„Dienst­leis­tung für eine demokra­ti­sche Gesell­schaft“

Das Podium in der Dornse: Franz Koessler, Frank Überall und Stefanie Panzenböck. Foto: Ralph-Herbert Meyer
Das Podium in der Dornse: Franz Koessler, Frank Überall und Stefanie Panzenböck. Foto: Ralph-Herbert Meyer

Podiums­dis­kus­sion „Presse­frei­heit in Europa“ in der Dornse des Altstadt­rat­hauses: Plädoyer für unabhän­gigen Journa­lismus.

Die Lebens­wirk­lich­keit vieler Menschen komme in der heutigen Medien­welt zu wenig  zum Tragen, weil Journa­listen zunehmend aus dem Bildungs­bür­gertum stammten und den Blick für die sozialen Probleme vieler Menschen aus den Augen verloren hätten. Daraus resul­tiere eine Glaub­wür­dig­keits­krise der klassi­schen Medien, die sich Populisten und nicht-journa­lis­ti­sche Medien im Internet zunutze machten, kriti­sierte der Wiener Publizist Franz Koessler während der Podiums­dis­kus­sion „Presse­frei­heit in Europa“ in der Dornse des Altstadt­rat­hauses. „Dem Journa­lismus fehlt zunehmend die Sensi­bi­lität für das Publikum. Darin sehe ich ein großes Defizit“, meinte der frühere stell­ver­tre­tende ORF-Chefre­dak­teur und Chef der Nachrich­ten­sen­dung „Zeit im Bild“. Diese Entfrem­dung führe zu den zwar letztlich haltlosen, aber doch kolpor­tierten Vorwürfen wie „Lügen­presse“ oder „System­presse“.

Die Podiums­dis­kus­sion war eine Folge­ver­an­stal­tung zum Lessing-Preis für Kritik 2018. Veran­stalter war die Lessing-Akademie Wolfen­büttel in Zusam­men­ar­beit mit der Braun­schwei­gi­schen Stiftung. Auslöser für diese Debatte in der Dornse war die aufrüt­telnde Dankes­rede der öster­rei­chi­schen Journa­listin und Förder­preis­trä­gerin Stefanie Panzen­böck mit ihrem flammenden Plädoyer für Presse­frei­heit. Moderator war Frank Überall (Köln), Vorsit­zender des Deutschen Journa­listen Verbandes. Den Lessing-Preis für Kritik 2018 hatte die verstor­bene Elizabeth T. Spira gerade für ihre lebens­nahen Reportage-Reihen „Alltags­ge­schichte“ (1985 – 2006) und „Heirats­sa­chen“ (seit 1997) im  ORF erhalten. Darin, so die Jury,  habe sie den Blick auf den Menschen nicht beschö­nigt, keine Schwächen verdeckt. Immer wieder hatte sie das den Menschen vorent­hal­tene Glück thema­ti­siert.

Die Kluft zwischen Medien­welt und Publikum werde größer, befürchtet Koessler. Gründe dafür seien auch der wachsende wirtschaft­liche Druck auf die Medien­häuser, die daraus resul­tie­rende abneh­mende Medien­viel­falt und die ebenfalls damit verbun­dene Arbeits­ver­dich­tung für die Journa­listen. Es gebe kaum noch die Zeit für einen Journa­listen, sich mal zwei oder drei Tage intensiv mit einem Thema zu beschäf­tigen, bevor es in einen Beitrag münden müsse. „Dabei ist Zeit die wichtigste Ressource für guten Journa­lismus“, so Koessler. Die Heraus­for­de­rungen des Journa­lismus seien im digitalen Zeitalter viel größer als noch vor einigen Jahrzehnten.

„Was ist uns die Presse­frei­heit wert“, fragte der erfahrene Journa­list auch angesichts zahlloser kosten­loser Infor­ma­ti­ons­quellen im Internet. Eine Nachricht stimme im Gegensatz zu vielen Verlaut­ba­rungen im World Wide Web, wenn sie ein guter Journa­list für ein unabhän­giges Medium recher­chiert habe. „Glaub­wür­dig­keit sei die wichtigste Währung der Medien“, ergänzte Frank Überall, Chef des Deutschen Journa­listen Verbandes. Journa­lismus sei eine Dienst­leis­tung für eine gut funktio­nie­rende demokra­ti­sche Gesell­schaft.

„Engagierter Journa­lismus wird immer wichtiger. Engagierter Journa­lismus darf aber kein Aktivismus sein, er macht sich nicht gemein mit einer Partei oder einer Ideologie. Er ist unabhängig. Unabhän­gige Bericht­erstat­tung ist in Europa aber immer stärker bedroht“, hatte Förder­preis­trä­gerin Stefanie Panzen­böck während der Preis­ver­lei­hung 2018 gesagt. Sie verwies auch auf Gewalt gegen Journa­lis­tinnen und Journa­listen in diversen Ländern wie zum Beispiel in Ungarn oder der Türkei.

Öster­reich und Deutsch­land zählen in der aktuellen Liste von „Reporter ohne Grenzen“ nicht zu den Ländern, in denen Journa­lis­tinnen und Journa­listen aktiv bedroht werden. Sie liegen auf Platz 12 (Deutsch­land) und 16 (Öster­reich) in der Rangliste zur Presse­frei­heit, aber dennoch gebe es auch in diesen Ländern  Einschrän­kungen. „Kritik gibt es an Journa­listen in Öster­reich, in Deutsch­land wird es nicht anders sein, nicht etwa, weil Fragen nicht gestellt wurden, sondern weil bestimmte Fragen gestellt wurden“, so Koessler.  Sowohl in Öster­reich als auch in Deutsch­land herrsche noch immer ein gewisses Obrig­keits­denken, so dass manche Fragen von Journa­listen vom Publikum als unver­schämt, anmaßend oder überheb­lich empfunden würden. Das sei auch der Grund, warum das Ansehen des Journa­lis­ten­standes nur unwesent­lich besser sei als das der Politiker.

Presse­frei­heit, erklärte  Stefanie Panzen­böck, sei eine der wichtigsten Voraus­set­zungen für Demokratie. Eine unabhän­gige, kritische Presse schütze vor Korrup­tion und sorge für Trans­pa­renz.

Die Rangliste der Presse­frei­heit 2019

Grund­lagen der Rangliste sind ein Frage­bogen zu verschie­denen Aspekten journa­lis­ti­scher Arbeit sowie die von Reporter ohne Grenzen ermit­telten Zahlen von Übergriffen, Gewalt­taten und Haftstrafen gegen Medien­schaf­fende. Daraus ergeben sich für jedes Land Punkt­werte, die im Verhältnis zu den Werten der übrigen Länder die Platzie­rung in der Rangliste bestimmen.

  1. Norwegen
  2. Finnland
  3. Schweden
  4. Nieder­lande
  5. Dänemark
  6. Schweiz
  7. Neusee­land
  8. Jamaika
  9. Belgien
  10. Costa Rica
  11. Estland
  12. Portugal
  13. Deutsch­land
  14. Island
  15. Irland.

  1. Laos
  2. Saudi-Arabien
  3. Dschibuti
  4. Syrien
  5. Sudan
  6. Vietnam
  7. China
  8. Eritrea
  9. Nordkorea
  10. Turkme­ni­stan

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