Verlorene Eleganz

Augustplatz 1, Palais von Riedesel, um 1910. Foto: Archiv Heimatpfleger BS

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Teil 16: Bis um 1800 entstanden eine Reihe von Palais und reprä­sen­ta­tiven Wohnbauten im frühklas­si­zis­ti­schen Stil.

Die Eroberung Braun­schweigs durch welfische Truppen unter der Führung Herzog Rudolf Augusts im Jahr 1671 verlief unblutig. Nach den bereits über ein Jahrhun­dert anhal­tenden Zwistig­keiten zwischen den Landes­herren und der weitge­hend autonom agierenden Hanse­stadt wurden damit politisch zuungunsten Braun­schweigs beigelegt – eine der großen Zäsuren in der Stadt­ge­schichte. Der nun folgende Wandel betraf auch die bauliche Entwick­lung der Haupt­stadt des kleinen Fürsten­tums Braun­schweig-Wolfen­büttel, welche 1753/54 wieder als Residenz diente. Neben der Schloss­an­lage am Bohlweg entstanden weitere höfische Bauten wie das Opernhaus auf dem Hagen­markt oder das im einstigen Pauli­ner­kloster einge­rich­tete Zeughaus. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhun­derts wurde die Archi­tektur von dem langjährig wirkenden Landbau­meister Hermann Korb bestimmt. Sein gemäßigt-barocker Baustil kann gewis­ser­maßen als Vorspiel für den nach 1770 in Braun­schweig einset­zenden Klassi­zismus angesehen werden.

Kattrep­peln 22, um 1930. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

Symme­tri­scher Baukörper

In der frühklas­si­zis­ti­schen Epoche entstanden bis um 1800 eine Reihe von Palais und reprä­sen­ta­tiven Wohnbauten, die in dem immer noch überwie­gend spätmit­tel­al­ter­li­chen Stadtbild neuartige Akzente setzten. Ihre symme­tri­schen Baukörper und klar geglie­derten Fassaden entfal­teten eine für die Straßen- und Platz­bilder der alten Stadt bisher ungewohnte Eleganz. Nachdem bereits die Herzöge Anton Ulrich und Karl I. durch ihre Erlasse von 1708 und 1750 Neu- und Umbau­vor­haben privater Bauherren gefördert hatten, wurde das Programm unter Karl Wilhelm Ferdinand (reg. 1780–1806) fortge­führt. Den Landes­fürsten lag die Moder­ni­sie­rung ihrer Residenz am Herzen, große städte­bau­liche Projekte waren im Gefüge der mittel­al­ter­li­chen Stadt jedoch nicht umzusetzen. Die Existenz hunderter Fachwerk­bauten aus dem 15., 16. und 17. Jahrhun­dert bis zur Zerstö­rung des Stadt­zen­trums im Zweiten Weltkrieg verdeut­licht, dass die landes­herr­liche Förderung einer zeitge­mäßen Umgestal­tung der Stadt nicht flächen­de­ckend greifen konnte. Bauherren der reprä­sen­ta­tivsten Wohnbauten waren in der Residenz neben altein­ge­ses­senen Kaufleuten nun auch Hofbeamte und Angehö­rige des landsäs­sigen Adels.

Grundlage klassi­zis­ti­scher Archi­tektur war die Rezeption der Baukunst des klassi­schen Altertums. Diese wurde nun auch zum Gegen­stand wissen­schaft­li­cher Forschung. Neben den Bauten der Römer kam der antik-griechi­schen Archi­tektur ein hoher Stellen­wert zu. Man wollte die bis an die Grenzen der Virtuo­sität ausge­reizte Epoche des Barocks und Rokokos überwinden und in der „Nachah­mung der Alten“ – wie es der einfluss­reiche Kunst­schrift­steller und frühe Archäo­loge Johann Joachim Winckel­mann formu­lierte – eine Läuterung des Stils einleiten.

Kattrep­peln 22, Freitreppe mit Portal, vor 1875. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

Hofbau­meister Langwagen

Führender Architekt des Frühklas­si­zismus in Braun­schweig war Christian Gottlob Langwagen (1752–1805). Der Baumeister stammte aus Dresden und hatte dort an der Kunst­aka­demie anfangs Kupfer­ste­chen studiert und widmete sich schließ­lich dem Bauwesen. Dabei kam er in Berührung mit den frühen Strömungen klassi­zis­ti­scher Kunst­auf­fas­sungen. 1777 wurde Langwagen in Braun­schweig zum Hofbau­meister ernannt. Neben seinen Haupt­werken in der welfi­schen Residenz – dem Umbau des Residenz­schlosses Grauer Hof und dem Landschaft­li­chen Haus – schuf er hier Entwürfe zu mehreren statt­li­chen Palais.

