Angela Ittel: „Ich will eine TU der Vielfalt und der Exzellenz“

Braunschweigs TU-Präsidentin Professorin Angela Ittel auf dem Forumsplatz vor dem Audimax. Foto: Peter Sierigk
Braunschweigs TU-Präsidentin Professorin Angela Ittel auf dem Forumsplatz vor dem Audimax. Foto: Peter Sierigk

Seit dem 1. Juli ist sie im Amt: Jetzt spricht Braun­schweigs neue TU-Präsi­dentin über ihren Start und ihre Pläne.

Die Psycho­logie-Profes­sorin Angela Ittel ist seit dem 1. Juli Präsi­dentin der Techni­schen Univer­sität (TU) Braun­schweig. Wir haben jetzt mit ihr gespro­chen.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 6.12.2021 (Bezahl-Artikel)

Was sind Ihre wichtigsten Eindrücke nach dem Start?

Ich bin in Braun­schweig „angekommen“ und habe meine TU kennen­ge­lernt, einen Super-Eindruck bekommen. Mir ist etwas aufge­fallen, das mir viel bedeutet: Das ist die Begeis­te­rung, die mir hier begegnet. Den Satz „Das gibt es nur in Braun­schweig“ habe ich ziemlich oft gehört. Und dann kam sehr oft der Zusatz: „Und wir sind stolz darauf.“

Und: Stimmt es?

Tatsäch­lich – und es ist viel dabei, von dem viele außerhalb Braun­schweigs, auch ich, noch nichts wussten. Natürlich spornt mich das an, es noch sicht­barer zu machen. Das ist ein Ziel, das ich beim Amtsan­tritt noch gar nicht so hatte. Aber jetzt umso mehr.

Nennen Sie Beispiele?

Unfair, etwas heraus­zu­greifen. Aber als ein unter­schätztes heraus­ra­gendes Beispiel möchte ich einmal die Asphalt­for­schung im Institut für Straßen­wesen heraus­greifen. Lärmmin­de­rung, Effizienz, Nachhal­tig­keit, da ist alles drin, das hat mich ehrlich überrascht. Und als Psycho­login freue ich mich enorm über die Qualität der Ausbil­dung in der Psycho­the­rapie. Sie ist gerade aktuell ein wichtiges und gesell­schaft­lich relevantes Thema in Pande­mie­zeiten. Es freut mich, dass hier so eine sichtbare und phantas­ti­sche Arbeit geleistet wird.

Auch die Geistes­wis­sen­schaften sind in die Techni­sche Univer­sität gut integriert.

Stimmt. Alle sprechen von der Inter­dis­zi­pli­na­rität, hier wird sie durch die Forschungs­schwer­punkte wirklich gelebt. Hier wollen sich nicht nur die Fakul­täten präsen­tieren, sondern auch die fächer­über­grei­fenden Forschungs­schwer­punkte. Das zeigt schon die enorme Bereit­schaft, wirklich zusam­men­zu­ar­beiten und das auch zu vermit­teln. Auch in unseren Exzellenz-Clustern wollen wir hart daran arbeiten, die Geistes- und Sozial­wis­sen­schaften noch mehr zu integrieren. Das ist nicht selbst­ver­ständ­lich für eine Techni­sche Univer­sität! Und daher umso wichtiger.

Der Zauber des Anfangs – das ist völlig normal. Aber was ist Ihnen jetzt besonders wichtig?

Das sind besonders die Themen­felder Digita­li­sie­rung, Inter­na­tio­na­li­sie­rung, Gleich­stel­lung und Diver­sität und die Erwei­te­rung des Trans­fer­be­griffs. Wichtig ist mir die regionale Veran­ke­rung. Der auf Augenhöhe statt­fin­dende Dialog mit der Gesell­schaft, von der Frage­stel­lung bis hin zu Forschungs­er­gebnis und Transfer. Der verläuft nicht nur in eine Richtung, von der Univer­sität in die Gesell­schaft, sondern es geht mir auch um den wechsel­sei­tigen Austausch von Wissen. Hier können wir Allein­stel­lung erreichen.

