Entkramp­fung der Geschichte

Professor Christoph Stölzl mit Braunschweigs Bürgermeisterin Friederike Harlfinger. Foto: Peter Sierigk
Professor Christoph Stölzl mit Braunschweigs Bürgermeisterin Friederike Harlfinger. Foto: Peter Sierigk

Professor Stölzl: „1913 – ein Projekt, das einer Wissen­schafts­stadt würdig war”.

Mit zwei hochka­rä­tigen Veran­stal­tungen in der Herzog August Biblio­thek in Wolfen­büttel sowie in der Dornse des Altstadt­rat­hauses in Braun­schweig  ist das Themen­jahr “1913” ausge­klungen. In die Herzog August Biblio­thek hatten das histo­ri­sche Seminar der Techni­schen Univer­sität sowie die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz zu einen dreitä­gigen Seminar zum Thema “Die preußisch-welfische Hochzeit 1913: Das dynas­ti­sche Europa in seinem letzten Friedens­jahr ” einge­laden. Das Finale des Themen­jahres bildete der Vortrag  “1913 – Braun­schweig zwischen Monarchie und Moderne. Abschluss und Bilanz”, den  Prof. Dr. Christoph Stölzl zum Ende des Themen­jahres  im Altstadt­rat­haus hielt.

Der anerkannte Histo­riker Prof. Stölzl, früherer Berliner Kultur­se­nator sowie General­di­rektor des Deutschen Histo­ri­schen Museums und heute Präsident der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar, gehört zusammen mit Oberbür­ger­meister Dr. Gert Hoffmann zu den geistigen Vätern dieses Veran­stal­tungs­jahres aus Anlass der Hochzeit der Kaiser­tochter Viktoria Luise von Preußen mit dem Welfen­prinzen Ernst August am 24. Mai 1913 in Berlin.

In seiner Einlei­tung gestand Dr. Gert Hoffmann vor großem Publikum ein, dass eine ganze Portion Mut dazu gehört habe, ein so ehrgei­ziges Projekt anzugehen. Zum erfolg­rei­chen Ende des Themen­jahres stelle er aber fest, dass die „Unkenrufe“ von Kritikern, es werde nur um ein Viktoria-Luise-Nostalgie-Jahr gehen, verstummt sind. „Erlebt haben wir ein hochin­ter­es­santes, großar­tiges Kultur- und Geschichts­jahr mit Projekten von hoher Qualität”, betonte Hoffmann.

Die Resonanz auch in der überre­gio­nalen Presse sei erfreu­lich groß gewesen. “Braun­schweig hat wieder gezeigt, dass es eine moderne Kultur- und Wissen­schafts­stadt mit großer Geschichte ist. Das erneut zu zeigen, dafür hat sich dieses Themen­jahr 1913” gelohnt”, sagte der Oberbür­ger­meister.

Prof. Dr. Christoph Stölzl gab offen zu, dass bei der Geburt der Projekt­idee niemand gewusst habe, welche bundes­weite Bedeutung dieses Jahr bekommen werde. Dieser Erfolg basiere auch auf dem Buch von Florian Illies “1913”, das zum Überra­schungs-Bestseller geworden sei. „Plötzlich redeten alle von 1913, dem letzten Friedens­jahr, und Braun­schweig war die einzige Stadt, die diesen wichtigen Punkt am Geschichts­ho­ri­zont erkannt hat”, so Professor Stölzl. So sei „1913“ ein Projekt gewesen, das einer Wissen­schafts­stadt würdig war.

Dass es letzt­end­lich 210 Veran­stal­tungen von einer ungeheuren Bandbreite geworden sind, sei der Beweis dafür, dass die Idee eines kulturell-wissen­schaft­li­chen Projekts auf frucht­baren Boden gefallen sei. Aus der Sicht von Prof. Stölzl ist ein Modell entwi­ckelt worden, wie eine moderne Stadt mit ihrer Geschichte umgehen kann. Denn Städte, so Stölzl, leben nicht nur von ihrer Infra­struktur und von Archi­tektur. Städte brauchen Mythen, Erzäh­lungen als Spiegel, in die die Menschen schauen können.