Einer der frühesten klassi­zis­ti­schen Wohnbauten war das hoch aufra­gende Haus Kattrep­peln 22. Es wurde 1785/86 für die Gebrüder Graven­horst errichtet und beinhal­tete auch Teile ihres gewerb­li­chen Betriebes. Der Baumeister Wilhelm von Gebhardi reali­sierte das am Übergang vom Spätba­rock zum Klassi­zismus stehende Gebäude an Stelle der gotischen Kapelle St. Johannis. Bemer­kens­wert waren das hohe Mansar­den­dach und eine bereits um 1875 besei­tigte Freitreppe mit reich gestal­tetem Geländer aus Schmie­de­eisen. Obwohl die Fassade die Kriegs­zer­stö­rungen weitge­hend überstanden hatte, verfiel sie in den 1950er Jahren dem Abbruch.

Besonders markant

An städte­bau­lich besonders markanter Position präsen­tierte sich das Palais von Riedesel: Das hochele­gante Bauwerk schloss den alten August­platz an seiner Nordseite ab und stand im Blick­punkt der Wolfen­büt­teler Straße. Nach Schaffung des klassi­zis­ti­schen Wallrings im frühen 19. Jahrhun­dert bilden Augusttor und ‑platz den schönsten Zugang in die alte Welfen­stadt. Das 1786/87 nach Entwürfen Langwa­gens entstan­dene Bauwerk zeigte einen dominanten Mittelbau (Mittel­ri­salit) mit senkrechter Gliede­rung durch Wandstreifen (Lisenen). Die ovalen Fenster am Giebel und das Mansar­den­dach erinnerten noch an barocke Archi­tektur. 1885 wurde das Palais zu einem Hotel umgebaut, womit sich der Name „Dannes Hotel“ einbür­gerte. Nach seiner Zerstö­rung bis auf die Umfas­sungs­mauern im Zweiten Weltkrieg wurde das städte­bau­lich so wichtige Gebäude für den verkehrs­ge­rechten Ausbau im Bereich John‑F.-Kennedyplatz 1959 beseitigt.

August­platz mit Torhäu­sern und Palais Riedesel, 1927. Foto: aus P. J. Meier: Braun­schweig, 1929

Ein weiteres bedeu­tendes Werk Langwa­gens war das Palais von Veltheim am Damm Nr. 16. Es wurde 1787/88 errichtet und dominierte den Straßenzug an einem Knick nahe der Einmün­dung in den Bohlweg. Das elf Fenster­achsen breite und dreige­schos­sige Haus war wieder mit einem mittleren Risalit betont. Dort erhob sich über kräftigen Pfeilern ein Balkon, darüber trugen Pilaster ionischer Ordnung den Dreiecks­giebel. Im durch Putzstreifen geglie­derten Erdge­schoss existierten seitliche Neben­ein­gänge. Nachdem das Anwesen 1894 in den Besitz der Familie Brüning gelangte, richtet diese hier einen Saal für Veran­stal­tungen ein. Dieser ging als Brünings Saalbau in die jüngere Stadt­ge­schichte ein. Auch das Palais von Veltheim brannte 1944 aus und wurde danach abgetragen – obwohl hier die Straßen­flucht beibe­halten blieb.

Bereits 1888 abgebro­chen

Ein weiteres Palais besaß die Familie von Veltheim am Bohlweg 37 gegenüber der Einmün­dung des Stein­weges. Es wurde 1797/98 aller­dings für den Kaufmann Graff errichtet, bevor es 1805 die von Veltheims erwarben. Als Baumeister gilt ebenfalls Christian Gottlob Langwagen. Die Straßen­front besaß einen flachen Mittel­ri­sa­liten mit glattem Verputz und seitli­chen Fassa­den­achsen mit feiner Putzglie­de­rung. Über den kreis­runden Fenstern im oberen Teil des Mittel­baus erhob sich ein kräftiger Giebel über Konsolen mit dazwi­schen aufge­spannten Frucht­gir­landen. Das Gebäude wurde bereits 1888 für den späteren Durch­bruch der Dankward­straße abgebro­chen.

Das statt­liche Haus Bankplatz 2 entstand ebenfalls 1797/98 und geht vermut­lich auch auf eine Planung Langwa­gens zurück. Es entstand im Auftrag des jüdischen Juwelen­händ­lers Moses Hirsch und gelangte 1827 an die Bankiers­fa­milie Löbbecke. Die Front zeigte zwar einen breiten Mittel­ri­sa­liten mit feinen Stuck­ver­zie­rungen und betonten Fenster­achsen, Hausein­gang und Hofdurch­fahrt befanden sich jedoch am den Fassa­den­enden. Für die Einhal­tung der Symmetrie war der Hausein­gang wie die Durch­fahrt mit einem flachen Bogen versehen. Nach schweren Kriegs­schäden ist dieses Haus immerhin in leicht verän­derter Form wieder­her­ge­stellt worden.

Elmar Arnhold ist Bauhis­to­riker (Gebautes Erbe) und Stadt­teil­hei­mat­pfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröf­fent­licht er regemäßig Beiträge zu histo­ri­schen Bauten in Braun­schweig.

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