Reicht Ihnen das Haus der Wissen­schaft dazu bereits als Schau­fenster – oder ist es das überhaupt?

Ja, es ist in der Tat ein Schau­fenster, eine Plattform. Ich würde gerne noch aktiver mit dem Haus der Wissen­schaft zusam­men­ar­beiten. Wir sind Nachbarn, sind in gutem Kontakt, hier sehe ich wunder­bare Anknüp­fungs­punkte.

Gehen wir Ihre Themen­felder mal durch. Inter­na­tio­na­li­sie­rung …

Wir müssen unsere Inter­na­tio­na­lität mehr betonen, mehr darüber sprechen. Wie inter­na­tional wir in unserer Region tatsäch­lich sind, das sagen wir zu selten. Denn es ist klar: Wenn wir unsere Region vielfäl­tiger, inter­na­tio­naler darstellen, hilft das auch, Menschen anzuziehen und zu gewinnen. Ich möchte die TU Braun­schweig gern in Richtung einer global denkenden Univer­sität entwi­ckeln. Alles, was wir tun und planen, muss global gedacht werden. Das ist mir sehr wichtig.

Stichwort Digita­li­sie­rung …

Die Beglei­tung der Studie­renden von der Einschrei­bung bis zu den Alumni – das sollte in einem einheit­li­chen System erfolgen. Digita­li­sie­rung der Verwal­tung, digitale Prozesse, da müssen wir noch viel tun. So verhee­rend die Corona-Pandemie auch ist, zumindest in dieser Hinsicht haben wir in den vergan­genen einein­halb Jahren viel gelernt. Ich sage Ihnen ehrlich: Den Druck, jetzt zur „alten Norma­lität“ zurück­zu­kehren, sehe ich kritisch. Wir haben viele Prozesse durch den notge­drun­genen Digita­li­sie­rungs­schub auch zum Besseren verändert, bitte nicht wieder zurück­fallen!

Studie­rende und Lehrende hocken isoliert in ihrer Kammer, das ist doch kein Uni-Leben.

Natürlich wollen wir nicht Fernuni­ver­sität werden. Keines­falls! Es geht doch um die digital ermög­lichte Option, flexible Angebote anzubieten und wahrzu­nehmen. Das ist die Stärke! Dann kann sich auch jemand aus dem Ausland zuschalten, und ich muss auch nicht für ein zweistün­diges Meeting ins Ausland fliegen. Nicht zu vergessen: Wenn ich zuhause jemanden pflegen muss, mich um ein Kind kümmern will, bin ich flexibel, Angebote der Uni zu nutzen.

Einspruch: Mit zuneh­mender Digita­li­sie­rung verlieren wir auch Menschen. Wir müssen uns sehen, uns gegen­über­sitzen.

Natürlich können wir es nicht hinnehmen, Leute zu verlieren und natürlich brauchen wir Kontakte. Wir spürten gerade, wie gut es tut, Menschen wieder zu sehen. Es geht darum, neue Möglich­keiten zu nutzen. Deshalb ist es ja gerade so wichtig, hier keine Dimension auszu­schließen – und in der konse­quenten Digita­li­sie­rung hatten und haben wir Nachhol­be­darf.

Stichwort Gleich­stel­lung. Da ist doch schon alles erreicht, für Sie bleibt nichts mehr zu tun …

Sehr lustig. Schön wär’s, wenn Sie Recht hätten. Da ist in allen Bereichen noch sehr viel zu tun. Immerhin beträgt mit meinem Antritt als Präsi­dentin der weibliche Anteil in der Hochschul­lei­tung in Deutsch­land wieder 24 Prozent. Das ist nicht Gleich­stel­lung. Aber ich rede nicht nur von der Hochschul­lei­tung. Der Profes­so­rinnen-Anteil in den Spitzen­po­si­tionen beträgt weniger als ein Drittel. Wir haben auf fast allen Feldern Gleich­stel­lung noch lange nicht erreicht. Ich kenne das Augen­rollen, die Wider­stände. Aber da bin ich gewappnet und freue mich auf die motivierte Arbeit.

