Die schönsten Wertpa­pier-Schätze unterm Hammer in Salzdahlum

Jörg Benecke öffnet für uns seine Tresore in Salzdahlum im Landkreis Wolfenbüttel. Foto: Henning Noske
Jörg Benecke öffnet für uns seine Tresore in Salzdahlum im Landkreis Wolfenbüttel. Foto: Henning Noske

Bei Jörg Benecke werden histo­ri­sche Aktien und Wertpa­piere verstei­gert. Das ist auch ein Stück Wirtschafts­ge­schichte.

Wer in Salzdahlum vom Hof fährt, muss sich erst einmal wieder an die kleinen Zahlen gewöhnen. So viele Nullen, so viele Millionen und Milli­arden. Die aufge­druckten Werte freilich, in denen wir eben noch badeten wie Dagobert Duck in seinem Tresor, sind Schall und Rauch, verpufft, verflogen, nieder­ge­gangen in den Zeitläuften der Industrie- und Wirtschafts­ge­schichte. Es sind histo­ri­sche Aktien – wir haben dem deutschen Markt­führer im antiqua­ri­schen Wertpa­pier­handel im Landkreis Wolfen­büttel einen Besuch abgestattet.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 25.06.2020 (Bezahl-Artikel)
 

Eine Sammler­szene für 2000 Spezia­listen.

Es wird zu einer Lektion von der Vergäng­lich­keit des Kapitals – und gleich­zeitig seiner perma­nenten wunder­samen Aufer­ste­hung und Vermeh­rung. „Nach meiner Erfahrung sind stets 80 bis 90 Prozent aller Invest­ments schief­ge­gangen“, sagt der Chef Jörg Benecke, ein erfah­rener Profi des Geschäfts.

Denn die Anteils­scheine geschei­terter Gesell­schaften (und übrigens auch Staaten) sind begehrte Sammler­stücke für eine kleine Szene von wohl nur rund 2000 Spezia­listen.

Jörg Benecke schätzt, dass die Salzdah­lumer vielleicht „ein halbes Dutzend ernst­zu­neh­mende Konkur­renten“ in der Welt haben, Schmidt in Würzburg, Raab/Kürle in Gelnhausen, dazu China, Belgien, Großbri­tan­nien, USA.

2,5 Millionen Stück histo­ri­sche Wertpa­piere lagern in den Tresoren

20.000 verschie­dene histo­ri­sche Wertpa­piere lagern in den Tresoren in den früheren Werks­woh­nungen der still­ge­legten Zucker­fa­brik Salzdahlum, 2,5 Millionen Stück sind es insgesamt. Das Unter­nehmen hat 10 Beschäf­tigte. Benecke hat mit einer einzigen Aktie begonnen, die ihm bei seiner Ausbil­dung als Bankkauf­mann von seinem damaligen Chef bei der Nord-LB „aufge­zwungen wurde“, wie er sagt.

Zeitlos schön: Fiat-Aktie, Turin, von 1959, ein Stahlstich der italienischen Staatsdruckerei. Foto: Henning Noske
Zeitlos schön: Fiat-Aktie, Turin, von 1959, ein Stahl­stich der italie­ni­schen Staats­dru­ckerei. Foto: Henning Noske

Daraus wurde erst ein Hobby, dann ein Beruf. Benecke schei­terte als geschäfts­füh­render Gesell­schafter der MIAG Fahrzeugbau Braun­schweig, machte sich 1987 selbst­ständig mit bedrucktem Papier, oft sind es wunder­schöne Stahl- und Kupfer­stiche und Litho­gra­phien. „Es sind nicht nur bunt bedruckte Bildchen – erst die Geschichte dahinter macht den intel­lek­tu­ellen Wert dieses Hobbys aus“, sagt er.

Benecke ist ein Fuchs, vierschrötig, mit allen Wassern gewaschen. Er spricht von Näschen, Riecher, Instinkt, Glück. Aber das alles hat er, das muss er auch.

Das ist auch Wirtschafts­lehre auf dem Sezier­tisch des Kapita­lismus

Gleich am Anfang fiel ihm eine Aktie von 1836 einer Gesell­schaft zur Goldge­win­nung aus dem Ederfluss bei Kassel in die Hände, auch Goldbach genannt. Unter­schrieben von einem gewissen Georg Henschel, der später Lokomo­tiven baute. Das war ein echter Glücks­treffer.

Da gräbt man aus, entdeckt, wird zum Aktien­for­scher. Und zum Partner der Sammler, so wie für den im Januar verstor­benen Ex-VW-Finanz­vor­stand, das Volks­wagen- und Audi-Urgestein Werner P. Schmidt, der eine phantas­ti­sche Sammlung von mehr als 1000 verschie­denen histo­ri­schen Automobil-Aktien von Aachen (Fafnir-Werke) über Detroit, London, Mailand, Paris, Turin, Wolfsburg bis Zagreb (Fiat in Jugosla­wien) zusam­men­ge­tragen hatte.

