Auf zu den verschwun­denen Orten

Kirche in Runstedt kurz vor dem Abriss Ende der 50 er Jahre. Foto: LK Helmstedt, Kreisheimatpflege
Kirche in Runstedt kurz vor dem Abriss Ende der 50 er Jahre. Foto: LK Helmstedt, Kreisheimatpflege

Spuren­suche im Helmstedter Braun­koh­le­re­vier: Wo ist das Gestern und wo ist das Morgen?

Verschwunden sind die Dörfer Alvers­dorf, Alt- Büdden­stedt, Runstedt und Wulfers­dorf. Sie mussten dem Braun­koh­le­bergbau im Revier Helmstedt weichen. Jahrhun­derte lang war der Kohle­abbau die wirtschaft­liche Kraft der Region um Schöningen. Verschwunden sind auch die riesigen Bagger, die sich in das Gelände fraßen. Angefangen vom „Trendel­busch“ (1874 – 1916) bis zu Schöningen Nord/Süd (1978 – 2016) sind alle zehn Tagebaue still­ge­legt. Die 222 Jahre dauernde Geschichte des Kohlen­berg­baus ist beendet. Das Gebiet soll zu einem Naherho­lungs- und Touris­mus­ge­biet ausgebaut werden. Ist das die Zukunft? Im Zentrum steht dabei der Lappwaldsee. Die früheren Tagebaue Helmstedt (1973 – 2002) und Wulfers­dorf (1936 – 1952) werden dazu geflutet. Voraus­sicht­lich bis in die frühen 2030er Jahre wird das dauern.

Die Tour „Industrie verändert Landschaft. Eine Rundfahrt mit dem Fahrrad auf den Spuren der verschwun­denen Orte“ am 22. Juli zeigt auf, was war, was ist und was wird. Der wahrlich nicht einfache Struk­tur­wandel im Landkreis Helmstedt ist in vollem Gange. Kreis­hei­mat­pfleger Bernd Felgen­träger begibt sich mit Landrat Gerhard Radeck auf Entde­ckungs­reise und lädt Inter­es­sierte ein. Die Veran­stal­tung ist eine Koope­ra­tion der AG Heimat­pfleger der Braun­schwei­gi­schen Landschaft und des Landkreises Helmstedt. Eine Sonder­aus­stel­lung im Heimat­mu­seum Schöningen wird sich vom 10. August an zusätz­lich mit dem Thema „222 Jahre Braun­koh­le­ge­win­nung in der Region Ostafalen beschäf­tigen.

„Bis 2016 wurde eine Fläche von rund 40 Quadrat­ki­lo­me­tern vollständig verändert. Riesige Tagebaue entstanden und verschlangen Straßen, Eisen­bahn­li­nien und ganze Dörfer, um anschlie­ßend wieder renatu­riert zu werden. Ebenso wurden riesige Indus­trie­bauten errichtet und auch wieder abgerissen. Mit der Radtour wollen wir an die Standorte der Dörfer Alvers­dorf, Alt Büdden­stedt und Runstedt führen und anhand alter Fotos darlegen, wie es dort früher aussah und wie sich das Landschafts­bild drastisch verändert hat“, sagt Felgen­träger.

Einst arbei­teten 7.000 Menschen im Helmstedter Braun­koh­le­re­vier. Die Indus­trie­ar­beits­plätze sind in der struk­tur­schwa­chen Region mittler­weile komplett verschwunden. Jetzt geht es darum, den Struk­tur­wandel erfolg­reich zu bewäl­tigen. Ein Hoffnungs­schimmer ist dabei der Touris­mius. Mit „Trendel­busch“, „Treue“ und „Alvers­dorf“ sind drei Tagebaue schon verkippt. Bereits geflutet sind „Victoria“, „Jakobs­grube“ und „Anna“. Das ehrgei­zigste Renatu­rie­rungs­pro­jekt hat mit dem Lappwaldsee begonnen.

Während die betei­ligten Bergbau­un­ter­nehmen ihre bergrecht­li­chen Verpflich­tungen zur Wieder­nutz­bar­ma­chung des Geländes und zur Herstel­lung der öffent­li­chen Sicher­heit wahrnehmen, gehen die Planungen der Kommunen weit darüber hinaus. Der Lappwaldsee wird zu einem länder­über­grei­fenden Erholungs­ge­wässer entwi­ckelt, an dem Baden, Wasser­sport, Angeln und Natur­schutz verträg­lich mitein­ander kombi­niert werden. Ein rund 16 Kilometer langes Wander- und Radwe­ge­netz mit diversen Aussichts­punkten soll den See mit den umlie­genden Dörfern und touris­ti­schen Zielen verbinden. Neben Strand­be­rei­chen, die zum Baden einladen, soll in Zukunft auf dem Lappwaldsee auch Surfen, Wasserski fahren und Regat­ta­sport möglich sein. Am nördli­chen Aussichts­punkt Peters­berg zwischen Schöningen und Höten­s­leben kann schon heute die entste­hende Landschaft begut­achtet werden.