Bei den Studie­renden sieht es besser aus.

Ja, darum geht es ja. Die Lücke, der Gender-Gap, tritt später auf, wenn es um die Übernahme von Verant­wor­tung und Führungs­po­si­tionen geht. Und hören wir auf, davon zu reden, dass es nur für Frauen wichtig sei, Familie und Beruf mitein­ander zu vereinen. Bei diesem Thema bin ich – auch und gerade als zweifache Mutter – sehr sensibel. Das Thema Gleich­stel­lung und Chancen­ge­rech­tig­keit ist nicht nur aufs Geschlecht zu reduzieren. Es ist für eine offene und tolerante Bildungs­or­ga­ni­sa­tion ein zentrales Thema. Das ist für mich ein Grundsatz. Ich zweifele nicht, dass wir uns darüber an meiner Univer­sität einig sind. Aber wir können es noch sicht­barer machen und dürfen nicht aufhören daran zu arbeiten. Jeden Tag.

Wie konkret?

Ein kleines Beispiel: Jetzt veran­stalten wir das erste digitale Frauen­netz­werk hier an der TU. Ich habe alle Profes­so­rinnen und Postdok­to­ran­dinnen einge­laden, darunter etliche wichtige Akteu­rinnen, zum Beispiel bei Acatech, der Deutschen Akademie der Technik­wis­sen­schaften. So etwas hatten wir hier noch nicht. Es ist auch ein Symbol dafür, dass Netzwerke für die Sicht­bar­keit von Frauen wichtig sind.
Und: Auch die Berufungs­pro­zesse werden wir uns genauer anschauen. Ja, vieles wurde auch schon gemacht. Doch es gibt noch Stell­schrauben, an denen man drehen kann. Wir wollen es verbind­li­cher machen. Und werden ein Diversity Impact Assess­ment durch­führen. Hier können wir metho­disch von der Wirtschaft lernen, um auch schon subtile Diskri­mi­nie­rung verhin­dern zu können. Da geht es bereits um die Formu­lie­rungen in Stellen­an­ge­boten, die Themen, ja, auch die direkte Ansprache von Bewer­be­rinnen für alle Positionen.

Wird man damit auch besser?

Das ist das Ziel der Methode. Wir beginnen jetzt damit. Wir sind die erste Uni in Deutsch­land, die das durch­führt. Lassen Sie uns in einem Jahr nochmal darüber reden. Die Erhöhung und Stärkung der Diver­sität ist Teil einer ganzheit­li­chen Exzellenz, die wir gemeinsam entwi­ckeln.

Abgemacht. Wo liegen inter­na­tional Ihre Vorbilder?

Man kann in die Nieder­lande blicken. Manche Unis haben da beschlossen, so lange nur noch Frauen zu berufen, bis eine Gleich­stel­lung erreicht ist. Zum Beispiel die Techni­sche Univer­sität Eindhoven. Das geht schon rechtlich in Deutsch­land nicht, weil es nur um die Besten­aus­wahl geht.

Würden Sie persön­lich denn so weit gehen?

Natürlich glaube ich auch an die Stärke der Besten­aus­wahl. Doch ich denke, dass wir auch noch sehr viele Möglich­keiten haben, an den Stell­schrauben der Auswahl­pro­zesse anzusetzen. An denen, die uns dazu bringen, zu glauben, dass diese oder eine andere Person die oder der Beste ist.

Das war jetzt eine auswei­chende Antwort.

Nein, überhaupt nicht. Es ist klar, dass ich eine solche Ansage, nur Frauen zu berufen, nicht machen würde. Damit verändern wir die Haltungen der Menschen nicht, die solche Auswahl­pro­zesse gestalten. Ich will ganz einfach und konkret mehr Auswahl­ge­rech­tig­keit, als das bislang der Fall ist.