Gerade verstei­gern die Salzdah­lumer die Sammlung für die Erben – aufge­rufen sind 150.000 Euro.

Aber dabei wird es vermut­lich nicht bleiben. Das Aukti­ons­haus ist Vermittler zwischen Einlie­fe­rern, Bietern und Käufern, sorgt für Katalog, Kontrolle und Kommu­ni­ka­tion und kassiert am Ende 21 Prozent vom Verstei­ge­rungs­erlös. Selbst übrigens ein Unter­nehmen, das wie eine Aktien­ge­sell­schaft aufge­macht ist – und „schwarze Zahlen schreibt“, wie wir hören.

Die „Blaue Mauritius“ stammt von Goethe, eine VW-Aktie gibt’s aber schon für 20 Euro

Bei etlichen längst verbli­chenen Firmen hier auf dem Salzdah­lumer Sezier­tisch der Markt­wirt­schaft war dies nicht so. Krisen sind das Elixier des Kapita­lismus, Aufstieg und Fall im konjunk­tu­rellen Zyklus ermög­li­chen jene Schwung­hol­be­we­gung, die immer wieder brutal Existenzen zerstört, aber gleich­zeitig neue Pioniere hervor­ruft.

Diese schöp­fe­ri­sche Zerstö­rung, wovon stets neue Wertpa­piere künden, lehrt uns übrigens nicht Karl Marx, sondern Joseph Schum­peter, der Vordenker des Unter­neh­mer­geistes und der Start-ups. Oder der Dichter Goethe, dem die „Blaue Mauritius“ dieser Sammel­branche zu verdanken ist. Schließ­lich war der Mann ja auch mal Finanz­mi­nister in Sachsen-Weimar – und zeichnete als solcher im 18. Jahrhun­dert Anteils­scheine für das Ilmenauer Silber- und Kupfer­berg­werk. Vielleicht fünf oder sechs Stück gibt es davon noch auf dem Markt, übrigens auch deshalb, weil sie zu DDR-Zeiten aus dem Staats­ar­chiv in Weimar gestohlen wurden.

Eine nette (histo­ri­sche) VW-Aktie aus den 1960er Jahren bekommt man übrigens schon für 20 Euro, auch eine von der Braun­schweiger Konser­ven­fa­brik Schmal­bach-Lubeca. Eine Erinne­rung an die Panther-Werke in der Löwen­stadt mit ihrer Fahrrad­pro­duk­tion ist da schon bis zu 100 Euro wert.

Und in diesen Tagen eine durchaus beachtete Preziose: Schon in den 1920er Jahren tat sich Braun­schweigs Fußball – lange vor „Jäger­meister“ – als Wirtschafts­pio­nier hervor. Eintracht und die Stadi­on­ge­sell­schaft sammelten kräftig Geld ein, davon künden die Papiere.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 25.06.2020 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article229391552/Die-schoensten-Wertpapier-Schaetze-unterm-Hammer-in-Salzdahlum.html (Bezahl-Artikel)

Das könnte Sie auch interessieren

  • 25 Einla­dungen zu kleinen Ausflügen

    25 Einla­dungen zu kleinen Ausflügen

    Archäo­lo­gi­sche Hinweis­ta­feln der Arbeits­gruppe Heimat­pfleger der Braun­schwei­gi­schen Landschaft weisen auf Siedlungen,  Ringwälle, Landwehren oder Burgen hin. Die Arbeits­gruppe Heimat­pfleger der Braun­schwei­gi­schen Landschaft feiert ein Jubiläum. Die Infor­ma­ti­ons­tafel zum „Schwe­den­damm“ in Wolfen­büttel ist bereits die 25., die seit der Premiere im Jahr 1995 aufge­stellt wurde. Weiterlesen

  • „… vom Herzogtor zum Augusttor“

    „… vom Herzogtor zum Augusttor“

    Das Projekt der Braun­schwei­gi­schen Landschaft e.V. nimmt die Kultur­land­schaft zwischen der Löwen­stadt und Wolfen­büttel unter die Lupe. Lesungen, Fahrrad­touren, Konzerte, Rundgänge und Vorträge. Klaus Hermann, Initiator des Projektes „… vom Herzogtor zum Augusttor – Kultur­land­schaft zwischen Wolfen­büttel und Braun­schweig“ hat einen Fülle an Veran­stal­tungen auf die Beine gestellt. Am 20. August beginnt die Reihe der… Weiterlesen

  • Braun­schweig-Gemälde unterm Hammer: 40.000 Euro für dieses Werk

    Braun­schweig-Gemälde unterm Hammer: 40.000 Euro für dieses Werk

    Zwei Ansichten der Martinikirche standen zur Auktion. Wie die Versteigerung lief und warum Braunschweig-Kenner irritiert sein dürften. Weiterlesen