Was bedeutet eigent­lich braun­schwei­gisch?

Susanne Schuberth. Foto: Peter Sierigk
Susanne Schuberth. Foto: Peter Sierigk

Interview mit Susanne Schuberth über ihre Magis­ter­ar­beit zum Thema „braun­schwei­gi­sche Identität“.

Susanne Schuberth, Fachre­fe­rentin der STIFTUNG NORD/LB • ÖFFENTLICHE, weiß ganz genau, was es mit der braun­schwei­gi­schen Identität auf sich hat. Sie hat über das Phänomen ihre Magis­ter­ar­beit erfolg­reich verfasst. Die Expertin fordert zu größerem Selbst­be­wusst­sein im Braun­schwei­gi­schen auf. Grund dafür ist nicht etwa das stärkere Betonen der mittel­al­ter­li­chen Bedeutung, sondern die große Relevanz in der aktuellen Wissen­schafts­szene. Die Position als forschungs­in­ten­sivste Region Europas sieht sie als das große Faust­pfand der Region. Ein Allein­stel­lungs­merkmal zum Festigen und Fortschreiben der braun­schwei­gi­schen Identität.

Wer darf eigent­lich von sich behaupten, dass er braun­schwei­gi­sche Identität spürt?

Das ist, um korrekt zu bleiben, gar nicht so einfach zu beant­worten. Denn es gibt ja keine scharf umris­senen geogra­fi­schen Grenzen für das Braun­schwei­gi­sche schlechthin. Der Begriff „braun­schwei­gi­sche Identität“ bedeutet zunächst die regionale Identität bezogen auf das ehemalige Braun­schweiger Land. Und das entspricht im Kernbe­reich dem alten Herzogtum Braun­schweig bezie­hungs­weise dem Freistaat Braun­schweig, aber eben nicht exakt. Die Umrisse sind diffus. So sind die Förder­ge­biete der braun­schwei­gi­schen Stiftungen, STIFTUNG NORD/LB • ÖFFENTLICHE und die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz, nicht identisch. Die jewei­ligen Grenzen sind unter­schied­liche Verwal­tungs­ein­heiten zu unter­schied­li­chen Epochen, die es längst nicht mehr gibt. Der Begriff braun­schwei­gi­sche Identität wird aber trotzdem nicht nur von uns Stiftungen verwendet, sondern auch von Politi­kern und Medien. Der Begriff wird sogar immer häufiger verwendet. Ich würde also sagen: Jeder der möchte kann sich dem Braun­schwei­gi­schen zugehörig fühlen, egal ob in Braun­schweig geboren oder zugereist, egal, ob sein Wohnort früher zum Braun­schwei­gi­schen gehörte oder jetzt gehört. Braun­schwei­gi­sche Identität ist ja ein Gefühl.

Was bedeutet regionale Identität grund­sätz­lich?

Das war die Frage­stel­lung meiner Magis­ter­ar­beit. Und demzu­folge nur schwer in wenigen Sätzen erklärbar. Ich versuche es mal: Durch die selbst­ver­ständ­liche Benutzung des Begriffs entsteht der Eindruck, es gäbe eine Defini­tion und jeder wisse, was damit gemeint ist. Aber das stimmt nicht. Bei Identität spielen ganz viele Dinge eine Rolle, etwa kollek­tives Bewusst­sein, Emotionen, Symbolik, eigene Positio­nie­rung und Orien­tie­rung. Fakt ist, dass angesichts der fortschrei­tenden und nicht mehr zu überschau­enden Globa­li­sie­rung, mit der wir tagtäg­lich in unserer Infor­ma­ti­ons­ge­sell­schaft konfron­tiert werden, die regionale Identität eine größere Rolle für die Menschen spielt. Denn regionale Identität bedeutet Sicher­heit, bekannte Umgebung, bekannte Gesichter. Das ist der Gegenpol zum nicht Erfass­baren, das doch eher Ängste schürt bei den Menschen. Das ist sicher ein Haupt­grund für die Renais­sance der regio­nalen Identi­täten. Die Menschen sehnen sich auch nach regio­naler Gebor­gen­heit, nach klaren Verhält­nissen jenseits von inter­na­tio­naler Banken­krise, kriege­ri­scher Ausein­an­der­set­zungen oder Natur­ka­ta­stro­phen.

Wie wird man ein wasch­echter Braun­schweiger mit braun­schwei­gi­scher Identität?

