Auf dem Weg in die 1. Liga!

Gebanntes Publikum beim Filmfest. Foto: Filmfest/Marek Kruszewski
Gebanntes Publikum beim Filmfest. Foto: Filmfest/Marek Kruszewski

Beim 28. Inter­na­tio­nalen Filmfest Braun­schweig stehen zehn europäi­sche Filme im Wettbe­werb um den „Heinrich“.

Wann hat man schon die Chance, einen albani­schen Spielfilm anzuschauen? Einen, der von den Narben der furcht­baren kommu­nis­ti­schen Vergan­gen­heit dieses geschun­denen Landes am Rande Europas erzählt und von den Sehnsüchten junger Menschen, die in einer staubigen Einöde ein Café betreiben? Und die einem während des Films unmerk­lich ans Herz wachsen?

„Bota“ heißt der Film. Er läuft beim diesjäh­rigen Braun­schweiger Filmfest im Wettbe­werb „Der Heinrich“. Bei dieser seit Jahren sehr beliebten Reihe haben die Besucher per Stimm­karte die Möglich­keit, ihren Favoriten zu bestimmen. Zehn Kandi­daten aus Europa stehen zur Wahl. Das Besondere daran: Es sind Erst- oder Zweit­filme. So reflek­tieren diese Filme ein Bild von Europa, das man sonst nirgends findet: Ein junges Europa, einge­fangen von einer Genera­tion von Filme­ma­chern, die ihre Dramen oft abseits der Metro­polen, im Schatten der Mächte, in der sonst kaum je beleuch­teten Provinz findet. Karten für die Wettbe­werbs-Beiträge sollte man sich recht­zeitig sichern, die Vorstel­lungen sind oft ausver­kauft. Der Preis ist mit 10 000 Euro dotiert.

Ein anderer Schwer­punkt des Festivals ist die Filmmusik. In diesem Jahr wurde es mit der Urauf­füh­rung einer Musik des renom­mierten ameri­ka­ni­schen Kompo­nisten Danny Elfman zu Tim Burtons Fantasy-Märchen „Alice im Wunder­land“ eröffnet. Dessen Kollegen Jean-Michel Bernard ist eine Filmreihe gewidmet, der Komponist Michael Riessler, der die sensible Musik zu Edgar Reitz‘ grandiosem Auswan­derer-Drama „Die andere Heimat“ schuf, kommt zu Konzert und Gespräch. Für die beste Musik im Kurzfilm wird der Preis „Leo“ vergeben.

Neuen deutschen Filmen wird seit Anbeginn des Festivals eine Chance gegeben, manche Hochschul-Abschluss­filme sind dabei, das traurig-schöne Drama „Glück­liche Schafe“ von Kadir Sözen hatte hier sogar seine Weltpre­miere. Einige Filme wird man wohl nie wieder­sehen. Dieser aber, die Prognose sei gewagt, wird seinen Weg machen im Kino und im Fernsehen.

Um Exoti­sches kümmert sich auch die Reihe der neuen inter­na­tio­nalen Filme. Hier bietet sich die Chance, Filme etwa aus Hong Kong oder Georgien zu sehen. Und wenn ein Film angekün­digt wird als ein Road-Movie aus Indien, in dem ein Philosoph sich auf die Suche nach dem besten Haschisch begibt, wer wollte da nicht gleich ins Kino rennen?

Dem gern unter­schätzten Genre des Kurzfilms widmet sich eine Reihe, auch die Filmklasse der Braun­schweiger Kunst­hoch­schule nutzt das Filmfest tradi­tio­nell als Schau­fenster.

Das sind freilich eher Schman­kerl für Hardcore-Cineasten. Für den dringend benötigen Glamour-Faktor sorgt seit etwa zehn Jahren der europäi­sche Darsteller-Preis „Die Europa“. Der Preis­träger erhält 10 000 Euro. Ihm (oder ihr) wird eine Reihe gewidmet. Zu den Preis­trä­gern gehören Hanna Schygulla, Bruno Ganz und Isabelle Huppert. In diesem Jahr wird der große dänische Charak­ter­kopf Mads Mikkelsen geehrt.

Der frisch bestallte Direktor Michael P.Aust, dessen Handschrift bisher natur­gemäß erst ansatz­weise zu bemerken ist, will mit dem Filmfest „in die erste Liga der deutschen Filmfes­ti­vals“ aufsteigen. Sicher notwendig ist da eine weitere Profi­lie­rung. Die wird bei Aust vermut­lich in Richtung Musik gehen.

Schon jetzt genießt das Braun­schweiger Filmfest einen guten Ruf in der Szene. Das war nicht unbedingt voraus­sehbar, als sich vor 28 Jahren filmbe­geis­terte junge Leute zusam­men­taten, um in Erman­ge­lung eines Programm­kinos in der Stadt der Filmkunst abseits des Mainstreams ein Podium zu schaffen. Sie gründeten den Filmfest-Verein und fanden ein dankbares Publikum, das dem Festival bis heute treu geblieben ist.

Sicher ging im Laufe der Jahre manches von dem Charme verloren, der sich in den längst geschlos­senen kleinen Kinos der Stadt wie „Broadway“, „Lupe“ „Hansa“ oder „Gloria“ ergab, welche sich für eine Woche fast ausschließ­lich in ein Festival-Biotop verwan­delten. Heute spielt es sich im riesigen C1 ab, indem zugleich auch der normale Kino-Alltag abläuft. Doch sorgen nach wie vor die ehren­amt­li­chen und unermüd­li­chen Cineasten des Vereins dafür, dass eine Atmosphäre von Begeis­te­rung und Enthu­si­asmus das Festival prägt. Zugleich wurden profes­sio­nelle Struk­turen geschaffen, als mit Volker Kufahl ein haupt­amt­li­cher Direktor einge­stellt wurde. Und jetzt als sein Nachfolger Michael P.Aust. Sicher wird und will er das erfolg­reiche Event nicht neu erfinden. Aber Schwer­punkte wird er schon setzen. Im nächsten Jahr wird man sehen, wohin die Reise geht. Wir sind gespannt.

Das Filmfest wird unter anderem auch von der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz gefördert.

Alles über das Filmfest unter www.filmfest-braunschweig.de

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