Das nun vergan­gene Geschichts­jahr 1913/2013 habe sich so erfolg­reich entwi­ckelt, da es in Braun­schweig gelungen sei, die gesamte wissen­schaft­liche und kultu­relle Szene unter einen Hut zu bringen, und das, obwohl die Vorbe­rei­tungs­zeit eigent­lich viel zu kurz gewesen sei. Das sei nicht einfach, bei den unter­schied­li­chen Inter­essen und Ausrich­tungen, aber mit der Geduld der Kultur­de­zer­nentin Dr. Anja Hesse und der Durch­set­zungs­kraft von Oberbür­ger­meister Dr. Hoffmann sei dieser Kraftakt gelungen, meinte Stölzl anerken­nend. Nicht zuletzt aber auch machte das Engage­ment der Braun­schweiger Stiftungen, Borek Stiftung, STIFTUNG NORD/LB • ÖFFENTLICHE  sowie Stiftung Braun­schweiger Kultur­be­sitz den Erfolg möglich.

Der Erfolg: Zur thema­ti­schen Ausein­an­der­set­zung mit dem Jahr 1913 trugen Ausstel­lungen, Konzerte, Lesungen, Podiums­dis­kus­sionen, Symposien, Führungen, Lieder­abende, Vorträge und Filmver­an­stal­tungen bei.

Dafür sei die Fürsten­hoch­zeit lediglich das Tor gewesen, das in diese Zeit geführt habe. Dabei sei es nicht nur um den höfischen Glanz gegangen, sondern auch um die soziale Lage. Die Ungerech­tig­keiten dieser Zeit seien nicht mit einer Vanil­le­sauce übergossen, sondern fundiert und seriös aufge­ar­beitet worden. Toll sei aus seiner Sicht gewesen, dass es nicht nur ernst­hafte Ereig­nisse gab, sondern auch lustige. Erst dieses breite Angebot, auch mit seiner Entkramp­fung der Geschichte, habe viele Menschen dazu veran­lasst, sich mit dieser Zeit zu beschäf­tigen. Denn 1913 war der Schlüssel dazu, zu verstehen, was 1914 geschehen ist, machte Stölzl deutlich.

Es sei um die hochpo­li­ti­sche Frage gegangen: Was war 1913 los? Weshalb ging die Welt nach diesem Friedens­jahr durch das „Türchen” in Richtung Katastrophe und nicht durch das, in eine fried­liche Zukunft?

In seinem Fazit machte Professor Stölzl klar, dass der Erfolg dieses Themen­jahres auch darin bestehe, dass viele Menschen ihre Stadt künftig geschichts­be­wusster wahrnehmen werden, mit “ganz anderen Augen” durch sie gehen werden. Diese Menschen schauten in den Spiegel der Geschichte, um heraus­zu­finden, wo sie heute stehen.

Eine Woche zuvor hatte das wissen­schaft­liche Kollo­quium in Wolfen­büttel das Thema fundiert aufge­ar­beitet.  Es wurden die Struk­turen, Persön­lich­keiten und Perspek­tiven ausge­lotet, die das Jahr 1913 geprägt haben. Dabei ist die von europäi­schen Monarchen gefeierte Hochzeit in Berlin in die Kontexte der welfi­schen, deutschen und europäi­schen  Geschichte gestellt worden. Die  Schwie­rig­keiten eines dynas­ti­schen Gipfel­tref­fens  im Jahr 1913 wurden dabei ebenso beleuchtet wie die welfisch-preußi­sche Hochzeit aus briti­scher Sicht, die Zukunfts­ängste und Zukunfts­er­war­tungen im konser­vativ-ländli­chen Milieu wie auch die Braun­schweig sowie die Braun­schweiger Dynastie im 1. Weltkrieg und in der Novem­ber­re­vo­lu­tion, um nur einige Themen des Kollo­quiums zu nennen.

Mit Blick auf das gesamte Programm dieses Themen­jahres in seiner hohen Vielfalt, regte Professor Stölz zum Schluss einer Bilanz in der Dornse an, die Ergeb­nisse in einem Buch zusam­men­zu­tragen. Dieses werde mit Sicher­heit ein Sammler­stück, denn es sei ein Jahr gewesen, das der Wissen­schafts­stadt Braun­schweig würdig ist.

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