„Demokratie braucht Demokraten – daher bin ich zurück­ge­kehrt“

Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Repro: IBR

Fritz Bauer (1903 – 1968), der heraus­ra­gende Braun­schweiger General­staats­an­walt der Nachkriegs­zeit,  wurde am 16. Juli vor 120 Jahren geboren.

Nach langer Zeit weitge­hender Nicht­be­ach­tung, auch infolge der Margi­na­li­sie­rung des Themas Justiz und Natio­nal­so­zia­lismus, ist in vergan­genen zehn bis 15 Jahren durch zahlreiche Initia­tiven und neue Forschungen die Person von Fritz Bauer vermehrt in das Interesse der Öffent­lich­keit gerückt. Der Jurist, Humanist und überzeugte Demokrat hatte zu jeder sich bietenden Gelegen­heit seine Ziele und Ideale deutlich gemacht. Bauer war 1949 aus dem Exil in Dänemark und zwischen­zeit­lich auch Schweden zurück­ge­kehrt. Er wurde zunächst General­staats­an­walt am Oberlan­des­ge­richt Braun­schweig, später wurde er in Frankfurt am Main General­staats­an­walts für Hessen (1956). Am 16. Juli wäre er 120 Jahre alt geworden.

Normset­zend für die Recht­spre­chung

Gleich einer seiner ersten Fälle als General­staats­an­walt in Braun­schweig machte ihn auch außerhalb Deutsch­lands bekannt: 1952 war er der Ankläger im so genannten Remer-Prozess. Bauer prägte dabei den Satz: „Ein Unrechts­staat, der täglich Zehntau­sende Morde begeht, berech­tigt jedermann zur Notwehr.“ Der Satz sollte normset­zend für die Recht­spre­chung der Zukunft werden, denn: „Was am 20. Juli 1944 vielen noch dunkel vorge­kommen sein mag, ist heute durch­schaubar, was damals verständ­li­cher Irrtum gewesen sein mag, ist heute unbelehr­barer Trotz, böser Wille und bewusste Sabotage unserer Demokratie.“

Angeklagt war Otto Ernst Remer (1912 – 1997). Der hatte während einer Wahlkampf­ver­an­stal­tung der neona­zis­ti­schen Sozia­lis­ti­schen Reichs­partei (SRP) im Braun­schweiger Schüt­zen­haus die Atten­täter vom 20. Juli 1944 als „vom Ausland bezahlte Hoch- und Landes­ver­räter“ beschimpft.

Mit dem Ziel erinnernder Aufklä­rung hatte Fritz Bauer Erfolg. Das Gericht schloss sich fast wortgleich an und verhängte eine dreimo­na­tige Freiheits­strafe gegen Remer „nicht zuletzt ob dessen unbelehr­baren Trotzes“. Ebenso sollte Signal­wir­kung haben, dass Bauers klare Benennung vom „Dritten Reich“ als „Unrechts­staat“ in der Urteils­be­grün­dung ihren recht­li­chen Platz fand.  Das Urteil im Remer-Prozess bedeutete letztlich die Anerken­nung der Legiti­mität des Wider­stands vom 20. Juli 1944. Bauer hatte betonte, dass man den am 20. Juli Betei­ligten nicht vorwerfen könne, sie hätten „den Vorsatz gehabt, Deutsch­land zu schaden“, ihr Ziel sei es vielmehr gewesen, „Deutsch­land zu retten“.

Die von Fritz Bauer beauf­tragte und von Bodo Kampmann geschaf­fene „Justizia“ am seiner­zei­tigen Neubau der Braun­schweiger Staats­an­walt­schaft. Foto: Der Löwe

Meilen­stein der jungen Demokratie

Damit war, wie der frühere Präsident des Oberlan­des­ge­richts Braun­schweig, Rudolf Wasser­mann, feststellte, mit dem Braun­schweiger Prozess nicht nur „eine Wende in der Bewertung des 20. Juli“ erreicht, sondern Wasser­mann beurteilte den Braun­schweiger Remer-Prozess 1952 als den „bedeu­tendsten Prozess mit politi­schem Hinter­grund seit den Nürnberger Kriegs­ver­bre­cher­pro­zessen und vor dem Frank­furter Auschwitz-Prozess. Es war ein Meilen­stein bei der Fundie­rung und dem festi­genden Ausbau der jungen Demokratie in der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land.

Fritz Bauer zählt unzwei­fel­haft zu den paradig­ma­ti­schen Persön­lich­keiten, deren Einsatz nach 1945 entschei­dend war für den Aufbau jener Demokratie, die lange Vorbild in der westli­chen Demokra­tie­ge­schichte war und um die wir ganz aktuell wieder im Sinne von Fritz Bauer kämpfen müssen, denn: „Demokratie braucht Demokraten!“. Bauer trug maßgeb­lich zur straf­recht­li­chen Aufar­bei­tung der NS-Verbre­chen bei und war später Initiator der aufse­hen­er­re­genden Frank­furter Auschwitz-Prozesse (1963 – 1965). Zudem gab er dem israe­li­schen Geheim­dienst Mossad den entschei­denden Hinweis auf den Aufent­haltsort Adolf Eichmanns, der im Reichs­si­cher­heits­hauptamt die Todes­trans­porte in die Vernich­tungs­lager organi­siert hatte. Eichmann wurde in Israel zum Tode verur­teilt und hinge­richtet.

