht immer noch. Ist es auch deshalb wichtig, an Martha Fuchs zu erinnern?

Das sehe ich so. In einem Brief an Otto Bennemann vom 1. Mai 1955 schreibt sie: „Wir reden in diesen Tagen wieder einmal vom Wider­stand, von denen, die sich geopfert haben, die außer Landes gehen mussten oder für die sich vor zehn Jahren die Zucht­haus­tore oder Schlag­bäume der Konzen­tra­ti­ons­lager öffneten. Ich frage mich und damit quäle ich mich ab: Rennen wir nicht wieder in irgend­einen Schla­massel? Was wird morgen sein, wenn die Menschen weiterhin so träge sind?“

Das trifft es, das trifft sie. Und ein Stück weiter schreibt sie: „Ich will wieder froh sein. Eine Leidens­ge­fährtin aus dem KZ hat mir im Gedenken an die Zeit vor zehn Jahren einen wunder­vollen Brief geschrieben. Sie ist mir so dankbar, dass ich ihr in diesen schweren Zeiten mit meinem Frohsinn Mut gegeben habe und ihr Trost gewesen bin. Auch bei vielen anderen konnte ich es nicht nur damals sein.“

Was ist Ihnen persön­lich wichtig?

In ihrer Mensch­lich­keit und in ihrem politi­schen Gespür sollte Martha Fuchs richtig darge­stellt werden. Das ist mir wichtig.

Lebens­sta­tionen Martha Fuchs:

Geboren am 1. Oktober 1892 in Grubschütz/Bautzen als Martha Büttner

Heirat 1919 mit Redakteur Georg Fuchs. Ab 1922 in Braun­schweig, wo Georg Fuchs für die SPD-Zeitung „Volks­freund“ arbeitet. 1923 Eintritt in die SPD, Stadt­ver­ord­nete, Landtags­mit­glied. Georg Fuchs stirbt 1930. Von 1930 bis 1933 arbeitet Martha Fuchs als Gewer­be­auf­se­herin, wird aber von den Nazis entlassen und hat keine Einkünfte.

Verhaf­tung 1944 durch die Gestapo im Rahmen der „Aktion Gewitter“, Arbeits­lager Salzgitter-Hallen­dorf, KZ Ravens­brück. Regina Blume schreibt: „Vom Todes­marsch Mitte April 1945 konnte sie mit zwei jüdischen Freun­dinnen mit Glück fliehen. Die Gedanken an ihre Kinder und Enkel und die Hoffnung auf ein Wieder­sehen hatten ihr ebenso Kraft gegeben wie ihr klares Weltbild und ihr Gefühl, einge­bunden zu sein in einer Partei, die für die sozialen Belange der Menschen einsteht.“

Neubeginn: Minis­terin, Flücht­lings­kom­mis­sarin nach dem Krieg, Oberbür­ger­meis­terin (1959 – 1964)

Martha Fuchs stirbt 1966.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 23.09.2022 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article236490579/Braunschweig-ein-niedersaechsischer-Frauenort-fuer-Martha-Fuchs.html (Bezahl-Artikel)

Das könnte Sie auch interessieren

  • Viel mehr als die Stimme gegen das Schloss

    Viel mehr als die Stimme gegen das Schloss

    Vierter Band in der Reihe „Braun­schwei­gi­sche Biogra­fien“ erschienen:  Martha Fuchs war Braun­schweigs bislang einzige Oberbür­ger­meis­terin und eine bemer­kens­werte Frau. Martha Fuchs,  von 1959 bis 1964 Oberbür­ger­meis­terin der Stadt Braun­schweig, ist fraglos die bekann­teste Braun­schweiger Kommu­nal­po­li­ti­kerin. Sie ist die bislang einzige Frau, die das höchste Amt in der Stadt beklei­dete. Als Nachfol­gerin von Otto Bennemann, ebenfalls… Weiterlesen

  • Gemeinsam-Preis 2020 zeichnet vorbild­li­ches Engage­ment aus

    Gemeinsam-Preis 2020 zeichnet vorbild­li­ches Engage­ment aus

    Die Leserinnen und Leser der Braunschweiger Zeitung haben entschieden: Der Bürgerverein Steterburg ist der Sieger des Gemeinsam-Preises 2020, den die Zeitung zusammen mit dem Braunschweiger Dom zum 17. Mal verlieh. Weiterlesen

  • Todes­ur­sache ungeklärt: Wie kam Harfen-Agnes in der Anstalt um?

    Todes­ur­sache ungeklärt: Wie kam Harfen-Agnes in der Anstalt um?

    Es ist wahrscheinlich, aber nicht sicher, dass das Braunschweiger Original in Königslutter Opfer vorauseilenden Gehorsams zu Hitlers Euthanasieerlass wurde. Weiterlesen