Ernst August und die schick­sal­haften Zufälle

Die Familie des Herzogs in Schloss Blankenburg (1945): (v.l. n. r.): Prinz Welf Heinrich, Prinz Ernst August, Herzog Ernst August und Herzogin Victoria Luise, Prinz Georg Wilhelm und Prinz Christian. Foto: MatrixMedia Verlag/Screenshot
Die Familie des Herzogs in Schloss Blankenburg (1945): (v.l. n. r.): Prinz Welf Heinrich, Prinz Ernst August, Herzog Ernst August und Herzogin Victoria Luise, Prinz Georg Wilhelm und Prinz Christian. Foto: MatrixMedia Verlag/Screenshot

Histo­riker Peter Steckhan legt die erste zusam­men­fas­sende Biografie über den letzten Herzog zu Braun­schweig und Lüneburg vor.

Das vom Braun­schweiger Autor du Histo­riker Peter Steckhan aktuell vorge­legte Buch „Herzog und Kaiser­tochter – Ernst August von Hannover und Victoria Luise von Preußen“ gilt als erste zusam­men­fas­sende Biografie des letzten regie­renden Fürsten aus dem Hause der Welfen. Steckhan berichtet nach umfang­rei­cher Quellen­re­cherche detail­liert über das Leben des Herzogs zu Braun­schweig und Lüneburg von dessen Jugend­zeit in Öster­reich bis hin zu den Nachkriegs­jahren in Hannover. Vieles von dem, was geschil­dert wird, war der breiten Öffent­lich­keit bislang weitge­hend unbekannt.

Weitere Kapitel erzählen, leicht verständ­lich geschrieben, vom Dienst beim König von Bayern, von Hochzeit und Einzug in Braun­schweig, von der Regie­rungs­zeit im Ersten Weltkrieg, vom Neubeginn am oberös­ter­rei­chi­schem Traunsee, von der Zeit im Natio­nal­so­zia­lismus und dem Kauf jüdischer Unter­nehmen. Auf Wertungen verzichtet der Autor zumeist. Er orien­tiert sich an den Fakten und schildert sie spannend.

„Da bereits eine größere Anzahl an Veröf­fent­li­chungen unter­schied­lichster Art vorgelegt worden ist, in denen über verschie­dene Aspekte aus dem Leben des Herzogs berichtet wird, kann mittler­weile von dem Fürsten ein relativ geschlos­senes Bild gezeichnet werden“, schreibt Steckhan in seinem Vorwort.

Das reich bebil­derte Buch (150 Seiten, 24,90 Euro) ist im Matrix­Media Verlag (Göttingen) erschienen. Heraus­geber ist Prinz Heinrich von Hannover, Enkel von Ernst August und Herzogin Victoria Luise. Der Verleger stellte für die Publi­ka­tion sein umfang­rei­ches privates Fotoma­te­rial zur Verfügung. Gefördert wurde die Veröf­fent­li­chung von der Richard Borek Stiftung.

„Angehö­rige des Welfen­hauses haben in über 1250 Jahren in unter­schied­li­chen Regionen Herrschafts­rechte ausgeübt. Als am 17. November 1887 Ernst August Christian Georg, könig­li­cher Prinz von Großbri­tan­nien und Irland, Prinz von Hannover und Herzog zu Braun­schweig und Lüneburg,10 geboren wurde, ahnte niemand, dass er dereinst der letzte Fürst aus dem Geschlecht der Welfen sein sollte, der einen Thron besteigen konnte. Bis zu seinem Tod am 30. Januar 1953 auf Schloss Marien­burg bei Hannover wurde sein Leben von zahlrei­chen unvor­her­seh­baren Ereig­nissen bestimmt, die nicht nur Glanz und Gloria verhießen. Mehrfach war Herzog Ernst August – besonders in wirtschaft­li­cher Hinsicht – vor schwer­wie­gende Entschei­dungen gestellt, die bis in die jüngste Vergan­gen­heit Auswir­kungen für seine Nachkommen zeigen sollten“, beginnt das erste Kapitel.

