So wurde die Amsberg-Villa vom Café zum Bankhaus

Eine Postkarte der Amsberg-Villa als Café Börner 1935. Foto: Sammlung Reinhard Bein

Wer waren die Besitzer? Wie haben sie das Gebäude genutzt? Ein Blick auf die Geschichte der Braun­schweiger Amsberg-Villa.

Philipp von Amsberg (1788–1871), der Gründer der ersten deutschen Staats­bahn, ließ sich 1827 vom Archi­tekten Peter Joseph Krahe am Friedrich-Wilhelm-Platz gegenüber dem ersten Bahnhof eine reprä­sen­ta­tive Villa im klassi­zis­ti­schen Stil erbauen. Er bewohnte sie 20 Jahre lang, dann wollte er sie verkaufen. Es dauerte lange, bis sich ein Käufer fand, denn das Gerücht von einem Mord im Haus schreckte Kunden ab. Philipp von Amsberg wohnte ab 1847 am Ägidi­en­markt, ab 1852 im neuen Direk­ti­ons­ge­bäude des zweiten Bahnhofs und besaß in Bad Harzburg eine Villa. Dort starb er.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Bezahl­ar­tikel ist zuerst erschienen am 12.7.2023

Der Bankier Jacob Hilzheimer (1798–1875) kaufte die Amsberg-Villa 1852. Er wurde ein reicher Mann, den jede Ausgabe schmerzte. So lieh er zum Beispiel teure Zeitschriften und behielt sie, wie das Proto­koll­heft des Honora­tio­ren­ver­eins Großer Club belegt: „Gestern ist mir durch den Clubdiener Pries­ter­jahn die Anzeige gemacht, daß der Bankier Hilzheimer ein Heft vom ‚Athenaeum‘ ohne die vorge­schrie­bene Eintra­gung mit nach Hause genommen hat.“ Gegen Clubstrafen wegen des Verdachts von Diebstahl, aber auch gegen die Höhe seiner Synago­gen­steuer klagte er erfolglos. Seine Frau Sophie verließ ihn, als sie seinen Geiz nicht mehr ertrug, und zog zu ihrer Tochter nach Hamburg. Seine zweite Ehefrau Emma blieb trotz ähnlicher Erfah­rungen. Nach seinem Tod liqui­dierte sie die Bank.

Stadt­bi­blio­thek erhielt Hilzhei­mers Bücher­samm­lung

„Hier ruht ein Mann des Buches. Genau wie sein breites Wissen war er großzügig und bescheiden.“ Großzügig? Das war Hilzheimer einmal, als er seinem Sohn ein Rittergut kaufte. Aber ein Freund des Buches, das war er. Seine Biblio­thek von circa 20.000 Bänden verkaufte seine Erbin an die Hofbuch­hand­lung Wagner, die sie an die Stadt­bi­blio­thek weitergab. Das „Braun­schweiger Tageblatt“ schrieb: „Es ist wohl die umfang­reichste Bücher­samm­lung, die sich in unserem Herzogtum in Privat­händen befunden hat; sie ist besonders reich an älteren Werken der engli­schen, italie­ni­schen, spani­schen und portu­gie­si­schen Literatur. Übrigens bemerken wir bei dieser Gelegen­heit, daß diese Sammlung nicht einer bloßen Bücher­manie ihre Entste­hung verdankt. Ihr Besitzer war vielmehr ein Mann von großer Gelehr­sam­keit. So beherrschte er nicht nur die meisten neueren Sprachen, ihm waren auch die alten hinläng­lich geläufig, sodaß er die Meister­werke im Urtext lesen konnte.“

Berthold Meyers­feld und die Kinder Herbert, Alix und Annette 1925. Foto: Sammlung Reinhard Bein

Die Villa kaufte der Bankier David Meyers­feld (1805–1885) aus Einbeck für sich und seinen Sohn Bernhard (1841–1920). Drei Genera­tionen dieser Familie arbei­teten fortan hier. Der Sohn trug viel zum großen Erfolg der hiesigen Konser­ven­in­dus­trie bei. Sein Geldhaus war ein gut aufge­stelltes Unter­nehmen. Im Gegensatz zum Vorbe­sitzer war er großzügig und wohltätig.

