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Figurentheater Fadenschein: Wo Objekte zum Leben erwachen

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Viele Kinder sehen ihr erstes Theaterstück im Figurentheater Fadenschein. Doch das Theater zeichnet sich auch durch ein internationales Festival und innovative, genreüberschreitende Stücke für aus.

Wenn Miriam Paul auf die Bühne tritt, dann zieht sie die Kinder in ihren Bann. Die 43-Jährige leitet das Theater Fadenschein und führt dort Stücke für die Kleinen auf. „Ich liebe es, dass man mit den Kindern den Moment gemeinsam erlebt“, sagt die gebürtige Braunschweigerin. „Wenn die Spannung steigt, halten alle den Atem an.“

Zahlreiche Kindergärten kommen das Theater mit ihren Gruppen besuchen. „So kommen Kinder elternhausunabhängig in Braunschweig oft das erste Mal mit dem Theater in Kontakt“, sagt Paul. Das Figurentheater habe ein hohes Potenzial die Fantasie der Kinder anzuregen, Unmögliches zu denken und ein fragmentarisches Bühnenbild zu vervollständigen. „Ich hänge zum Beispiel eine Lichterkette auf und die Kinder sehen ein Gartenfest“, sagt Paul, „sie brauchen dafür keine Musik oder Bäume in der Kulisse.“

Mehr als bloß Puppentheater

Wenn der Laie Figurentheater hört, dann denkt er oder sie vermutlich zunächst an die Augsburger Puppenkiste, an Kasperl, Seppel oder das Urmel. Dass Figurentheater viel mehr ist, als bloß Puppentheater stellt das Figurentheater Fadenschein unter Beweis. „Alles, was man bewegen kann, kann man auch zum Leben erwecken“, sagt Paul. Im weiteren Sinn können selbst Steine oder Sand durch Bewegung zu Figuren in einem Stück werden.

Beim Figurentheater Fadenschein hat diese moderne Sichtweise Tradition: Denn um innovative Formen des Figurentheaters geht es auch beim internationalen Weitblick-Festival, welches das Fadenschein alle zwei Jahre veranstaltet. Zuletzt fand es im Oktober dieses Jahres statt. Zu Gast waren Theatergruppen aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Tschechien und El Salvador. Sie bespielten viele Theaterbühnen der Stadt, aber auch Orte wie den Kohlmarkt oder das Raabe-Haus. Ein internationales, von einem Theater organisiertes Festival wie dieses ist in Niedersachsen einzigartig. Paul organisierte es in diesem Jahr erstmals zusammen mit Alba Scharnhorst, freie Theaterkünstlerin und Tochter der ehemaligen Leiterin des Theaters Hanne Scharnhorst. Ihre Mutter gründete das Theater 1984 zusammen mit Nöcke Gebhardt-Seele. Durch Unterstützung der Braunschweigischen Stiftung gelang 2020 der Generationenwechsel in der Theaterleitung von den beiden Gründern zu Miriam Paul.

Miriam Paul und Alba Scharnhorst beim Interview für Der Löwe. Foto: Der Löwe

„Mich fasziniert beim Figurentheater die Verbindung von menschlichen Körpern und Objektkörpern“, sagt Alba Scharnhorst. Zum Figurentheater gehören für sie neben dem Objekttheater auch Schattentheater oder Maskentheater.

Weitblick-Festival führte Paul zum Figurentheaterspiel

„Unser Publikum ist offen für Grenzgänge in andere Genres“, pflichtet Paul ihr bei – und so freuten sich beide, dass das neuntägige Festival in diesem Jahr viele Besucher anzog.

Ohne das Weitblick-Festival wäre Miriam Paul selbst nicht Figurentheaterspielerin geworden. Als Abiturientin fesselte sie das Festival so sehr, dass sie beschloss in Stuttgart Figurentheaterspiel zu studieren. Dort lernte sie auch den Figurenbau und ging dann als selbstständige Solo-Künstlerin auf Tour. Vor neun Jahren kehrte sie nach Braunschweig zurück. „Ich hatte erst Sorge, dass ich als Konkurrenz betrachtet werden würde“, erinnert sich Paul. Doch sie sei vom Fadenschein mit offenen Armen empfangen worden.