Prinz Ernst August wurde in Penzing bei Wien geboren, weil sein Vater, der ehemalige Kronprinz von Hannover, sich mit der Familie im öster­rei­chi­schen Exil befand. Eine Thron­be­stei­gung im ehema­ligen König­reich Hannover wurde verwehrt und auch die Nachfol­ge­an­sprüche im Herzogtum Braun­schweig standen nur auf dem Papier. Doch, wie oft im Leben des Prinzen Ernst August, hatten schick­sal­hafte Zufälle großen Einfluss auf seinen persön­li­chen Werdegang. Er wurde 1913 regie­render Herzog in Braun­schweig. Mit dem Untergang des Kaiser­rei­ches 1918 endete auch seine Herrschaft in Braun­schweig.

„So ist es auch mehr als nur eine Ironie der Geschichte, dass gerade derjenige Bundes­fürst, der als letzter in Deutsch­land seinen Thron bestiegen hat, zugleich der erste war, der seine Herrscher­krone schon fünf Jahre später nieder­legen musste.

In Braun­schweig brach die Revolu­tion bereits am 7. November aus, und am 8. November wurde im Herzogtum der Arbeiter- und Solda­tenrat gebildet. Die Minister sowie die leitenden Beamten wurden verhaftet. Die Herzogin lag, schwer an der Spani­schen Grippe erkrankt, im Bett, als der Führer des Arbeiter- und Solda­ten­rates, August Merges, sowie weitere Vertreter des Rates am Nachmittag des 8. Novembers im Schloss erschienen und den Herzog sprechen wollten. Sie erklärten ihm, der Arbeiter- und Solda­tenrat habe die Macht übernommen und er, der Herzog, sei abgesetzt. Herzog Ernst August gab den Männern folgende Antwort: „Wenn Sie das jetzt alles machen wollen, glauben Sie mir, es ist für mich eine Erleich­te­rung, die Verant­wor­tung abzugeben“, heißt es in dem entspre­chenden Kapitel.

Steckhan beschreibt in seinem Buch, dass das Leben des Herzogs starke Verwer­fungen aufwies, die das Welfen­haus gleich mehrfach in existen­zi­elle Krisen geführt habt. Der Autor verweist auf Vorträge, Kollo­quien, Ausstel­lungen und Publi­ka­tionen, die in der Stadt Braun­schweig und an anderen Orten an Ereig­nisse aus dem Leben des Herzogs erinnert hätten. So sei die preußisch-welfische Hochzeit und die mit ihr verbun­denen Feier­lich­keiten im Mai 1913 aus jeweils unter­schied­li­chen Blick­win­keln beleuchtet worden. Auch der Erste Weltkrieg, der auf das Braun­schweiger Land nicht unerheb­liche Auswir­kungen hatte und dessen Folgen ursäch­lich zur Novem­ber­re­vo­lu­tion sowie zur Abdankung des Herzogs führten, wird ausführ­lich thema­ti­siert.

Als Quellen dienten Steckhan unter anderem auch die umfang­rei­chen Publi­ka­tionen von Victoria Luise, die über einen längeren Zeitraum das Geschichts­bild von Herzog und Herzogin stark geprägt hätten. Durch diese Veröf­fent­li­chungen wurde der Blick auf die Herzogs­fa­milie nach dem Thron­ver­lust 1918 lange Zeit verstellt. Auch die Zeit des Natio­nal­so­zia­lismus blieb lange weitge­hend unbeachtet. Die ARD-Dokumen­ta­tion „Adel ohne Skrupel – Die dunklen Geschäfte der Welfen“ aus dem Jahre 2014 machte deutlich, dass sich kaum jemand, selbst nicht ein Fürsten­haus, den Gegeben­heiten der Zeit zwischen 1933 und 1945 entziehen konnte.

