Real-Utopien für Braun­schweig: „Hort10“, Paketbahn, Seilbahn

Das ehemalige Horten-Gebäude am Bohlweg (zuletzt Galeria) wäre aus Sicht von Bernd Fels ein idealer „Work-Life-Community-Hub“. Er nennt das Ganze „Hort10“. Foto: privat | spaces4future

Die Initia­tive „spaces4future“ hat viele Ideen für neue Formen des Arbeitens, Wohnens und Lebens entworfen. Drei davon stellen wir vor.

Unter dem Motto „Mal angenommen …“ präsen­tiert der Braun­schweiger Bernd Fels seit einigen Monaten 50 Ideen für unsere Region. Er spricht von der „New Region“ und von Real-Utopien für neue Formen des Arbeitens und Wohnens, für neue Logistik-Konzepte, für Orte der Gemein­schaft und Kreati­vität und einiges mehr. Es gehe um ökono­mi­sche, ökolo­gi­sche und soziale Nachhal­tig­keit. Braun­schweig, oder „New Brunswick“, wie er es nennt, spielt dabei eine zentrale Rolle neben Salzgitter und Wolfsburg. Die Ideen wurden Fels zufolge einfach so entwi­ckelt, ehren­amt­lich, ohne Auftrag. Und nicht nur von ihm, sondern auch von etlichen weiteren Menschen aus der Region im Rahmen der Initia­tive „spaces4future“.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 26.02.2024

Dabei sei keines­wegs alles völlig neu erfunden. Im Gegenteil: „Das, was wir an guten Ideen in Deutsch­land, Europa und der Welt sehen, haben wir einfach mal in die Region gedacht“, sagte er kürzlich im Interview mit unserer Zeitung: „Wir denken zunächst ohne ‚Schranken‘ der realen Planungs­ho­heiten und Gegeben­heiten – das erzeugt manchmal Irrita­tionen, oder auch Begeis­te­rung und neue Chancen. Wir wollen anregen in heraus­for­dernden Zeiten, wir wollen Dinge anschieben, da die Trans­for­ma­tion mehr Geschwin­dig­keit benötigt. Und wir wollen unsere Ideen und unser Wissen der Region zur Verfügung stellen, wohl wissend, dass vieles nicht bezie­hungs­weise nicht 1:1 umsetzbar sein wird.“

Wir stellen hier beispiel­haft drei der vielen Ideen vor. Bernd Fels würde nun gerne einen „Urban Pioneers Club“ etablieren, in dem die Ideen aufbe­reitet werden und Eigen­tümer, Verwal­tung, Politik, Kapital­ge­bende und poten­zi­elle Nutzende zusam­men­kommen. Später soll auch die Öffent­lich­keit beteiligt werden. Fels: „Dann könnte etwas Großes entstehen.“

Hort10: „Work-Life-Community-Hub“ statt Ex-Warenhaus

Seit 2020 steht das einstige Galeria-Warenhaus am Bohlweg (früher Horten) leer. Die Volksbank Brawo als Eigen­tü­merin prüft verschie­dene Optionen. Aus Sicht von Bernd Fels sollte dort ein „Work-Life-Community-Hub“ entstehen. Er beschreibt dies als ein Gebäude mit multi­funk­tio­nalen Nutzungen, in dem Begegnung, tempo­räres Arbeiten und Lernen im Vorder­grund stehen.

Nutzer könnten demnach Verbände, private und staat­liche (Hoch)schulen, Weiter­bil­dungs­an­bieter etc. sein, die für Mitglieder und Nicht-Mitglieder Angebote schaffen. „Auch eine Koope­ra­tion mit einer Stadt­bi­blio­thek 2.0 ist wünschens­wert“, so Fels. Weitere Nutzungen: Handels- und Markt­flä­chen im Erdge­schoss, vorzugs­weise mit regional-ökolo­gi­schen Produkten; Wohnan­ge­bote, vorzugs­weise Co-Living (gemein­schaft­li­ches Wohnen auf Zeit); Co-Working für insti­tu­tio­nelle Unter­nehmen, Organi­sa­tionen und die Stadt­ver­wal­tung, die die Stadt­ent­wick­lung gemeinsam voran­treiben, indem Wissen und Ausstat­tung geteilt werden.