Irgend­wann berufen Sie dann nur noch Männer.

Das will ich auch nicht. Ich will ja nur die Besten berufen.

Schon klar. Was ist Ihnen in einer ersten Bilanz im Präsi­den­tin­nenamt noch besonders wichtig?

Ich bin eine Präsi­dentin für alle! Da breche ich dann gern auch einmal vertraute, „handver­le­sene“ Struk­turen auf. Das hat bislang wunderbar funktio­niert: Eben meine Art, meine Wertschät­zung für alle Mitar­bei­tenden auszu­drü­cken. Besonders wichtig ist mir auch, die Rückkehr der Studie­renden auf den Campus zu unter­stützen. Ich weiß, wie schwierig das gerade ist. Für alle. Außerdem ist mir die nationale und inter­na­tio­nale Sicht­bar­keit und Vernet­zung unserer TU wichtig! Da haben wir noch Potential.

Sie haben es noch nicht bereut?

Ich bin der Aufgabe gegenüber nicht weniger demütig geworden, als ich es bei meinem Amtsan­tritt war. Ja, manches ist komplexer als gedacht, aber bereuen tue ich nichts. Ganz im Gegenteil. Die Demut möchte ich mir beibe­halten.

Ihre erste Amtszeit währt sechs Jahre. Eine mögliche zweite weitere acht Jahre. Gehen wir von 14 Jahren aus, nur mal so. Was ist dann erreicht?

Eine offene, chancen­ge­rechte Univer­sität, die ihre Werte auch tatsäch­lich lebt. Auch global weiß man, wo die TU Braun­schweig liegt und was wir hier für tolle, auch einzig­ar­tige Sachen machen. Ganzheit­lich exzellent! Das sollten wir auch schon etwas früher geschafft haben.

Was heißt das für Sie?

Eine ganzheit­lich exzel­lente Univer­sität poliert nicht nur an ihren Leucht­türmen, sondern hebt die gesamte Uni auf ein global kompa­ti­bles Niveau in den Themen, die wir hier bespro­chen haben.

Global kompa­tibel, wer versteht das?

Ja, es hebt die gesamte Univer­sität auf ein exzel­lentes Niveau, nicht nur einzelne Forschungs­pro­jekte. Darum geht es jetzt: Die TU kann als Ganzes nur so exzellent sein wie ihre schwä­cheren Glieder.

Das hat noch keiner geschafft.

Deshalb arbeiten wir alle daran. Wir sind sehr stolz auf unsere Leucht­türme. Doch wir müssen auch täglich an exzel­lenten Standards arbeiten. Auch die Leucht­türme brauchen eine Uni, die nachwächst, die sie unter­stützen kann. Dann klappt’s auch mit der ganzheit­li­chen Exzellenz – unabhängig von formalen Wettbe­werben. Das ist wichtig! Und klar ist: Auch die Leucht­türme müssen für die gesamte Univer­sität denken. Die Menschen, die ich bislang getroffen habe, arbeiten begeis­tert mit und sprühen vor Ideen. Ich freue mich auf die nächsten Jahre der gemein­samen Arbeit.

Angela Ittel ist Profes­sorin für Pädago­gi­sche Psycho­logie, war von 2014 bis 2021 haupt­be­ruf­liche Vizeprä­si­dentin der TU Berlin. Ihr Weg führte sie nach Psycho­logie-Studium an der Florida Inter­na­tional Univer­sity und Promotion an der Univer­sity of California Santa Cruz über das Max-Planck-Institut für Bildungs­for­schung, Berlin, zu den weiteren Stationen Uni Jena, TU Chemnitz und die FU Berlin. Angela Ittel gilt als erfolg­reiche Wissen­schafts­ma­na­gerin in Sachen strate­gi­sche Hochschul­ent­wick­lung, Exzel­lenz­stra­tegie, Gleich­stel­lung und Diver­sität.

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