Lernen in der Werkstatt der Wörter

Lerntherapeutin Katja Overbeck fördert Kinder mit Lese- und Rechtschreibschwächen. Foto: ZiL
Lerntherapeutin Katja Overbeck fördert Kinder mit Lese- und Rechtschreibschwächen. Foto: ZiL

In der „Recht­schreib­werk­statt“ der Grund­schule Bebelhof lernen Kinder mit einer Lese-Recht­schreib­schwäche den richtigen Umgang mit Buchstaben und Wörtern. In Koope­ra­tion mit dem Zentrum für integra­tive Lernthe­rapie (ZiL) erhalten sie eine indivi­du­elle Förderung, um gezielt an ihren Schwie­rig­keiten zu arbeiten.

Seit 2015 bietet die Grund­schule Bebelhof die „Recht­schreib­werk­statt“ an. Zur Mitte der 2. Klasse werden alle Kinder der zwei Paral­lel­klassen mit einem standar­di­sierten Verfahren getestet, um eventu­elle Schwächen und Schwie­rig­keiten beim Schreiben und Lesen zu erkennen. Zu dem Zeitpunkt ist üblicher­weise das Erlernen der Lesetechnik abgeschlossen, zugleich bleibt aber noch Zeit, bevor die Kinder auf eine weiter­füh­rende Schule wechseln. In Gesprä­chen mit den Lehrkräften und der Lernthe­ra­peutin Katja Overbeck vom Zentrum für integra­tive Lernthe­rapie werden dann drei Kinder pro Klasse ausge­wählt, die ein Jahr lang eine regel­mä­ßige Förderung durch die Lernthe­ra­peutin erhalten.

Das Verfahren sei oft mit langen Diskus­sionen verbunden, erzählt Roswitha Siering, die Schul­lei­terin. Wichtig sei, die Lese-Recht­schreib­schwäche richtig zu diagnos­ti­zieren, „Teilleis­tungs­stö­rung“, nennt Katja Overbeck sie. Manche Schüler haben neben Schwie­rig­keiten mit dem Lesen und Schreiben auch Probleme beim Rechnen und in anderen Bereichen. Diese Kinder müssen dann anders gefördert werden, als das in der „Recht­schreib­werk­statt“ möglich ist.

Einmal in der Woche kommt Overbeck in die Schule, wo sie einen gemüt­li­chen Raum zur Verfügung hat. Siering konnte eine der Deutsch­stunden als Förder­stunde in den Stunden­plan integrieren. Auch die übrigen Kinder erhalten in dieser Zeit besondere Förder­an­ge­bote, je nach ihren Bedürf­nissen. „Die Lernthe­rapie-Kinder sollen nicht das Gefühl haben, sie verpassen in der Stunde z.B. wichtigen Mathe-Stoff“, begründet sie.

Overbeck verpackt ihre Aufgaben für die Kinder in abwechs­lungs­reiche Spiele – ein Memory, bei dem Reimpaare mit den Zwielauten „eu“, „ei“ und „au“ gefunden werden müssen oder ein Buchsta­ben­kasten, bei dem Wörter aus einzelnen Buchsta­ben­klötz­chen gelegt werden. Oft sei dabei eine Entschleu­ni­gung der Schlüssel, beobachtet sie. „Bei vielen Kindern geht es einfach zu schnell, sie werfen verschie­dene Dinge zusammen, bringen sie durch­ein­ander – Buchsta­ben­salat.“ Da helfe es dann, einen Schritt zurück zu gehen, die Techniken langsam zu lernen mit Blick aufs Detail, um so zum automa­ti­sierten Lesen zu kommen.

Dabei ist die Recht­schreib­schwäche oft der Ausgangs­punkt für einen Teufels­kreis: Das Kind kommt im Unter­richt nicht mit und bringt schlechte Noten nach Hause. Die Eltern machen sich Sorgen, üben Druck auf das Kind aus, auf den es dann mit Gegen­druck reagiert. So geht es zunächst darum, diesen Schul­frust abzubauen, das Selbst­wert­ge­fühl der Kinder zu heben, seine Stärken zu erkennen und zu fördern.

Doch es gibt kein Standard­pro­gramm, das für jedes Kind passt. „In den Klein­gruppen haben wir die Möglich­keit, jedes Kind indivi­duell zu fördern, seine Stärken und Schwächen auszu­loten und so genau die richtige Therapie zu finden“, erklärt Overbeck. Und mitunter geht es um viel mehr als die richtige Reihen­folge der Buchstaben. Zeigt ein Kind Verhal­tens­auf­fäl­lig­keiten, setzt die Thera­peutin auch dort an und versucht, diese zu behandeln.

Wichtige Bausteine des Projektes sind auch regel­mä­ßige Gespräche mit den Lehrkräften und Eltern­nach­mit­tage. Die Lehre­rinnen und Lehrer werden so für die Proble­matik sensi­bi­li­siert, um im Schul­alltag mit den Problemen umgehen zu können. Da wird bei einem Kind beim Lesen aus einem „bei“ ein „die“. Schnell ist der Impuls da, ungeduldig zu reagieren. Zu erkennen, dass das Kind schon ganz viel richtig gelesen hat und vielleicht einfach nur ein Problem mit der Leserich­tung hat, ist nicht einfach. So besteht die Gefahr, dass alle frustriert sind – Schüler und Lehrer. Umgekehrt profi­tiert auch Overbeck vom kolle­gialen Austausch mit Siering und ihren Kolle­ginnen und Kollegen. Beide Frauen sind sich einig. „Wir schätzen das Fachwissen und die Erfahrung des jeweils anderen und haben gegen­seitig Respekt vor der Arbeit.“

Nach Ablauf des Förder­jahres beobachten die betei­ligten Lehrkräfte bei allen geför­derten Kindern eine indivi­du­elle Verbes­se­rung der Leistungen, die meisten liegen dann im normalen Durch­schnitt und kommen gut mit der Klasse mit. Bei manchen Kindern empfehlen sie auch die weitere Förderung durch das ZiL. Das ZiL ist ein durch die Initia­tive betrof­fener Eltern und inter­es­sierter Fachleute gegrün­deter gemein­nüt­ziger Verein und kann auf fast 40 Jahre Erfahrung mit ganzheit­li­chen Therapien von lese‑, recht­schreib- und rechen­schwa­chen Kindern zurück­greifen. „Es wäre einfacher, wenn das ZiL seine Leistungen auch in den Räumen der Schule anbieten könnte“, überlegt Overbeck. So könnten die Eltern Zeit und lange Wege sparen, zudem sinke die Hemmschwelle, denn auch der Begriff „Therapie“ ist für manche negativ besetzt, besonders Familien mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund verbinden damit eine Krankheit, für die sie sich schämen.

Ermög­licht wird das Projekt durch die finan­zi­elle Unter­stüt­zung der Richard Borek Stiftung, der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz und der Bürger­stif­tung. „Natürlich wäre es schön, wenn es eine laufende Unter­stüt­zung z.B. durch die Stadt Braun­schweig gäbe, die auch Projekte an anderen Schulen ermög­li­chen würde“, wünscht sich Katja Overbeck. Auch eine Fortbil­dung der Lehrkräfte in diesem Bereich findet sie wichtig. Generell sinke in der Gesell­schaft die Bedeutung der Recht­schrei­bung, dabei sei sie die Grundlage für eine erfolg­reiche Schul­lauf­bahn der Kinder.

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