Außerdem: Gastro­nomie im Erdge­schoss mit Außen­bezug, in der Endetage ein Work-Café mit Konfe­renz­fläche und Dachter­rasse sowie im Atrium Musik, E‑Sport und Varieté.

„Ein komplett autarkes Gebäude, welches von den unter­schied­li­chen Nutzungen profi­tiert“, erläutert Fels. „Ein Ort für Bürge­rinnen und Bürger, der einen positiven Effekt für die gesamte Stadt­ent­wick­lung und nicht nur für das unmit­tel­bare Umfeld schafft und somit eine Abwärts­spi­rale im Quartier verhin­dert.“ Fels schwebt vor, dass auf dem Bohlweg künftig deutlich weniger Verkehr unterwegs ist. „Dann kann rund um das Objekt ein Grüngürtel entstehen, der durch partielle Öffnungen ein Hinein und Hinaus inklusive Gang ins Magni­viertel ermög­licht. Aus einer Barriere wird ein Erlebnis mit Aufent­halts­qua­li­täten.“

Und er denkt weiter: „Mal angenommen, immer montags gehören vormit­tags die Multi­funk­ti­ons­flä­chen zu großen Teilen der Stadt­ver­wal­tung, am Dienstag VW, am Mittwoch…, um anders arbeiten zu können. Dann wäre für eine Grund­aus­las­tung gesorgt. Der Verein­sa­mung im Homeof­fice könnte entge­gen­ge­wirkt werden. Innova­tion und Kreati­vität wären die Folge, da Begegnung Wissen vermehrt, auch während der Lern- und Event­zeiten. Hort10 wäre ein neuer Begeg­nungsort par excel­lence. In Zeiten von virtu­eller Trägheit – ich bleibe lieber Zuhause – ein sehr guter Gegenpol.“

Bernd Fels könnte sich auch vorstellen, dass Hort10 ein Crowd­fun­ding-Projekt wird. „Dann könnte die komplette Stadt­ge­sell­schaft Anteile erwerben“, sagt er. „Eine Umsetzung ist möglich, wenn man will.“

Die Vision der „Frank­furter Brücken“ hat Bernd Fels aufge­griffen. Die Idee: Straßen werden überbaut, und auf der Brücken­ebene entsteht Wohnraum, Natur und vieles mehr.
Foto: privat | Stiftung Altes Neuland Frankfurt

„Ponte Brunswick“: Wohnen, Arbeiten, Natur und Seilbahn über der Straße

Als „Ponte Brunswick“ bezeichnet Bernd Fels Brücken, die als zweite Ebene über dem Verkehrs­raum entstehen sollen. Er greift dabei auf das visionäre Stadt­ent­wick­lungs­pro­jekt „Frank­furter Brücken“ zurück, entworfen von der Stiftung „Altes Neuland Frankfurt“, einem Zusam­men­schluss von mehr als hundert überwie­gend jungen Menschen, Studie­renden, Uni-Absol­venten sowie Profes­soren und Ingenieur­büros.

Die Idee: Unten fließt der Verkehr weiter, und obendrüber entstehen parkähn­liche breite Brücken­flä­chen. Darauf befinden sich zum Beispiel bezahl­barer Wohnraum und Fahrwege für autonome Fahrzeuge. Die Brücken könnten der Stiftung zufolge auch Solar­energie und Regen­wasser sammeln, verteilen oder zu Speicher­orten trans­por­tieren.