Steckhan schreibt dazu: Was Herzog Ernst August dazu bewogen hat, jüdische bzw. bereits „arisierte“ Unter­nehmen zu erwerben, erscheint spätes­tens mit der Übernahme der Talkum­werke Lothar Elbogens als fragwürdig. Doch lassen wir den Herzog selbst sprechen. Dieser musste 1949 im Zuge des deutschen Entna­zifi­zie­rungs­ver­fah­rens zu seinen wirtschaft­li­chen Aktivi­täten in Öster­reich und in Deutsch­land Stellung beziehen und äußerte sich dazu wie folgt, obwohl er bereits 1946 von der briti­schen Besat­zungs­macht als „entlastet« in Kategorie V einge­stuft worden war: „In den Jahren 1935, 1936 oder 1937 habe ich von der Reichs­kre­dit­an­stalt in Berlin ein Minder­heits­paket der Feibisch AG in Berlin, später Teppich­werke Berlin-Treptow, und der Becker­werke AG Chemnitz erworben. Nach den mir gemachten Mittei­lungen, haben die mir nicht bekannten jüdischen Vorbe­sitzer ihren Aktien­be­sitz freiwillig und zu durchaus angemes­senem Preis verkauft, weil sie sich ins Ausland begaben…“ Noch 1944/1945v hatte Ernst August ein Graphit-Vorkommen erworben, das früher einer Jüdin gehört hatte.

In der vorlie­genden Publi­ka­tion neu in die Diskus­sion einge­führte Quellen verdeut­lichten, so Steckhan, machten deutlich, dass die Entschei­dungen des Herzogs Ernst August und seiner Vermö­gens­ver­wal­tung einer diffe­ren­zierten Betrach­tung bedürften.

Herzog Ernst August hatte in seinen letzten Lebens­jahren eine angegrif­fene Gesund­heit und musste sich mehrfach einer Augen­ope­ra­tion unter­ziehen, schreibt Steckhan. Und weiter: Der letzte regie­rende Herzog von Braun­schweig schloss am 30. Januar 1953 in der Marien­burg für immer die Augen. Bis zum 1. Februar wurde er hier aufge­bahrt. Auch im Braun­schweiger Dom konnte die Bevöl­ke­rung zwei Tage lang von ihm Abschied nehmen. Nach einer weiteren Aufbah­rung in der Hanno­ve­raner Markt­kirche (3. bis 5. Februar) und einer Trauer­feier wurde der Herzog gemäß seinem Wunsch am 6. Februar vor dem Mausoleum im Berggarten von Herren­hausen in Hannover beigesetzt.

Das könnte Sie auch interessieren

  • Ein Leben in 300 Exponaten

    Ein Leben in 300 Exponaten

    Sonder­aus­stel­lung „Victoria Luise – ein Leben, zwei Welten“ im Schloss­mu­seum Braun­schweig eröffnet. Das Schloss­mu­seum Braun­schweig widmet sich in seiner neuen Sonder­aus­stel­lung mit Victoria Luise einer schil­lernden Persön­lich­keit des 20. Jahrhun­derts mit starkem Braun­schweig-Bezug. Weiterlesen

  • Öster­rei­chi­sche Spuren der Welfen

    Öster­rei­chi­sche Spuren der Welfen

    Histo­riker Heinz Schiesser zeichnet für den Matrix­Media Verlag von Heinrich Prinz von Hannover die Famili­en­ge­schichte im Gmundener Schloss Cumber­land nach. Im öster­rei­chi­schen Gmunden am Traunsee erlebte die letzte Braun­schwei­gi­sche Herzogin Victoria Luise „die schönste Zeit ihres Lebens“. Wie die Ausstel­lung „Victoria Luise – ein Leben, zwei Welten“ im Schloss­mu­seum zeigt, verbrachte sie im Schloss Cumber­land… Weiterlesen

  • Vor 111 Jahren kehrte mit Ernst August ein Welfe zurück auf den Thron

    Vor 111 Jahren kehrte mit Ernst August ein Welfe zurück auf den Thron

    Hochzeit mit Kaisertochter Victoria Luise hatte die Fehde mit den Hohenzollern befriedet und den Weg geebnet. Weiterlesen