Ein Kinder­spiel mit den Weltre­li­gionen

Unter einem Kirschbaum in einem fernen Land sitzt Mikail und hütet seine Schafe. Der Junge träumt in den abendlichen Sternenhimmel und fragt sich, ob es noch mehr gibt als das, was er bereits kennt. Und manchmal hat er das Gefühl, dass es da oben etwas ganz Besonderes gibt. Foto: Theater Fadenschein / G. Wolters
Unter einem Kirschbaum in einem fernen Land sitzt Mikail und hütet seine Schafe. Der Junge träumt in den abendlichen Sternenhimmel und fragt sich, ob es noch mehr gibt als das, was er bereits kennt. Und manchmal hat er das Gefühl, dass es da oben etwas ganz Besonderes gibt. Foto: Theater Fadenschein / G. Wolters

Im Figuren­theater Faden­schein am Bültenweg wird das Stück „Der Kitzel­könig – eine göttliche Abenteu­er­reise“ für Kinder ab vier Jahren urauf­ge­führt.  

Selten zuvor wurde bei einem Stück des Theaters Faden­schein im Vorfeld so bis in die Tiefe recher­chiert. Nie zuvor gab es so emotio­nale Diskus­sionen. Im Mittel­punkt des 55-minütigen Puppen­theater-Stückes stehen die Weltre­li­gionen. Doch Gott sei Dank ist jetzt alles in trockenen Tüchern. Am Samstag, 22. September, feiert das nach einer Erzählung von Murat Günak geschrieben Stück des Figuren­thea­ters Faden­schein „Der Kitzel­könig – eine göttliche Abenteu­er­reise“ für Kinder ab vier Jahren Premiere. Auf die Bühne kommt eine Auffüh­rung, die gerade in heutigen Zeiten besonders wichtig ist, weil sie für Weltof­fen­heit und Toleranz wirbt.

Der Löwe.info sprach vor der Urauf­füh­rung mit dem Initiator des Theaters Nöck Gebhardt-Seele über das Stück.

Wie wichtig ist das Thema in der heutigen Zeit?

Ich halte dieses Thema für enorm wichtig in unserer Zeit, da ja immer wieder religiös motivierte Gewalt­taten und Kriege unseren Alltag, unsere kultu­rellen Werte und unsere Sicher­heit bedrohen. Ich sehe, dass in unserem kultu­rellen Kontext sehr viele Menschen das Thema vermeiden mit dem Argument, dass Religion Böses hervor bringe. Das halte ich für falsch. Religion an sich ist nicht böse, sondern ganz offen­sicht­lich ein mensch­li­ches Urbedürfnis, das zu allen Zeiten und in allen Kulturen zu spiri­tu­ellen Ausfor­mungen geführt hat. Das Negieren des Themas ist nicht geeignet, den aktuellen Extre­mismus zu vermeiden oder zu bekämpfen. Es ist notwendig, Stellung zu beziehen. Ich bin darüber hinaus der Ansicht, dass es notwendig ist, eine Sensi­bi­li­sie­rung für dieses Thema so früh wie möglich zu erzeugen und es somit auch unserem Kinder­pu­blikum anzutragen. Die Begegnung mit Spiri­tua­lität und den ‘großen Fragen‘ der Mensch­heit hilft vielleicht ein wenig, einer um sich greifenden Verrohung entgegen zu wirken.

Wie sind Sie darauf gekommen?

Als politisch und sozial inter­es­sierter Mensch beschäf­tigte mich die aktuelle Situation in der Welt immer wieder sehr. Ich komme selbst aus einer christ­li­chen Familie und habe mich früh intensiv mit religiösen und philo­so­phi­schen Fragen beschäf­tigt. Meine ebenfalls recht früh erfolgte Abwendung von der Kirche hat das Interesse an diesen Fragen nicht vermin­dert. Der Wunsch, dieses Thema in einem Theater­stück zu verar­beiten, ist schon vor etlichen Jahren entstanden und hat mich seitdem begleitet.

Können Kinder mit vier Jahren die Thematik überhaupt schon verstehen?

Eine berech­tigte Frage, die uns von Anfang an immer wieder intensiv beschäf­tigte. Wie oben beschrieben, ging es zum einen darum, möglichst früh anzusetzen. Dabei waren wir uns auch im Team immer wieder sehr einig, dass es nicht darum geht, ein Religionen-Lehrstück zu entwi­ckeln, Wissen zu vermit­teln oder diskur­sive Ausein­an­der­set­zungen zu erzeugen. Auch kein erhobener Zeige­finger! Natürlich sind 4‑Jährige nicht zu einer intel­lek­tu­ellen Verar­bei­tung solcher Sachver­halte in der Lage. Wie immer bei unseren Kinder­stü­cken ist auch dieses geprägt von dem Versuch, bei der Lebens- und Erlebens­welt unseres Zielpu­bli­kums anzusetzen. Bereits im Kinder­garten werden Kinder beispiels­weise mit religiösen und kultu­rellen Konflikten konfron­tiert. Auch mit diesem schweren Thema haben wir die Hoffnung, dass es gelingt, ‘Würzel­chen‘ zu setzen, die den heran­wach­senden Menschen helfen, sich in (späteren) entspre­chenden Situa­tionen an Bilder und Verhal­tens­muster zu erinnern, dass diese Erinne­rung ihnen hilft, kreativ und selbst­be­stimmt ihren Weg zu konstruk­tiven Lösungen finden.