Bernd Fels formu­liert es so: „Warum können wir nicht monofunk­tio­nale Verkehrs­adern zu Lebens‑, Lern‑, Arbeits- und Begeg­nungs­räumen mitten in der Stadt machen?“ Eine „living bridge“ ähnlich der Ponte Vecchio in Florenz, sagt er. Fels denkt in Braun­schweig gleich an mehrere solcher Brücken. Eine davon, die „Ponte Brunswick IV“, sollte ihm zufolge am besten vom Ägidi­en­platz bis kurz vor den Haupt­bahnhof führen. „Dann wäre die Innen­stadt mit dem Haupt­bahnhof und der Bahnstadt ‚grün’ verbunden.“

Nutzungs­ideen: Oben viel Grün, Nutzgärten (Urban Garden), ökolo­gi­sches und serielles Wohnen in Leicht­bau­weise, Parks, Fußwege und eine Schnell­spur für Radfahrer. In einer Zwischen­ebene Wasser-/Wasser­stoff­spei­cher und Leitungen für Strom, Wasser­stoff und ähnliches. „Darunter fließt der Verkehr nur noch mit zwei Spuren inklusive Straßen­bahn. Die gewon­nenen Flächen können unter­schied­liche Nutzungen im Erdge­schoss aufnehmen – zum Beispiel für Arbeiten, Lernen, Kunst, Handel, Gastro­nomie an den Rändern mit Licht­ein­fall. In der Tiefe genutzt für Urban Farming. Zusammen mit den Ideen des Urban Garden oben sprechen wir von der essbaren Stadt.“ Für die oberste Ebene sei noch eine Seilbahn denkbar, so Fels. Diese könnte die Innen­stadt mit der künftigen Bahnstadt verbinden und über den Haupt­bahnhof bis zum ehema­ligen Eisen­bahn­aus­bes­se­rungs­werk am Lokpark verlaufen.

Deutsche Post DHL startet Paket­trans­port per Gütertram aufge­nommen am Donnerstag (20. Oktober 2022) in Schwerin.
Foto: Deutsche Post DHL Group/Jens Schlueter

Grüne, innova­tive Tangente für Personen- und Güter­trans­port

Vom Hafen (Bernd Fels spricht von der „Hafen­stadt“) bis zur künftigen Bahnstadt könnte eine innova­tive Tangente verlaufen, auf der Personen und Güter trans­por­tiert werden. Entlang der Tangente sollten ihm zufolge Mobili­täts- und Logis­tik­hubs entstehen.

Fels erläutert es so: Im Hafen­ge­biet seien etliche Logis­tik­un­ter­nehmen ansässig, und mit DHL und anderen Firmen gebe es auch südlich der Innen­stadt weitere Logis­tiker, bei denen täglich Tausende Pakete ankommen. „Wie wäre es, wenn die Straßen­bahn genutzt würde, um nicht nur Personen zu trans­por­tieren, sondern auch Güter?“ Denkbar sei auch eine reine Güter­stra­ßen­bahn. Er verweist unter anderem auf ein aktuelles Projekt in Schwerin, wo eine Paketbahn DHL-Pakete durch die Innen­stadt fährt – an den Halte­stellen werden die Sendungen auf Packsta­tionen verteilt. So ähnlich stellt Fels es sich auch für Braun­schweig vor: Auf dem Weg in die Innen­stadt sollte es verschie­dene Stationen (Logis­tik­hubs) geben, an denen Pakete entnommen, gelagert und von den Empfän­gern abgeholt werden.

In der Stadt­mitte könnte ihm zufolge durch den Bohlweg-Tunnel auch das Unter­ge­schoss des ehema­ligen Galeria-Gebäudes („Hort10“, siehe obenste­hender Text) oder eine Ebene der Magni-Tiefga­rage als Logis­tikhub genutzt werden. „Ein Outlets­tore im Unter­ge­schoss wäre denkbar, um zurück­ge­ge­bene Pakete günstiger zu verkaufen. Mikro­mo­bile verteilen von hier aus die Pakete.“

In der Innen­stadt soll die innova­tive Tangente grün sein, weil Straßen wie der Bohlweg aus Fels’ Sicht für mehr Lebens­qua­lität reduziert werden müssen.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 26.02.2024 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article241758554/Real-Utopien-fuer-Braunschweig-Hort10-Paketbahn-Seilbahn.html

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