Die verschwun­dene Schule

Der Protestzug von Schülerschaft und Kollegium zog durch die Innenstadt bis zum Rathaus. Foto: Archiv Manfred Urnau
Der Protestzug von Schülerschaft und Kollegium zog durch die Innenstadt bis zum Rathaus. Foto: Archiv Manfred Urnau

Braun­schweigs Schulen, Teil 5: Vor 30 Jahren musste die Ina-Seidel-Schule trotz heftiger Proteste nach dem Willen der Politik ihre Klassen­räume schließen.

Die Motiva­tion war hoch, der Erfolg aber gering, wenn nicht gleich null. Zwar gab es einen in dieser Form selten zu erlebenden Schul­ter­schluss zwischen Lehrer­kol­le­gium und Schüler­schaft, aber an der Schlie­ßung des Gymna­siums Ina-Seidel-Schule konnte das auch nichts ändern.

Selbst der Protest­marsch durch die Innen­stadt zum Rathaus und der Sturm der Schul­aus­schuss­sit­zung im Ratssaal Ende Januar 1987 konnten nicht mehr aufhalten, was die Politik hinter verschlos­senen Türen längst beschlossen hatte.

Es fehlte die Lobby

Ausgangspunkt war am 30. Januar 1987 der Schulhof der Ina-Seidel-Schule. Foto: Archiv Manfred Urnau
Ausgangs­punkt war am 30. Januar 1987 der Schulhof der Ina-Seidel-Schule. Foto: Archiv Manfred Urnau

Die Schüle­rinnen und Schüler sowie Lehre­rinnen und Lehrer werden die Zeiten der gemein­samen Demons­tra­tionen gegen das drohende Aus nicht vergessen, vielmehr wird es ihre Identi­fi­ka­tion mit ihrer alten „Penne“ gestärkt haben. Ihnen fehlte im Vergleich zu anderen zur Dispo­si­tion stehenden Schulen die Lobby. Die Braun­schweiger Zeitung titelte „Die ‚Ina‘ rebel­liert gegen den Opfergang“. 1990 war dennoch Schluss. Mehr als 1700 Schüle­rinnen und Schüler legten an der Ina-Seidel-Schule ihr Abitur ab.

Unsere Serie „Braun­schweigs Schulen“ soll sich in erster Linie um die Geschichte der Schulen und weniger um die Gegenwart kümmern. Deswegen hat selbst­ver­ständ­lich auch die „verschwun­dene Schule“ Platz darin. Die Reihe ist als Koope­ra­tion mit der Facebook-Gruppe „Braun­schweig im Wandel der Zeit“ gedacht, die unsere Beiträge teilt und ihre Mitglieder aufruft, Erinne­rungen, Erleb­nisse und Fotos darunter zu posten. Diese Artikel über Braun­schweigs Schulen sollen allen Ehema­ligen als Anregung dienen, sich mal wieder mit „ihrer“ Schule etwas näher zu befassen. Die Braun­schwei­gi­sche Landschaft, Dritter im Bunde dieser Reihe, plant zum Thema „Schulen“ ein gesel­liges Treffen im Garten des Hauses der Braun­schwei­gi­schen Stiftungen.

Stadt scheute Inves­ti­tion

Lehrer Manfred Urnau mit einer polnischen Austauschschülerin vor dem Haupteingang der Schule. Foto: Archiv Manfred Urnau
Lehrer Manfred Urnau mit einer polni­schen Austausch­schü­lerin vor dem Haupt­ein­gang der Schule. Foto: Archiv Manfred Urnau

Die Ina-Seidel-Schule wurde letztlich Opfer zweier gegen­läu­figer Entwick­lungen. Einer­seits gab es sinkende Schüler­zahlen nach den gebur­ten­starken Jahrgängen auf Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien und Gesamt­schulen, anderer­seits aber großen Raumbe­darf für die Berufs­bil­dende Schule III Alte Waage, die heutige Otto-Bennemann-Schule. Die damals hochver­schul­dete Stadt scheute die Kosten für einen Erwei­te­rungsbau für die Berufs­schule, die damals schon rund 5000 Auszu­bil­dende besuchten. Sie sah lieber die Lösung in der Abwick­lung der Ina-Seidel-Schule, die zum Zeitpunkt der Entschei­dung 1987 rund 500 Schüle­rinnen und Schüler hatte.