Villa-Besitzer Meyers­feld schenkte der Stadt den Eulen­spie­gel­brunnen

Dies würdigte die „Braun­schweiger Presse“ in ihrem Nachruf: „Wer den alten Herrn gekannt hat und mit ihm Um­gang pflegen durfte, wird seine Herzens­güte gekannt haben, die jeder Regung auf ethischem und humani­tärem Wege folgte. Unzählige verschämte Arme, die öffent­liche Wohl­fahrtspflege wie das öffent­liche Armen­wesen verlieren in ihm einen uneigen­nüt­zigen Freund, der nie vergebens um die Öffnung seiner mildtä­tigen Hand angegangen worden ist.“ Und er schenkte 1906 der Stadt den eindrucks­vollen Eulen­spie­gel­brunnen des Bildhauers Arnold Kramer.

Unter seinem Sohn Berthold (1874–1934) ging die Privat­bank 1931 während der Weltwirt­schafts­krise in Konkurs. Dessen Frau Cécile-Berche (1879–1965) beschloss, das Haus in ein elegantes Café umzuwan­deln. Es wurde schnell zu einem beliebten Treff­punkt, was den Nazis aber nicht gefiel. Sie wurde im April 1933 neben jüdischen Ärzten, Anwälten und Bankiers grundlos verhaftet, um sie zur Emigra­tion aufzu­for­dern. Bis Mitte Juni saß sie in „Schutz­haft“ im Gefängnis Rennel­berg und wurde erst entlassen, als sie ihrer Auswan­de­rung zustimmte. Um vor Verfol­gung sicher zu sein, erlangte sie ihre franzö­si­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit zurück, die sie durch die Heirat mit einem Deutschen verloren hatte.

Nach dem Tod ihres Mannes 1934 verkaufte sie das Haus an die Firma Buchler und emigrierte mit den Töchtern Annette und Alix nach Frank­reich. Annette ging weiter nach Südafrika, wo ihr Bruder Herbert lebte. Der war nach der Pleite seines Lehrbe­triebs in Hannover nach Johan­nes­burg ausge­wan­dert und hatte dort eine Eisen­wa­ren­groß­hand­lung aufzu­bauen begonnen. Als die Wehrmacht 1940 Frank­reich eroberte, flüch­teten Cécile-Berche und Alix nach Spanien. Schmuggler brachten sie über die Grenze nach Portugal. Dort verschwanden sie als illegal Einge­wan­derte im Gefängnis. Von Südafrika aus spürten Herbert und Annette sie schließ­lich auf, und der südafri­ka­ni­sche Konsul in Lissabon bekam sie frei.

Vom Café zum Bankhaus

Meyers­felds Café am Bahnhof blieb unter dem Namen „Kaffee Börner“ ein beliebter Treff­punkt der Braun­schweiger. Die neuen Besitzer waren der Querumer Gastwirt Rudolf Börner und seine Frau Elfriede. Nach Kriegs­ende diente die unzer­störte Amsberg-Villa zunächst als sowje­ti­sches Repatri­ie­rungs­büro. Dessen Haupt­auf­gabe war es, ehemalige Zwangs­ar­beiter und Kriegs­ge­fan­gene auch gegen ihren Willen in die Sowjet­union „rückzu­führen“, um sie zu „bestrafen“, denn Stalin hatte sie rigoros zu „Volks­ver­rä­tern“ erklärt.

In den folgenden Jahrzehnten vermie­tete der Fabrikant Buchler sein Haus als Residenz-Kaffee bezie­hungs­weise wieder als Bank (Bankhaus Markard). Seit 1991 gehört es der NORD/LB. An Meyers­felds erinnert nur noch das Monogramm BM in der rückwär­tigen Eingangstür.

Als der Journa­list Dieter Diestel­mann 1983 Herbert Meyers­feld in Johan­nes­burg besuchte, erzählte der ihm: „Nach Kriegs­ende fuhren meine Frau und ich per Schiff von England nach Hamburg und von dort mit dem Zug weiter nach Braun­schweig. Ein deutsches Ehepaar saß mit in unserem Abteil. Ich dachte mir, probiere doch mal dein Deutsch aus. Ich fragte die beiden also irgendwas und dann sagte der Mann: Für einen Engländer sprechen Sie sehr gut Deutsch, aber es klingt, als kämen sie aus Braun­schweig.“ Hier besuchten sie Herberts alten Schul­freund Richard Borek.

Meyers­felds Sohn Michael Meyers­feld wurde in Südafrika ein bekannter Fotograf, dessen sorgfältig kompo­nierte Bilder die Blicke anziehen. Im Herbst 2013 durfte er durch die Vermitt­lung der Boreks einige in der Amsberg-Villa zeigen.

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