Nackte Ringer lösen Kunst­skandal aus

Die Schrift auf dem Hinterteil des Riesen ist deutlich zu erkennen. Foto: Thomas Ostwald
Die Schrift auf dem Hinterteil des Riesen ist deutlich zu erkennen. Foto: Thomas Ostwald

Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 19: Was bedeuten die Buchstaben auf den Figuren des Ringer­brun­nens?

Die meisten Passanten betrachten den Ringer­brunnen, ohne zu ahnen, dass er einst für einen handfesten Kunst­skandal gesorgt hatte. Bildhauer Jürgen Weber (1928–2007) hatte die Kämpfer in seinem vorge­legten Entwurf zunächst unbekleidet darge­stellt. Das gefiel vielen nicht, so dass der Künstler sein Werk überar­beiten musste. Bei der Enthül­lung hatte er schließ­lich eine große „Eulen­spie­gelei“ parat. Diese Geschichte ist wahrhaftig skurril und muss erzählt werden.

Am Anfang stand die Umwand­lung der Innen­stadt in eine. Wo in der Nachkriegs­zeit der Verkehr rollte, entstand die Flanier­meile, die sich vom Bohlweg bis zum Altstadt­markt, vom Alten Bahnhof bis zum Kohlmarkt erstreckt. Unsere Stadt, die einst aus fünf deutlich erkenn­baren Weich­bilden bestand, lässt sich dadurch von allen Seiten durch­laufen.

Diese Weich­bilde entstanden im Laufe der Jahrhun­derte und wurden Altstadt, Neustadt, Hagen, Altewiek und Sack genannt. Sie alle kennzeich­nete einst auch ein Markt­platz. Bei der Neuge­stal­tung der Fußgän­ger­zone sollte auch der längst verschwun­dene ehemalige Markt­platz des Sackes wieder erkennbar werden und einen Brunnen erhalten. Für die künst­le­ri­sche Ausfüh­rung wurde Professor Jürgen Weber beauf­tragt.

Sein Entwurf griff ein antikes Thema auf. Er zeigte zwei Ringer so, wie man sich die klassi­schen, griechi­schen Ringer vorstellt: unbekleidet und gut eingeölt. Weber hatte auf eine alte Sage zurück­ge­griffen, in der Herkules gegen den Riesen Antäus kämpft. Der Kampf selbst war sehr ungleich, denn der Riese Antäus bezog immer neue Kraft, wenn er mit den Füßen wieder die Erde berührte. Als Herkules das schließ­lich mitbekam, stemmte er den Riesen in die Höhe und erwürgte ihn in der Luft. Genau das zeigt das Motiv des Ringer­brun­nens.

Das vorge­stellte Modell des Brunnens löste jedoch in der Braun­schweiger Öffent­lich­keit große Empörung aus. Das Argument gegen die geplante Figuren­gruppe lautete, dass man doch im öffent­li­chen Raum kein Denkmal aufstellen könne, bei dem zwei nackte Männer auf solche Art und Weise ihre Geschlechts­teile dem Betrachter präsen­tierten. Die Wogen schlugen hoch. Ein wahrer Kunst­skandal! Professor Jürgen Weber musste seinen Entwurf überar­beiten.

Zwischen 1972 und 1973 fertigte er die bronzene Figuren­gruppe an. 1975 wurde sie mit einem Brunnen­be­cken am Sack aufge­stellt und am 15. August 1975 (Quelle: Braun­schweiger Stadt­le­xikon, 1992.) enthüllt. Gespannt drängte sich die Prominenz, darunter natürlich auch zahlreiche der Kritiker, nun um das neue Denkmal. Als das Tuch fiel, sahen sie auf den ersten Blick zwei züchtig beklei­dete Ringer. Herkules trug einen Ringer­anzug, der Riese eine knappe Hose.

Erst auf den zweiten Blick waren auf dem hochge­reckten Hinter­teil des ausge­stemmten Antäus die Beson­der­heiten zu erkennen: Auf den Beinen des Riesen standen die Worte „Kunst“ und „Kritiker“. Direkt in der Mitte waren auf alle Zeiten die Namen der lautesten Kritiker des Nackt-Entwurfs eingra­viert. Erst lachte ein Anwesender, letztlich alle – ein echter Eulen­spie­gel­streich, der aber noch vielschich­tiger ist, als auf den ersten oder zweiten Blick erkennbar.

Denn Herkules trägt die Initialen „J.W.“, ist also mit dem Künstler identisch. Der ausge­stemmte Gegner symbo­li­siert dabei die Kritik, der der Boden unter den Füßen wegge­zogen wird. Und noch mehr Hinter­grün­diges lässt sich entdecken: Geht der Betrachter um die Figuren­gruppe herum, bemerkt er, dass Jürgen Weber alias Herkules auf einer unebenen Scheibe steht, die einen Löwenkopf darstellt. Und seine angeho­benen Füße können aus dieser Sicht­weise auch so inter­pre­tiert werden, dass sich der Künstler auf dem Löwenkopf die Füße abtritt. Es fehlt nur noch die Bemerkung: „Danke, Löwen­stadt, für die Kritik!“

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