Risse im Fundament der Demokratie

Szenenfoto mit (von links) Ana Yoffe, Mariam Avaliani, Lina Witte, Saskia Taeger, Saskia Petzold. Foto: Joseph Ruben Heicks

„Fritz Bauer Ultras“ ist mehr als ein Schau­spiel von Christian Weiß über den legen­dären früheren Braun­schweiger Oberstaats­an­walt, der die Ausschwitz-Prozesse in Frankfurt initi­ierte.

Die Produk­tionen von xweiss gehen oft über das reine Schau­spiel im Theater­saal hinaus. Mit beson­deren Aktionen soll die Relevanz eines Themas unter­stri­chen und den Besuchern ein Mehrwert geboten werden. Bei dem aktuellen Stück „Fritz Bauer Ultras“, das kürzlich im Kleinen Haus des Staats­thea­ters Premiere feierte und noch bis in den Februar 2025 hinein gespielt wird, wird das „Mehr als Theater“ auf die Spitze getrieben. Es wurde die für das Stück namens­ge­bende Fan-Initia­tive gegründet. Es gibt ein Sammel­bild­heft a la Panini sowie eine komplette Fan-Kollek­tion mit Fan-T-Shirt, Fan-Schal, Basecap und Poster. Erhält­lich ist alles am „Fritz Bauer Kiosk“ vor und nach den Vorstel­lungen im Foyer des Kleinen Hauses.

Kultstatus posthum

Fritz Bauer (1903–1968) ist fraglos eine sehr bemer­kens­werte Persön­lich­keit der Zeitge­schichte, die es verdient, in den Kultstatus erhoben zu werden – so wie es sonst nur Fußball- oder Pop-Stars vergönnt ist. Was jenen zu Lebzeiten zuteil wird, geschieht bei Fritz Bauer spätes­tens seit dem Fernseh­film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ aus dem Jahr 2015 posthum.

Eine Schlüs­sel­figur der jungen Demokratie

Zu Lebzeiten, als Bauer als General­staats­an­walt wirkte, wurde seine famose juris­ti­sche Leistung im Nachkriegs-Deutsch­land längst nicht so bejubelt wie der Schuss von Helmut „Boss“ Rahn im WM-

Fritz Bauer. Foto: Friedrich-Ebert-Stiftung

Finale 1954 gegen Ungarn. Den Respekt, den er verdient hätte, hätten ihm seine Zeitge­nossen versagt. Dabei sei er in der Rückschau eine der Schlüs­sel­fi­guren der jungen Demokratie gewesen, die Deutsch­land den Rückweg in die Gemein­schaft der Völker geebnet hätten, sagte Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­meier zum 50. Todestag von Fritz Bauer am 1. Juli 2018.

Späte Anerken­nung

Seine Arbeit als Staats­an­walt begann Fritz Bauer nach der Rückkehr aus dem Exil bis 1956 in Braun­schweig. Nach Verhaf­tung durch die Natio­nal­so­zia­listen 1933 war er 1935 nach Dänemark emigriert. Als Oberstaats­an­walt erreichte er in dem aufse­hen­er­re­genden Remer-Prozess vor dem Landge­richt Braun­schweig 1952 die Rehabi­li­ta­tion der Wider­stands­kämpfer des 20. Juli 1944. Mit seinem Wirken bis 1968 verbinden sich die Entfüh­rung Adolf Eichmanns und die Auschwitz-Prozesse. Der streit­bare Jurist stieß auf vielfäl­tige Ablehnung, als Jude auch auf offen antise­mi­ti­sche Anfein­dungen. Er setzte sich für die konse­quente straf­recht­liche Verfol­gung natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Unrechts ein und trug damit wesent­lich zur Demokra­ti­sie­rung der westdeut­schen Gesell­schaft bei.

Vorbild für die Demokratie

„Wir müssen in Zeiten, in denen die AfD erstarkt und durch das Setzen von Trigger­punkten die Gesell­schaft polari­siert, stärker zusam­men­rü­cken und aktiv etwas für den Erhalt unserer Demokratie tun. Hierzu stellt die Insze­nie­rung Fritz Bauer in den Mittel­punkt. Sein unermüd­li­cher Einsatz für die Demokratie kann ein Vorbild sein. Wir wollen das nutzen und ihn popiko­nisch aufladen“, erläutert Regisseur Christian Weiß. „Wir müssen etwas tun gegen die Risse im Fundament der Demokratie“, lässt er in dem Stück eine Darstel­lerin sagen. Das steht sinnhaft als Überschrift zu Stück und Bewegung.

Auf die Menschen kommt es an

Im ersten Teil der Auffüh­rung trägt das Publikum Kopfhörer und taucht akustisch in eine Art Traumwelt ein, in der sich histo­ri­sche Tonauf­nahmen mit puzzle­artig verschnit­tenen Aussagen von und über Fritz Bauer mischen. Der General­staats­an­walt ist tot. Aber, als sich die Gegenwart, mit all ihren Hasskom­men­taren Bahn bricht, die auch Bauer zu Lebzeiten bereits selbst erleben musste, ist es Zeit, aufzu­stehen und etwas zu tun.

Umschlag des Sammel­bild­hefts. Foto: Picture alliance/Atelier Disko

„Es bleibt nichts anderes übrig, als dass wir einfach zusam­men­stehen und diese Fülle von Dingen tun“, ist Fritz Bauer im Origi­nalton zu hören. „Sie können Paragrafen machen, Sie können Artikel schreiben, Sie können die besten Grund­ge­setze machen, was Sie brauchen, sind die richtigen Menschen, die diese Dinge leben. Kein Mensch schafft Demokratie, es sei denn, Sie und ich und wir, jeder für uns.“ In diesem Sinne zeigt der zweite Teil des Abends dann die fünf Frauen auf der Bühne, wie sie darum ringen, sich selbst für die Demokratie im eigenen Alltag einzu­setzen.

Einstieg in die Ultra­szene

Ein schöner Einstieg in die „Fritz Bauer Ultra­szene“ ist das Sammel­bild­heft zu Fritz Bauer und der Produk­tion. Es ist wie ein erwei­tertes Programm­heft und liefert noch mehr Inhalt zu der Figur Fritz Bauer. Das Heft ist im Staats­theater erhält­lich. Die dazuge­hö­rigen Sammel­bilder gibt es bei verschie­denen Koope­ra­ti­ons­part­nern in der Stadt, die ein gesell­schaft­li­ches Engage­ment verbindet.
Es sind: Gedenk­stätte Schill­straße, Refugium e.V., Haus der Braun­schwei­gi­schen Stiftungen, Café Riptide, Theater Faden­schein, Cura e.V., Kunst­verein Braun­schweig, Freiwil­li­gen­agentur Jugend-Soziales-Sport e.V., Staats­theater und DRK Kaufbar.

Weitere Termine: 8., 12., 14., 19., 22., 28. Dezember, 5., 12., 24., 26. Januar und 14. Februar.

Kontakt: post@xweiss.info

Fritz Bauer Ultras (Trailer): https://www.youtube.com/watch?v=0‑GDPCEr6gU&t=3s

Fritz Bauer Ultras (Teaser): https://staatstheater-braunschweig.de/produktion/fritz-bauer-ultras-at

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