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Die Hälfte hat noch nie eine Schule besucht

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Alphabetisierungskurse der Volkshochschule legen die Basis für zugewanderte Kinder und Jugendliche, um in der Schule lernen zu können.

Lesen und schreiben zu können, ist eine Grundvoraussetzung für eine gelingende Integration Geflüchteter in unsere Gesellschaft. Das gilt erst recht für schulpflichtige Kinder und Jugendliche, die zu uns gekommen sind. Was nützt ihnen ihr Aufenthalt in Schulklassen, wenn sie nichts von dem verstehen, was dort gesagt wird? Deswegen bietet die Volkshochschule in Zusammenarbeit mit dem Bildungsbüro der Stadt Braunschweig seit 2021 mit Erfolg Alphabetisierungskurse für elf- bis 18-jährige Menschen an.

„Die Alphabetisierungskurse schließen eine Lücke im Reigen der vielen Sprachförderprojekte, die es bereits gibt“, verdeutlicht Sonja Lubetzki-Meyer von der Jugendförderung der Stadt, zuständig für Bildungsmaßnahmen für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Sie hatte gemeinsam mit ihren Kolleginnen vom Bildungsbüro den Bedarf im Rahmen der dreimonatigen Schul-Vorbereitungskurse für zugewanderte Kinder und Jugendliche ausgemacht und die Alphabetisierungskurse auf den Weg gebracht. Bis heute begleitet sie das Projekt engagiert.

Teilnehmer sind hoch motiviert

Renate Wolter, ehemalige Fremdsprachen- und Deutschlehrerin, nimmt sich als Lehrkraft der jungen Geflüchteten in Räumen der Grund- und Hauptschule Sophienstraße mit viel Herzblut an. Im aktuellen Kursus sind zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Keiner von ihnen sprach auch nur ein Wort Deutsch oder konnte die von uns benutzten lateinischen Buchstaben schreiben, bevor er den Klassenraum erstmals betrat. Fünf von ihnen hatten noch nie zuvor eine Schule besucht. „Aber alle sind motiviert, kommen gerne und regelmäßig zum außerschulischen Unterricht. Einige von ihnen möchten sogar Sonderaufgaben mit nach Hause nehmen, um schneller lernen zu können. Alle wollen sich integrieren. Sie wissen, dass sie dazu Deutsch lesen und schreiben können müssen“, sagt Renate Wolter.

Möglich wurden die Kurse anfangs durch eine zweckgebundene Erbschaft, die die Stadt erhalten hatte. Ziel ist es jedoch, das erfolgreiche Projekt über die institutionelle Förderung durch die Stadt zu verstetigen. Ein entsprechender Antrag ist vorbereitet. Bis es so weit ist, sprang die Richard Borek Stiftung mit entsprechender finanzieller Unterstützung ein. Die Dauer eines Kurses entspricht der eines Schuljahrs. Am Ende sollen die Kinder und Jugendlichen das lateinische Alphabet kennen und einfache Sätze lesen und schreiben können. Das ist die Voraussetzung, um in der Schule lernen zu können und für weitere Sprachprogramme befähigt zu sein. „Wir legen die Basis für ein gutes Ankommen in unserer Gesellschaft“, streicht Andrea Sapalidis, Leiterin des Programms „Deutsch als Fremdsprache“ bei der Volkshochschule, heraus.

Vom Lautieren zum Schreiben und Lesen

Die jungen Menschen stammen überwiegend aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, aber auch aus Somalia, Eritrea oder nach dem russischen Angriffskrieg zunehmend auch aus der Ukraine. Renate Wolter bringt ihnen die deutsche Sprache über Bildkarten, Gesten, Darstellungen und Gegenständen bei. „Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen über Laute die richtige Buchstabenzuordnung in einem für sie doch völlig neues Sprachsystem. Neben dem mündlichen Spracherwerb liegt der Fokus bei diesem Alphabetisierungskurs auf der Herstellung der Lese- und Schreibfähigkeit, wobei man sich viele Methoden und Materialien zu Nutze machen kann, die im Rahmen der Grundbildungsarbeit zur Alphabetisierung für deutsche Mitbürgerinnen und Mitbürger entwickelt wurden“, erläutert Renate Wolter.

Um dem teilweise erheblich unterschiedlichen Leistungsstand der jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer besser und individueller gerecht werden zu können, gibt es aktuell zwei parallele Kurse, einen für Anfänger und einen für Fortgeschrittene. Viele Dinge, die uns selbstverständlich erscheinen, können die Kinder und Jugendlichen nicht, müssen sie erst erlernen. Der Ehrgeiz, dass sie sich zu wertvollen Mitgliedern unserer Gesellschaft entwickeln können, ist bei allen drei für die Alphabetisierungskurse wichtigen Frauen ebenso groß, wie bei den zugewanderten Kindern und Jugendlichen. Gut, dass es auch im nächsten Schuljahr weitergehen kann.

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