Am einfachsten ist das natürlich, wenn man in Braun­schweig geboren ist, noch immer hier lebt und sich wohl fühlt. Dann wird man das quasi automa­tisch. Es geht aber auch als Zugereister, der in die Region gehei­ratet hat oder hier Arbeit gefunden hat und einfach glücklich ist. Auch Menschen, die in Braun­schweig aufge­wachsen sind, aber dann irgendwo anders hinziehen, bleiben meistens ein Leben lang mit dem Braun­schwei­gi­schen verwur­zelt. Fakt ist aber, dass eine länger­fris­tige Bindung an die Region nötig ist, um sich mit ihr zu identi­fi­zieren. Einem Studenten, der nur einige Semester in der Stadt ist und dem es ganz gut gefällt, wird die dauer­hafte, echte Identi­fi­ka­tion natürlich schwerer fallen. Die Identi­fi­ka­tion mit einer Stadt oder Region ist immer größer, wenn man dort geboren und aufge­wachsen ist, unabhängig von der Wohndauer. Man muss sich auf jeden Fall einlassen auf die Region, in der man lebt. Man muss sich mit ihr oder entschei­denden Teilen von ihr beschäf­tigen. Dann lernt man erst, sie zu schätzen.

Was macht denn nun die spezielle braun­schwei­gi­sche Identität aus?

Das ist ganz vielschichtig und sehr unter­schied­lich. Das hängt von der persön­li­chen Wahrneh­mung und Wichtig­keit ab. Das kann zum Beispiel Archi­tektur sein. Der größte Anteil der von mir auf der Straße befragten Personen, nämlich 60 Prozent, nannte den Braun­schweiger Dom in Verbin­dung mit braun­schwei­gi­scher Identität. Für viele war das aber auch der Fußball­verein Eintracht oder der Erfolg, den Braun­schweig mit der „Stadt der Wissen­schaft 2007“ hatte. Natürlich spielen gerade bei Braun­schweig Tradition und Geschichte eine große Rolle. Auch das Kultur­angebot, die Kneipen­land­schaft oder das soziale Umfeld sind relevant für die Identi­fi­ka­tion. Zu keinem Zeitpunkt übrigens fühlt sich der Braun­schweiger braun­schwei­gi­scher als in Zeiten der politi­schen oder sport­li­chen Ausein­an­der­set­zung mit Hannover. Eine Identi­fi­ka­tion mit einer Region wird besonders deutlich, wenn sie einer Bedrohung ausge­setzt ist. Mitein­ander in Konkur­renz stehende Regionen überbe­tonen dann Unter­schei­dungs­merk­male, bauen Droh- und Übernah­me­sze­na­rien auf und wollen die Unter­stüt­zung der Bürger für ihre Abgren­zungs- und Vertei­di­gungs­stra­te­gien. Eine derartige Situation haben wir übrigens aktuell bei der Regions­de­batte.

Warum erweckt der Braun­schweiger den Eindruck, seine Heimat besonders zu lieben?

In der Tat haben meine Inter­views belegt, dass die regionale Identität im Braun­schwei­gi­schen sehr ausge­prägt. Ein Grund ist sicher der Bedeu­tungs­ver­lust, den Braun­schweig über die Jahrhun­derte erdulden musste. Einst eine Stadt von europäi­schem Rang, dann ein kleines Herzogtum, später ein kleines Land, nach dem Zweiten Weltkrieg aufge­gangen in Nieder­sachsen, im Schatten der Landes­haupt­stadt stehend und nach der Gebiets­re­form in den 1970er Jahren auch noch kreisfrei – das spielt schon verletzter Stolz eine Rolle. Dabei hat es Braun­schweig gar nicht nötig, sich aufs Mittel­alter zu berufen, um Gesicht zu zeigen. Die Stadt hat mit ihrem Schwer­punkt Wissen­schaft europäi­sche Bedeutung, hat heraus­ra­gende Museen, eine sehr lebhafte Kultur­szene und ist eine erstklas­sige Einkaufs­stadt. Das Braun­schwei­gi­sche hat allen Grund auch in der Gegenwart und der Zukunft selbst­be­wusst aufzu­treten. Sicher hat auch die lange Zonen­rand­lage während der deutschen Teilung am Selbst­be­wusst­sein genagt.

Welche Rolle spielt die Rekon­struk­tion des Residenz­schlosses für die braun­schwei­gi­sche Identität?

Histo­ri­sche Bauten oder auch große Neubauten sind immer identi­täts­stif­tend. So ist das natürlich auch beim Schloss. Aber die Bedeutung will von Schloss und Schloss-Arkaden will ich gar nicht bewerten. Ich finde etwas anderes in dem Zusam­men­hang bemer­kens­wert. Der heftige und breite öffent­liche Diskurs zu dem Thema hat doch vor allem eins gezeigt, den Menschen ist Braun­schweig nicht egal. Sie identi­fi­zieren sich mit der Stadt und sagen ihre Meinung. So ähnlich war das ja auch beim Ausbau des Eintracht-Stadions. Kontro­verse Diskus­sionen sind durchaus identi­täts­bil­dend. Die Menschen setzen sich mit ihrer Stadt oder ihrer Region kritisch ausein­ander. Und das ist gut für eine regionale Identität.

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