Scharnhorst hingegen wurde das Figurentheaterspiel schon in die Wiege gelegt. Als Kleinkind gruselte sie sich vor den Theaterstücken ihrer Mutter. „Ich fand es merkwürdig, meine Mutter in ihren Rollen zu sehen“, erinnert sie sich. Doch bald darauf erdachte Scharnhorst mit ihren Freunden eigene Stücke und führte diese dann im Familien- und Bekanntenkreis auf. „Ich habe mich dann lange gewehrt, in die Fußstapfen meiner Mutter zu treten, doch sie hat mir die Liebe zum Material mitgegeben“, sagt sie.

Ihre Ideen für neue Stücke ziehen Scharnhorst und Paul aus der eigenen Lebenserfahrung. So geht es bei Scharnhorsts neuestem Stück „Hapto“ um Berührungen. „Berührungen sind etwas, das in der Corona-Zeit sehr gefehlt hat, das hat die Menschen für das Thema sensibilisiert.“

Auch Stücke für Erwachsene

Nicht nur beim Weitblick-Festival arbeiten Paul und Scharnhorst zusammen. Scharnhorst gibt mit ihrer Gruppe „System Rhizoma“ regelmäßig Gastspiele im Fadenschein. Um sich von anderen Unterhaltungsformen abzusetzen, steht bei den Stücken für Erwachsene, die einmal pro Monat stattfinden der Event-Charakter im Vordergrund. So kreieren Paul und ihr Team beispielsweise für jedes Stück ein eigenes Getränk. Beim Stück Hapto, war dies der „Haptonic“, der – serviert im Schwarzlicht – ein bläuliches nebeliges Leuchten entwickelt. Denn Nebel spielt in dem Stück eine zentrale Rolle.

Der Auftritt an sich ist für Paul und Scharnhorst nur ein Bruchteil der Arbeit rund um ein Stück. Mit dem Auf- und Abbau der Bühne, oft an anderen Orten, ist viel körperliche Arbeit verbunden. „Ich bin zum Teil von Beruf auch Möbelpacker“, scherzt Paul. Wichtig für sie ist es, sich vor dem Stück in der Maske auf sich selbst fokussieren zu können. „Das ist gar nicht so leicht, weil ich als Leiterin des Theaters ja auch bei der Organisation gefragt bin.“

Alba Scharnhorst beim Aufbau ihres Stücks „Hapto“.

Besondere Erlebnisse für Kinder vermitteln

Paul hingegen geht bei ihren Stücken auch davon aus, welche Erlebnisse sie den Kindern mit dem Stück mitgeben will. Beide sind sich einig: „Die Stärke von Theater ist der Live-Moment, das gemeinsame In-einem-Raum-Sein. „Jede Aufführung, auch desselben Stücks, ist unterschiedlich“, fasst es Scharnhorst zusammen. Als Erstkontaktstelle für Kinder mit dem Theater erfülle das Figurentheater Fadenschein eine wichtige Funktion in der Stadt. Zudem ist das Fadenschein die einzige Spielstätte in der Stadt für Figurentheater.

Förderung erhalten das Theater sowie auch das Weitblick-Festival von der Braunschweigischen Stiftung und der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz. Die Stiftungen stehen auch beratend zur Seite. „Es ist toll, dass es in den Stiftungen ein Interesse für das Genre gibt und eine Bereitschaft, sich auf unsere Experimente einzulassen“, so Paul. Viele Stiftungsvertreterinnen und -vertreter kommen zu den Premieren. „Das fühlt sich nach einem engen Austausch an“, meint Paul.

Im kommenden Jahr plant Paul eine Co-Produktion mit dem jungen Staatstheater. Der Antrag liegt der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz bereits vor. Dabei sollen ein Schauspieler, ein Musiker und Paul zusammen spielen. „Das ist eine spannende Vernetzung der Arbeitsweisen“, meint sie. Scharnhorst hingegen arbeitet an einem Projekt zu Frauen in Führungspositionen. In den Zwischenräumen von Figurentheater und Tanz soll eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema anhand eines Materials entstehen. Gemeinsam planen beide auch wieder das nächste Weitblick-Festival für 2025, denn, so Paul: „Nach dem Festival ist vor dem Festival.“

Scharnhorst und Paul in der Figurenwerkstatt des Theaters. Foto: Der Löwe

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