Ob das den Bergbau als Wirtschafts­faktor ersetzen kann? Die Braun­koh­le­vor­kommen um das heutige Helmstedt waren vor 50 bis 60 Millionen Jahren entstanden. Mit dem Abbau begann 1795 der Theolo­gie­stu­dent der Univer­sität Helmstedt, Johann Moritz Friedrich Koch. Er legte die erste Helmstedter Kohle­grube in Form einer Schacht­an­lage an. Nach der Priva­ti­sie­rung der herzog­li­chen Braun­koh­len­werke 1873 und der Gründung der „Braun­schwei­gi­schen Kohlen­werke Helmstedt“ breiteten sich die Abbau­ge­biete schnell aus. Vor allem seit die Grube Trendel­busch – Runstedt an das Bahnnetz angeschlossen worden war, erlebte der Braun­koh­len­abbau einen großen Aufschwung. Er ging auch zu Lasten der verschwun­denen Orte:

Alvers­dorf: Als das Dorf 1971 aufhörte, als selbst­stän­dige Gemeinde zu existieren, wohnten dort noch 324 Menschen. Sie wurden nach Schöningen umgesie­delt. Bereits Anfang der 1920er Jahre hatte es erste Pläne gegeben, das Dorf zugunsten des Braun­kohle-Tagebaus Alvers­dorf abzureißen. Von 1940 an durfte dort nicht mehr neu gebaut werden. 1962 wurde der Tagebau schließ­lich aufge­schlossen, 1967 begann der Abriss des Dorfes, der 1974 beendet wurde. 1991 war der Tagebau Alvers­dorf ausge­kohlt. In Alvers­dorf befand sich ein Hallenbad, das von den Braun­schwei­gi­schen Kohlen-Bergwerke AG (BKB) betrieben wurde. Es wurde mit der Abwärme des Kraft­werks „Treue“ beheizt. Der Eintritt war kostenlos.

Alt-Büdden­stedt: Bereits Mitte der 1930er Jahre begann die Umsied­lung der ersten Bewohner, weil unter dem Ort wertvolle Kohle lagerte. Die Braun­schwei­gi­schen Kohlen-Bergwerke beschlossen den Bau von zunächst 100 Siedlungs­häu­sern auf „kohle­freiem“ Gelände in der Nähe von Büdden­stedt. Vor allem während des Zweiten Weltkrieges wurde der Abriss des alten Dorfes forciert, die Rüstungs­in­dus­trie brauchte Kohle. Im Jahre 1941 verschwand der Friedhof, die Gräber waren aller­dings schon 1938 in die, wie man damals sagte, „Siedlung Büdden­stedt“ umgebettet worden. Am Karfreitag des Jahres 1943 wurde die Kirche gesprengt. Die letzten Bewohner verließen im Dezember 1947 kurz vor den heran­na­henden Baggern ihre Häuser.

Runstedt: Das Dorf stand auf tagebau­wür­diger Kohle und wurde in das Abbau­ge­biet des Tagebaus „Treue“ einbe­zogen. Bereits seit 1893 hatte die Brikett­fa­brik Trendel­busch ihr Geschäft dort errichtet. Das letzte Runstedter Gebäude wurde im Oktober 1972 abgerissen. Es war die alte Holländer-Windmühle. Sie lag aller­dings außerhalb des eigent­li­chen Ortes. Der Abriss der Wohnhäuser hatte bereits 1958 begonnen und war zehn Jahr später abgeschlossen. Im Mittel­alter hatte sich der Stammsitz der namens­ge­benden Adels­fa­milie von Runstedt in dem Ort befunden.

Wulfers­dorf: Das erste Dorf, das im heutigen Landkreis Helmstedt dem Braun­koh­le­ta­gebau weichen musste, war Wulfers­dorf. Zum Zeitpunkt des Abrisses von 1940 bis 1945 gehörte das Dorf zur Gemeinde Harbke. Der Tagebau Harbke/Wulfersdorf wurde 1909 aufge­schlossen. Bis 1952 war er in Betrieb. 1919 lebten in Wulfers­dorf 118 Personen. 1840 war dort beim Bau eines Brunnens erstmals Braun­kohle entdeckt worden. Der Graf Röttgen von Veltheim ließ daraufhin nach Braun­kohle schürfen. 1842 folgte der erste kleine Tiefbau mit Namen August Ferdinand 1. Auf dem Gebiet befindet sich heute eine Deponie, so dass die Radtour den ehema­ligen Ort nicht beinhaltet.

Die Radtour:

Anmeldung unter E‑Mail: sommertour@landkreis-helmstedt.de oder unter der Telefon­nummer (05351) 121‑1118. Anmel­dungen bis spätes­tens 17. Juli. Für die Verpfle­gung fällt ein Kosten­bei­trag von 10 Euro an. Die Fahrt ist auf  50 Teilnehmer begrenzt. Es wird empfohlen, einen Fahrrad­helm zu tragen.”
Treff­punkt: 38364 Schöningen. Parkplatz am Schloss
Länge und Dauer: ca. 35 km und 4 ‑5 Stunden

Die Ausstel­lung:

Start: 10. August, 16 Uhr
Ort: Heimat­mu­seum Schöningen, Markt 33, 38364 Schöningen
Öffnungs­zeiten: Mittwoch 15 – 17 Uhr, Samstag: 10.30 – 12.30 Uhr, Sonntag: 14 – 17 Uhr.
Führungen außerhalb der Öffnungs­zeiten: 05352–50838

Fotos

Das könnte Sie auch interessieren