Vergeb­lich argumen­tierten der damalige Schul­el­tern­rats­vor­sit­zende Fritz Waltemat und sein Stell­ver­treter Heinz-Jürgen Kriks. Sie akzep­tierten wohl den Bedarf der BBS III, kriti­sierten aber die Pläne der Politik. „Wir wollen die Gefahr der Schlie­ßung nicht von unserer weg auf eine andere schieben. Vielmehr sind wir der Überzeu­gung, dass zur Lösung der Raumpro­bleme der BBS III überhaupt keine Schule geschlossen werden muss“, sagten sie. Auch sie konnten die längst gefallene Entschei­dung nicht mehr umkehren. Die Ina-Seidel-Schule, als jüngstes Gymnasium der Stadt, musste dran glauben. In Rede stand seiner­zeit anfangs noch die Schlie­ßung der Hoffmann-von-Fallers­leben-Schule, immerhin auch schon 1876 gegründet.

1973 mehr als 900 Schüler

Zeitungsbericht über die Demonstration vor der Schulausschusssitzung des Rates der Stadt. Repro: Archiv Manfred Urnau
Zeitungs­be­richt über die Demons­tra­tion vor der Schul­aus­schuss­sit­zung des Rates der Stadt. Repro: Archiv Manfred Urnau

1957 wurde die Ina-Seidel-Schule unter ganz anderen Bedin­gungen gegründet. Voraus­ge­gangen war ein Neubau mit eigener Schwimm­halle zwischen Garten- und Eulen­straße sowie die Ausglie­de­rung aus dem Mädchen­gym­na­sium Kleine Burg. Die Schule wurde als neusprach­li­ches Mädchen­gym­na­sium gegründet. 1970 wurde sie um ein natur­wis­sen­schaft­li­ches Profil erweitert. Ein Jahr später wurden auch Mädchen und Jungen gemeinsam unter­richtet. Die Schüler­zahlen stiegen bis 1973 auf mehr als 900. Die gebur­ten­schwa­chen Jahrgänge der 1970er, die Einfüh­rung der Orien­tie­rungs­stufe zum Schuljahr 1981/82 für die 5. und 6. Jahrgänge, die übrigens 2004 als untaug­li­ches Modell wieder abgeschafft wurde, und die Etablie­rung der ersten Braun­schweiger Gesamt­schule (IGS West/1972, heute Wilhelm-Bracke-Gesamt­schule) ließen die Schüler­zahlen sinken. In den 1980er Jahren konnte die Ina-Seidel-Schule lediglich noch dreizügig betrieben werden. Im Mai 1987 beschloss der Rat der Stadt das Ende. Es wurden keine neuen Jahrgänge mehr aufge­nommen.

Kritik an Ina Seidel

Ob die nach der Dichterin Ina Seidel benannte Schule auch heute noch so heißen würde, gesetzt den Fall, sie wäre nicht geschlossen worden, ist nicht sicher. Wegen ihrer Nähe zu den Natio­nal­so­zia­listen geriet sie in die Kritik. Nach ihr benannte Straßen wurden durchaus aus diesem Grund schon umbenannt. Anläss­lich des 25jährigen Bestehens der Ina-Seidel-Schule setzte sich auch die Tochter Ina Seidels als Festred­nerin diffe­ren­ziert mit dem Werk ihrer Mutter ausein­ander.

Die Geschichte vom schönen Erpel

Zwei andere Persön­lich­keiten geben da mehr Anlass zur Freude. Einmal ist das TV-Modera­torin Nina Ruge, die auf die Ina-Seidel-Schule ging, und darüber hinaus Klaus-Dieter Bieler. Der Sprinter war 1976 Olympia-Teilnehmer. Noch heute ist er, besonders im Kreis der Ex-Schüle­rinnen Thema auf Klassen­treffen. Beim smarten Bieler Sport­un­ter­richt zu haben, galt schon als erstre­bens­wert. Legendär, so wird kolpor­tiert, seien die Skifrei­zeiten im öster­rei­chi­schen Kirchberg bei Kitzbühel gewesen und natürlich der Biologie-Lehrer, der das Aussehen der Erpel im Vergleich zu den weibli­chen Enten ins Verhältnis zu uns Menschen setzte: „Seht ihr, wie bei uns sind die Männchen die schöneren Exemplare…“

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