Humani­sie­rung der deutschen Justiz

Fritz Bauer scheute auch später keine klaren Worte. So auch als er persön­lich 1966 in Alexander Kluges wichtigem Film „Abschied von gestern“ auftrat und ein Plädoyer für eine Humani­sie­rung der deutschen Justiz plädie­rend. Der Klage eines ameri­ka­ni­schen Juristen über seine deutschen Kollegen, dass diese nur Wert legten auf techni­sche Fertig­keiten, aber mensch­liche Wärme und affektive Bezüge vermissen ließen, hielt er seine Sicht mit zwei Begriffen entgegen, die den Menschen und damit den Juristen in seinem Handeln bestimmen sollten: „Ratio­na­lität und Humanität“.

Inschrift in Stein

Ganz in diesem Sinne erweisen sich zwei öffent­liche Zeugnisse als Bestä­ti­gung dieser Grund­hal­tungen Fritz Bauers bereits aus den Anfangs­jahren als General­staats­an­walt in Braun­schweig: Damals entstand der Neubau des Gebäudes der General­staats­an­walt­schaft am Domplatz, das 1956 einge­weiht wurde. Neben dem Haupt­ein­gang wurde an der Wand die Inschrift in Stein, die dauer­hafte Aktua­lität besitzt, angebracht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu schützen ist Verpflich­tung aller staat­li­chen Gewalt (Art. 1 GG).

Fritz Bauers Bemühen war unter anderem stets auf den Ausbau einer demokra­ti­schen Justiz gerichtet, orien­tiert am Grund­ge­setz vom 23. Mai 1949, auf das er unbeirrt sein eigenes Demokratie- und Rechts­ver­ständnis stützte. Deshalb zierte dieselbe Inschrift später auch am Gebäude der Hessi­schen Staats­an­walt­schaft in Frankfurt.

Inschrift des Artikel 1 des Grund­ge­setzes am seiner­zei­tigen Neubau der Braun­schweiger Staats­an­walt­schaft. Foto: Der Löwe

Die andere „Justitia“

Zweites Beispiel ist die am Braun­schweiger Neubau sichtbare Figur der „Justitia“. Auffal­lend auf den ersten Blick ist bei dieser 3 Meter hohen, aus 1,5 mm Kupfer­blech getrie­benen Figur, dass die klassi­schen Attribute wie Waage, Schwert und Augen­binde fehlen. Diese Symbole sind bekannt­lich der Perso­ni­fi­ka­tion der Gerech­tig­keit seit der Antike, überlie­fert. Besonders seit dem Mittel­alter sollten sie verdeut­li­chen, dass das Recht unpar­tei­lich, ohne Ansehen der Person (Augen­binde), abgewogen in der Sache (Waage) und mit der notwen­digen Härte (Richter­schwert) gespro­chen und durch­ge­setzt werde.

Ganz anders dagegen Bauers Braun­schweiger „Justitia“: Die Figur selbst wurde als Waage gestaltet. Ohne Augen­binde und Richt­schwert symbo­li­siert sie das Richteramt als das eines Schlich­ters, nicht als das des Henkers. Dazu Fritz Bauer: „Justitia bedarf keiner mecha­ni­schen Waage, sie ist keine Gewürz­krä­merin. Sie selber ist als Waage gesehen und gestaltet und im Gleich­ge­wicht. Mit ihren Händen wiegt sie nicht Sachen und Taten, sondern Täter und Menschen, die – gemessen an ihrer Größe, der Übermensch­lich­keit von Recht und Gerech­tig­keit – winzige Kreaturen sind und allesamt – Ankläger und Angeklagter, Zeuge und Sachver­stän­diger – leicht, zu leicht leicht befunden werden“.

Diese Inter­pre­ta­tion unter­streicht die zutiefst vom Humanismus geprägte Haltung von Fritz Bauer und dessen Rechts­ver­ständnis, das man bis heute ganz zweifellos als vorbild­haft bezeichnen kann, wie auch seine Person als richtung­wei­send für die Justiz im Nachkriegs­deutsch­land angesehen werden muss, wobei er seine ganze Kraft für den Aufbau einer demokra­ti­schen Justiz einsetzte.

Prof. Dr. h. c. Gerd Biegel Gründungs­di­rektor des Instituts für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und Geschichts­ver­mitt­lung, TU Braun­schweig

Mehr unter:

Das könnte Sie auch interessieren

  • Risse im Fundament der Demokratie

    Risse im Fundament der Demokratie

    „Fritz Bauer Ultras“ ist mehr als ein Schauspiel von Christian Weiß über den legendären früheren Braunschweiger Oberstaatsanwalt, der die Ausschwitz-Prozesse in Frankfurt initiierte. Weiterlesen

  • Was bedeutet das Braun­schwei­gi­sche für dich?

    Was bedeutet das Braun­schwei­gi­sche für dich?

    Das Braun­schwei­gi­sche ist mehr als bloß eine Stadt. Das histo­ri­sche Braun­schweiger Land reicht von Blanken­burg im Harz bis nach Theding­hausen bei Bremen, von Helmstedt bis nach Holzminden. Einst war es das Zentrum welfi­scher Macht. Und heute? Was zeichnet das Braun­schwei­gi­sche aus? Wer prägt es? Und welche Bedeutung hat es für die Gesell­schaft und in der… Weiterlesen

  • So kämpft Nishtman in Braun­schweig für die Frauen im Iran

    So kämpft Nishtman in Braun­schweig für die Frauen im Iran

    Jede Woche organisiert die 28-jährige Nishtman Abdollahi in Braunschweig Demonstrationen gegen das Mullah-Regime. Beim Leserforum ist sie dabei. Weiterlesen