Frühjahrs­grüße auf Holz

Der aufwändig gearbeitete kleine Schrank aus Holz, schwarz abgesetzte Kanten, goldene Beschläge. Frontansicht, Monogramm der Äbtissin Auguste Dorothea.
Der aufwändig gearbeitete kleine Schrank der letzten Äbtissin von Gandersheim ist im Schlossmuseum ausgestellt. Foto: Der Löwe

Objekt des Monats, Folge 13: Der mit Tulpen verzierte Schrank der letzten Äbtissin von Ganders­heim.

Frühlings­duft liegt in der Luft! Mit den ersten warmen Sonnen­strahlen kündigt sich der Frühling an und lässt die Natur zu neuem Leben erwachen. Zu den schönsten Frühlings­boten gehören Tulpen. Seit alters her gelten Tulpen als Symbol für neues Leben, Liebe und Hoffnung. Nicht nur in Vasen, auf dem Balkon, Parkan­lagen oder auf ganzen Feldern finden sich die Frühlings­boten, sondern ganzjährig auch auf Kunst­ob­jekten vergan­gener Zeiten.

Ein beson­deres Möbel­stück des 18. Jahrhun­derts

Vielleicht nicht gleich auf den ersten, jedoch spätes­tens auf den zweiten Blick offenbart sich das Tulpen­motiv: Ein Strauß aus drei präch­tigen Tulpen ziert beide Seiten eines Schrankes, der einst im Besitz von Auguste Dorothea von Braun­schweig-Wolfen­büttel war (Abb. 1 und 2). Die jüngste Tochter des Braun­schweiger Herzogs Carls. I. und dessen Gemahlin Philip­pine Charlotte von Preußen war von 1778 bis zu ihrem Tod im Jahr 1810 die letzte Äbtissin des Reichs­stifts in Ganders­heim, das danach aufgelöst wurde.

Das dekorative Tulpendetail befindet sich jeweils auf der linken und rechten Seite.
Das dekora­tive Tulpen­de­tail befindet sich jeweils auf der linken und rechten Seite. Foto: Der Löwe

Aus dieser Zeit stammt auch der etwa ein Meter hohe Schrank aus dem Frühklas­si­zismus, der mit verschnör­kelten Elementen des Rokoko dekoriert ist. Neben dem mit Blatt­or­na­menten verse­henen, bekrönten Monogramm Auguste Dorotheas, das unter einem Baldachin zu sehen ist, gehören dazu auch die aus gefärbtem Holz gestal­teten Tulpen­sträuße. Diese zieren – ebenso wie weitere florale Motive – als kunst­volle Einle­ge­ar­beiten, sogenannte Marketerien, den Korpus des Schrankes. Marketerien waren ein zentrales Gestal­tungs­merkmal des Rokoko. Sie konnten aus verschie­denen Hölzern, Perlmutt oder Elfenbein bestehen. Bei dieser Technik wurden mit einer hohen Präzision die jewei­ligen Motive in die Holzober­fläche einge­ar­beitet und zusam­men­ge­setzt, wodurch eine fast maleri­sche Wirkung geschaffen wurde. Die Tulpe passte mit ihren geschwun­genen Blüten­formen als dekora­tives Element nahezu perfekt zur verspielten Ästhetik des Rokoko. Über der abschließ­baren Tür des Schrankes befindet sich eine Schublade, die mit zwei Messing­griffen in Form von Blättern versehen ist.

Luxus, Eleganz und Vergäng­lich­keit

Bei den Tulpen, die hier mit einer Schleife als Strauß zusam­men­ge­bunden sind, handelt es sich um die Sorte Semper Augustus, was so viel wie „immer erhaben“ bedeutet. Die mittler­weile ausge­stor­bene Tulpen­sorte galt als eine der bekann­testen und kostspie­ligsten Blumen, die sich ausgehend von den Nieder­landen seit dem 17. Jahrhun­dert vor allem in wohlha­benden Kreisen als Status­ob­jekt großer Beliebt­heit erfreute. Sie war jedoch nicht nur ein Symbol für Luxus, Eleganz und Reichtum, sondern auch für Vergäng­lich­keit. Ihre kurze jährliche Blütezeit erinnerte an die Endlich­keit des Lebens und weltli­chen Reichtums. Diese Bedeutung war besonders in der barocken Vanitas-Malerei verbreitet, die die Vergäng­lich­keit des Lebens thema­ti­sierte. Aber auch im Rokoko setzte sie sich weiter fort, oft jedoch in einer spiele­ri­scheren Weise, wie auch hier zu sehen.

Erinne­rungen an die „Tulpen­manie“

Das Motiv der Semper Augustus erinnert zudem an eine der ersten Speku­la­ti­ons­blasen der europäi­schen Geschichte: die sogenannte „Tulpen­manie“ in den Nieder­landen. Denn die heute bei uns verbrei­tete Zierpflanze kam erst im Zuge der immer weiter ausgrei­fenden europäi­schen Handels­netze Mitte des 16. Jahrhun­derts aus dem Osmani­schen Reich nach Europa. Die Zucht von immer komplexer gemus­terten Sorten wurde besonders in den Nieder­landen betrieben.

Eine zeitgenössische Darstellung der Tulpenart "Semper Augustus", vor 1640. Bild: Wikimedia Commons (gemeinfrei).
Eine zeitge­nös­si­sche Darstel­lung der Tulpenart “Semper Augustus”, vor 1640. Bild: Wikimedia Commons (gemein­frei).

Dort entwi­ckelte sich im Laufe des ausge­henden 16. und begin­nenden 17. Jahrhun­derts auch ein reger Markt für Tulpen­zwie­beln mit teils hohen Preisen: So ist für die seltene Semper Augustus für das Jahr 1623 pro Zwiebel ein Preis von 1.000 Gulden erzielt worden. Zum Vergleich: Das durch­schnitt­liche Jahres­ein­kommen lag bei etwa 150 Gulden. Nach einem rasanten Preis­an­stieg besonders Anfang 1637 fanden sich Anfang Februar bei einer Verstei­ge­rung in Haarlem aber wider Erwarten keine Käufer mehr, die die aufge­ru­fenen Preise zahlen wollten oder konnten. Innerhalb weniger Tage brach dadurch der gesamte Tulpen­markt in den Nieder­landen zusammen, und der Wert besonders hoch geschätzter Tulpen­so­rten fiel um bis zu 95 Prozent.

Die Histo­ri­kerin Anne Goldgar hat sich intensiv mit der Krise beschäf­tigt und gezeigt, dass der Handel mit Tulpen­zwie­beln vor allem ein Phänomen gehobener Schichten und damit einer Minder­heit war, und sich der wirtschaft­liche Schaden des Zusam­men­bruchs in Grenzen hielt. Dennoch wurde das Geschehen schnell in Satire und bildender Kunst verar­beitet und oft im Rahmen morali­scher Kritik an zügel­loser Gier als Parade­bei­spiel angeführt. Die hübschen Frühlings­boten trugen als Motiv also sowohl einen Hauch der Exklu­si­vität als auch eine Warnung mit sich.

Der Schrank aus der Sammlung der Richard Borek Stiftung kann bis zum 31. August 2025 in der Sonder­aus­stel­lung „Residenz­Wechsel“ im Weißen Saal des Schloss­mu­seums Braun­schweig betrachtet werden.

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