Nur Braun­schweigs Eulen­spiegel kam unbeschadet durch den Krieg

Der Eulenspiegelbrunnen ca. 1912 mit dem Stammhaus der Mumme-Brauerei Steger am Bäckerklint, wo bis zur Zerstörung des Hauses 1944 diese Bier hergestellt wurde. Foto: Bein / Privat
Der Eulenspiegelbrunnen ca. 1912 mit dem Stammhaus der Mumme-Brauerei Steger am Bäckerklint, wo bis zur Zerstörung des Hauses 1944 diese Bier hergestellt wurde. Foto: Bein / Privat

Reinhard Beins Postkarten (9): Der Eulen­spie­gel­brunnen am Bäcker­klint erinnert an den Bankier Bernhard Meyers­feld.

Die Privat­bank von Bernhard Meyers­feld förderte den Aufstieg der heimi­schen Konser­ven­in­dus­trie. Sie war ein gut aufge­stelltes Unter­nehmen, das erst in der Weltwirt­schafts­krise 1931 zu Fall kam. An den Bankier erinnern ein Raubüber­fall und der Eulen­spie­gel­brunnen.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 28.05.2020 (Bezahl-Artikel)

Schlag­zeilen in der Presse machten er und seine Frau Adele 1891, als sie von einer Fernreise zurück­kamen und hinter Konstan­ti­nopel eine Räuber­bande ihren Orient­ex­press überfiel. Der Zug entgleiste, mehrere Wagen stürzten um. Die Bande beraubte die Passa­giere der 1. und 2. Klasse, auch Meyers­felds, und nahm fünf Geiseln zur Erzwin­gung eines Lösegeldes von 200.000 Goldfrancs. Das Drama endete unblutig, der Räuber­haupt­mann Athana­sios bekam das Geld und teilte der Presse mit, er habe sechs Jahre unschuldig in türki­schen Gefäng­nissen gesessen, sein Vermögen eingebüßt und nehme dafür Rache. Im Übrigen wolle er 60.000 Francs an Arme verteilen. Eulen­spiegel hätte diese Geschichte gefallen. Schließ­lich war auch er ein Umver­teiler.

Meyers­feld spendete den Brunnen

Der Bildhauer Arnold Kramer, der aus Wolfen­büttel stammte, hatte in seinem Atelier in Dresden ein Modell eines Eulen­spie­gel­brun­nens entworfen, das der Stadt Braun­schweig gefiel. Als sie umständ­lich über die Finan­zie­rung beriet, kaufte Meyers­feld der Stadt und der Jugend 1906 den Brunnen. Er kostete einiges mehr als die mit Brillanten besetzte Uhr, die ihm die Räuber abgenommen hatten.

Nach der Überlie­fe­rung soll Eulen­spiegel, der gern alles wörtlich nahm, in der Bäckerei am Radeklint sein seltsames Backwerk geschaffen haben, weil der faule Meister auf die Frage „Was soll ich aber backen?“ ironisch geant­wortet hatte: „Bist du ein Backknecht und fragst erst, was du backen sollst? Was pfleget man zu backen? Eulen oder Meerkatzen!“ Der Bäcker legte sich schlafen, und Eulen­spiegel tat, wie ihm geheißen. Er flog raus, verkaufte sein Backwerk aber spielend, denn es war der Tag vor dem Nikolaus­abend. Bei der Einwei­hung des Brunnens 1906 sagte der „Vorsit­zende des Brunnen-Komitees“ Teich­müller: „Ein Tugend­bold war der unstete Bursche freilich nicht, in dessen Kopfe stets tausend Geister des Schaber­nacks hausten, kein Muster für Jung und Alt zu ehrsamem Bürger­leben, aber ein Vorbild dennoch in jener schlag­fer­tigen und unver­wüst­li­chen Laune, die jeder Lebens­lage gewachsen ist; kein Schwarz­seher, sondern ein Optimist, der steile Berge lachend erklomm in der Vorfreude auf die mühelose Lust des Hinab­stei­gens und darum, wie die Sage ihn schildert, ein Liebling der deutschen Volks­phan­tasie für alle Zeiten.“

Vom bösen Schalk zum Spaßvogel

Die erste „Historie“ erklärt den Eulen­spiegel: Der betrun­kenen Patin war das Kind nach der Taufe in Ampleben entglitten und in den Bach gefallen, der zwischen Ampleben und Tills Geburtsort Kneit­lingen floss. Für wahr hielt man damals, dass Wasser­geister blitz­schnell ein braves Chris­ten­kind gegen einen Wechsel­balg vertau­schen. So wurde Eulen­spiegel ein böswil­liger Schalk. Später mutierte er zum Spaßvogel und sogar zum „weisen Narren“.

