Das Ja zur Schloss­re­kon­struk­tion

Der Nordflügel des Schlosses. Foto: Bernd Wedemeyer

„Herzog­li­ches Kalen­der­blatt“, Folge 3: Am 5. Juli 2004 stimmte der Braun­schweiger Stadtrat ab.

Mit Bangen ging ich frühmor­gens am 6. Juli 2004 zum Bäcker. Erlösend war die Schlag­zeile in der auslie­genden BZ! „Rat sagt Ja zu Schloss-Arkaden“ und damit auch zu der Schloss­re­kon­struk­tion. Der Leitar­tikel offen­barte, wie sehr SPD, Grüne und PDS (später „die Linke“) das Projekt in der öffent­li­chen Sitzung am Vortag nochmals infrage gestellt hatten. Sechs Stunden dauerte der zum Teil emotional geführte Schlag­ab­tausch.

Ihre Haupt­ar­gu­mente blieben: die Schwä­chung des inner­städ­ti­schen Einzel­han­dels und der Verkehrs­kol­laps im Bohlweg-Umfeld durch die Kunden­massen des zukünf­tigen Schloss­cen­ters. Im Hinter­grund drohten das – schluss­end­lich erfolg­lose – Bürger­be­gehren mit 24.000 Unter­schriften gegen das Projekt auch zur Rettung des Schloss­parks, einige Rechts­klagen und die massive Ablehnung des Projekts seitens der TU-Fakultät für Archi­tektur und der hiesigen Museums­leute wegen der die Amora­lität einer Schloss­re­kon­struk­tion schlechthin, insbe­son­dere die des Ottmer-Schlosses.

„Schloss­freund“ zu sein, war damals nicht leicht; auch wenn der Kommentar der Braun­schweiger Zeitung die Entschei­dung lobte und nicht zuletzt eine der bedeu­tendsten Großin­ves­ti­tionen in der Innen­stadt in der Nachkriegs­zeit hervorhob.

Aber ich war einer von jenen Schloss­freunden und stolz auf die Braun­schweiger Stadt­ver­wal­tung: auf Oberbür­ger­meister Dr. Gert Hoffmann, seine Koalition aus CDU und FDP im Rat, die das Projekt durch­setzte und auf das Baude­zernat, das hinter seinem Chef stand.

Schloss­ro­tunde von Osten und Inneres, 1959 / Schloss­fas­sade von Südwesten, 1959. Foto: Archiv Bernd Wedemeyer

Kleines Wunder im Zentrum der Stadt

In Braun­schweig war ein Wunder geschehen. Das im Jahr 1960 ohne Not abgebro­chene Schloss entstand nun als Denkmal der jüngeren Braun­schwei­gi­schen Geschichte von Stadt und Land. Der Charak­terzug der Stadt als herzog­liche Residenz würde wieder sichtbar.

Diesem hatte sie seit gut 200 Jahren sehr viel zu verdanken: die Univer­sität, die NORD/LB, die Brand­schutz­ver­si­che­rung, das Klinikum, den großen Prinz-Albrecht-Park und selbst die lokale Grund­schul­leh­rer­aus­bil­dung! Auch die Pflas­te­rung und Beleuch­tung der Straßen seit dem 18. Jahrhun­dert, die Einrich­tung der großen Armen- und Waisen­häuser, die Indus­trie­an­sied­lung, der Eisen­bahn­an­schluss und der Vorstadtbau zählen dazu. Das Begleit­heft zur Ausstel­lung „Wer ist Carl I.“ im Schloss­mu­seum von 2013 listet davon noch mehr auf.

Die bürger­liche Stadt hat diese Erbschaften weiter­ge­pflegt. Aber die Herkunft der Grund­lagen verdrängte man 2003/04 in den Diskus­sionen der Schloss­re­kon­struk­tion und verknappte die Geschichte der Stadt auf die der Handels­stadt, die spätes­tens um 1671 abgewirt­schaftet hatte und erst 1946 wieder­erstand.

Wahrzei­chen der Stadt

Es ist am Ende nicht entschei­dend, ob noch etwas an der Schloss­re­kon­struk­tion fehlt. Das gewonnene Gesamt­bild des Gebäudes, die Annahme durch die Bevöl­ke­rung und die Aufnahme in die Außen­dar­stel­lung der Stadt ist entschei­dend. Der heutige Bau zeigt unver­wech­selbar das einst in den 1830er Jahren am Bohlweg erbaute Schloss. Seine Größe spiegelt seine Geschichts­mäch­tig­keit wider.

Blick entlang der Westfas­sade 1959 (links) und heute. Fotos: Archiv Bernd Wedemeyer / Bernd Wedemeyer

Nun beginnen die Fragen aufs Neue, denen man 2003/04 auch auswei­chen wollte: nicht nur nach dem Warum des Auslö­schens der Residenz, sondern auch nach dem Woher und Wohin von Stadt und Land Braun­schweig vor und nach den Schlüs­sel­jahren 1671, 1918, 1946 und 1990. Seit dem 5. Juli 2004 sind sie im Begriff, wieder ein greif­barer Teil unserer Geschichte zu werden, wenn wir dem Schloss und seiner Geschichte nachspüren.

Die Zeitungs­bei­träge zur Geschichte des Residenz­schloss sind im Beitrag verlinkt und auf der umfang­rei­chen Presse­do­ku­men­ta­tion unter www.braunschweiger-residenzschloss.de nachzu­lesen.

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