Wie gelingt dies im Stück?

Wir haben eine Abenteu­er­ge­schichte gestaltet und kein Theorie­stück. Die Protago­nisten Mikail und Bekka sind als kindliche Figuren angelegt, damit sie als Identi­fi­ka­ti­ons­fi­guren funktio­nieren. Die Suche nach einem verlo­renen Schäfchen zieht sich durch die Geschichte und gereicht immer wieder zum Angel­punkt, die Kinder in eine spannende Handlung zu ziehen. Erste Tests mit einer offenen Probe vor Kinder­pu­blikum deuten darauf hin, dass die Kalku­la­tion aufgeht, aber natürlich bleibt es spannend.

Was macht das Stück so besonders?

All unsere Recher­chen haben kaum Vergleich­bares zu Tage gefördert, auch wenn es ein paar recht schöne Kinder- und Bilder­bü­cher zum Thema gibt. Mit einem Theater­stück zu diesem Thema für Kinder­garten und Grund­schule aufzu­warten dürfte schon ziemlich einzig­artig sein. In einem angehängten theater­päd­ago­gi­schen Programm wollen wir vor allem die Grund­schulen bei der weiteren Verar­bei­tung des Themas unter­stützen. In der Regie von Hanne Weyh sind wunder­schöne Bilder, schöne Musik von Elmar Vibrans und eine sehr feinfüh­lige und dichte Handlung entstanden.

Worin lag die Heraus­for­de­rung?

Die vorge­nannten Punkte im Team zu viert zu bündeln, keine kontro­versen Debatten zu scheuen, den Faden nicht zu verlieren und dieses äußerst komplexe Thema auf eine sehr übersicht­liche Handlung herunter zu brechen.

Wie lange dauerten die Vorpla­nungen?

Nach langjäh­rigem Schmoren in meinem Kopf ist Anfang 2015 bei einem Treffen von Murat Günak und mir die Idee entstanden, mit diesem Thema an die Arbeit zu gehen. Bereits im September 2015 lag ein erster Entwurf von Murat Günak für die Geschichte vor, von dem so Manches erhalten geblieben ist. Die Arbeit wurde dann in 2017 konkret und hat deutlich Fahrt aufge­nommen mit dem ersten Teil des Produk­ti­ons­pro­zesses, in dem es um die Entwick­lung eines Stück­textes ging. Neben Hanne Scharn­horst vom Theater Faden­schein als Mitspie­lerin kam nun auch die Drehbuch­au­torin Hanne Weyh dazu. Ihre Aufgabe war es, alle Ideen zu einem Theater­text zusammen zu führen. In 2017 geschah diese Entwick­lung im Vierer-Team mit Murat Günak, Hanne Weyh, Hanne Scharn­horst und mir. In 2018 folgte dann die Insze­nie­rung mit der Premiere am 22. September.

Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

„Ja sehr. Und ich hoffe doch, dass auch unsere Zuschauer zustimmen!“

Info

Intensive Exper­ten­ge­spräche wurden im Vorfeld geführt. Als Gesprächs­partner zur Verfügung standen der „Abrahams Kinder e.V.“, in dem sich regel­mäßig Braun­schweiger Muslime, Juden und Christen treffen, dem „Haus der Religionen“ in Hannover, Lehre­rinnen und Lehrer, Kinder­gärt­ne­rinnen, kirch­li­chen Vertreter und Vertre­te­rinnen aus dem christ­li­chen Bereich und der buddhis­ti­sche Abt Randolph Pleske vom Yun Hwa Sangha Deutsch­land e.V.. Aber auch der Histo­riker Dr. Jörg Munzel, Vorstand des Israel Jacobson Netzwerks, stand als Berater dem Theater­pro­jekt zur Seite.

Das Projekt wird unter anderem von der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz und der Richard Borek Stiftung gefördert.

Abspann

Text und Regie: Hanne Weyh
Musik: Elmar Vibrans 
Spiel:
 Hanne Scharn­horst, Nöck Gebhardt-Seele
Figuren: Hanne Scharn­horst
Bühne: Nöck Gebhardt-Seele, Bärbel Rabold
Kostüme: Bärbel Rabold
Sprech­trai­ning: Karla Mehrtens

Spiel­dauer: 55 Minuten

Tickets: http://www.fadenschein.de/ticket.htm

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