Wenige Jahre nach der Aufstel­lung des Brunnens beschwerte sich Kramer, der seit 1913 sein Atelier in Braun­schweig hatte, in der „Landes­zei­tung“ über den Umgang der Jugend mit seinem Kunstwerk: „Sie reiten auf der Eulen­spie­gel­figur und den Tieren, sie bearbeiten die Bronzen und die Stein­ar­chi­tektur mit Stöcken, mit Schmutz und allem Unrat, den sie gerade zur Hand haben. Die schöne Patina, die Till sowohl wie Eulen und Meerkatzen von Anfang an trugen, ist vollkommen verschwunden, die Formen, besonders die der Tiere, sind abgegriffen und abgeschliffen wie bei Münzen, die von Hand zu Hand gehen.“

Und weiter schreibt er: „Vor Jahr und Tag an einem Sommer­abend ging ich über den Bäcker­klint. Ein Polizei­be­amter stand dicht neben dem Brunnen. Dem Till hatte ein hoffnungs­voller Braun­schweiger Junge das Gesicht mit weißer Farbe angestri­chen. Ich machte den Beamten darauf aufmerksam: ‚So etwas darf aber doch nicht gemacht werden!’ Antwort: ‚Hei hat doch eschrewen, sei künnt daran spelen.’ – ‚Ja, aber so war das nicht gemeint.’ – ‚Nu, ick hewet nich eseihn!’ Also schließ­lich bin ich an diesem wüsten Getriebe mit meinem damaligen Eintreten für die Freiheit der Braun­schweiger Jugend schuld.“

Der Schalk Eulen­spiegel hätte leise gekichert über diesen humor­losen Künstler. Kaum jemand ging achtlos an seinem Brunnen vorbei. 1920 stahl ein Spitzbube eine Meerkatze. Spaßvögel grüßten ihn und verbeugten sich, andere ließen sich taufen. Nora Kuntzsch, die Tochter von Martha Fuchs, erzählt in ihren „Erinne­rungen“ vom Weg zu ihrer Silves­ter­feier 1928: „Als wir über den Bäcker­klint kamen, stieg ich mit Otto [Grotewohl] in den Brunnen, dessen Boden mit einer dünnen Eisschicht bedeckt war. Wir erwiesen dem Schalks­narren Reverenz, und es schien, als lächle er noch verschmitzter.“

1944 brannten die Häuser ab

Den Hinweis auf den großzü­gigen Spender auf der Rückseite des Brunnens ließen die Natio­nal­so­zia­listen 1933 auslö­schen. Denn der war Jude gewesen, und Juden waren nach dem Dogma der Nazis gierig, geizig und humorlos.

1944 brannten die Häuser in den Straßen um den Brunnen herum ab, nur Eulen­spiegel kam unbeschadet durch den Krieg. In dem ankla­genden Buch „So sahen wir Braun­schweig“ von Erich Schulz durfte 1948 der jüdische Spender wieder geehrt werden: „Arnold Kramer hat uns mit diesem Brunnen ein Meister­werk hinter­lassen, und daß er hier seit 1906 stand, verdanken wir dem Bankherrn Meyers­feld, der es der Stadt schenkte. Die verträumte Stille des Bäcker­klints ist vernichtet, das bunt bemalte Gebälk des Flohwin­kels mit seinen lustig in die Straßen­front hinein­sprin­genden Stock­werken ist im Feuer­sturm unter­ge­gangen. Nicht ein Stein von dieser Welt Spitzwegs steht noch auf dem anderen. Eulen­spiegel aber lebt.“ Wer deutet dieses Rätsel?

1945 rettete die Stadt die Figur und die Tiere vor dreisten Buntme­tall­dieben und schaffte sie ins Städti­sche Museum. 1949 grüßte der Schalk von einem provi­so­ri­schen Sockel herab die Besucher der ersten Ausstel­lung „Harz und Heide“ auf dem Gelände der Kant-Hochschule. 1950 wurde der Brunnen an alter Stelle wieder einge­weiht: mit einer erklä­renden Tafel.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 28.05.2020 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article229218498/Nur-Eulenspiegel-kam-unbeschadet-durch-den-Krieg.html (Bezahl-Artikel)

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