Tollkühne Piloten in „fliegenden Kugeln“

Ballonstart am Gaswerk in Braunschweig (27.10.1912)
Ballonstart am Gaswerk in Braunschweig (27.10.1912)

Neues Buch über die Luftsport­ge­schichte in der Braun­schwei­gi­schen Region erschienen.

„Luftsport in der Region Braun­schweig – von den Anfängen bis 1945”, unter diesem Titel hat Prof. a. D. Dr.-Ing Dietrich Hummel sein neues Buch zur regio­nalen Luftfahrt­ge­schichte heraus­ge­bracht. Das Mitglied des Arbeits­kreises Braun­schweiger Luftfahrt­ge­schichte (ABL) und ehema­liger Direktor des Instituts für Strömungs­me­chanik der Techni­schen Univer­sität Braun­schweig hat sich in diesem neuen Buch vor allem mit dem aufblü­henden Luftsport zu Beginn des vergan­genen Jahrhun­derts beschäf­tigt. Gefördert wurde das Erscheinen des Werkes durch die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz (SBK), die Richard Borek Stiftung sowie die Bürger­stif­tung Braun­schweig.

Er habe sich bei seiner Recher­che­ar­beit nur mit Ballon­fahrt, Segelflug und Motorflug beschäf­tigt, und sei dabei auf viele bislang unbekannte, bzw. verges­sene Geschichten gestoßen, sagte Hummel bei seiner Buchvor­stel­lung im Institut für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte. In seine Arbeit bezog er das gesamte Herzogtum Braun­schweig ein, also auch die weitere Umgebung der Stadt Braun­schweig mit den zum ehema­ligen Herzogtum Braun­schweig gehörenden Teilen des Weser­berg­landes.

Schon beim ersten Durch­blät­tern des 400-Seiten starken Buches mit seinen 410 Abbil­dungen bekommt der Leser einen Eindruck von der Begeis­te­rung, von der die Menschen bei der Verwirk­li­chung des Traums vom Fliegen getrieben sein mussten. Am Anfang des Luftsports in Braun­schweig standen die Ballone. 1908 wurde der Braun­schweiger Luftschiff­fahrts­verein gegründet. Und schon bald waren die großen „fliegenden Kugeln” Stamm­kunden beispiels­weise beim Gaswerk an der Tauben­straße in Braun­schweig oder in Helmstedt, um mit Gas gefüllt zu werden. Wie Hummel beschreibt, dienten diese Fahrten (Ballone fliegen nicht, sie fahren) nicht nur dem Vergnügen, bei denen histo­risch bedeu­tende Luftauf­nahmen entstanden. 1909 beispiels­weise wurde bei einer Fahrt die Radio­ak­ti­vität in der Luft gemessen, zwei Jahre später die Inten­sität der Sonnen­strah­lung.

Nach dem Ersten Weltkrieg dann begann die Zeit der großen Flugschauen, bei denen die überle­benden Militär­pi­loten Kunstflug und Luftkämpfe demons­trierten. Sie trugen die Begeis­te­rung in breitere Bevöl­ke­rungs­schichten, die den Segelflug als Einstieg in die Fliegerei wählten. Liest man Hummels Buch, gewinnt man den Eindruck, dass in jedem größeren Raum, in Sport­hallen, Scheunen usw. Segel­flug­zeuge gebaut wurden. Jede Erhebung im Braun­schweiger Land scheint das Potential zum Start­platz gehabt zu haben.

Nicht nur in Braun­schweig, wo sogar der Nußberg als Startort genutzt wurde, sondern in Helmstedt, Schöningen, Königs­lutter, Wolfen­büttel, Werni­ge­rode, Harlin­ge­rode, Vienen­burg, Goslar, Salzgitter, Peine, Gifhorn, Holzminden, Stadt­ol­den­dorf, Bad Harzburg oder auf dem Ith wurden Segel­flug­zeuge gebaut und geflogen. Aus heutiger Sicht waren es zum Teil abenteu­er­liche Geräte, in denen die „tollkühnen Piloten” abhoben – und manches Mal auch hart wieder auf der Erde aufschlugen. Diesem Kapitel der regio­nalen Luftfahrt­ge­schichte widmet sich Hummel sehr detail­reich.

1933 endet dieser sport­liche Zeitab­schnitt des Ballon­fah­rens sowie des Segel- und Motor­flugs, dem Hummel einen ausführ­li­chen Abschnitt widmet. Mit der Macht­er­grei­fung der natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Diktatur wurden auch die Luftfahrt­ver­eine gleich­ge­schaltet. Luftsport war nur noch im NS-Flieger­korps (NSFK) und im Deutschen Luftsport-Verband möglich und diente fortan der vormi­li­tä­ri­schen Ausbil­dung. Entspre­chend großzügig gefördert wurde er von den neuen Macht­ha­bern. In Braun­schweig entstand neben dem alten Flughafen in Broitzem, der nun militä­risch genutzt wurde, ein neuer Zivil­flug­hafen bei Waggum. Auf dem Heeseberg bei Helmstedt, in Salzgitter und auf dem Ith waren Segel­flug­schulen, die hervor­ra­gend ausge­stattet waren. Hier hat Hummel viele verges­sene Geschichten „ausge­graben”, die das Buch für den Flugin­ter­es­sierten zur aufschluss­rei­chen Lektüre machen.

Die Flugschule auf dem Schäfer­stuhl bei Salzgitter-Gitter hatte den Krieg übrigens so gut überstanden, dass sie die Engländer 1945 dort übergangslos weiter fliegen konnten. Material gab es genug. Da den Deutschen das Fliegen verboten war (es war erst 1952 wieder erlaubt) hatten sie alle Segel­flug­zeuge in ihrer Besat­zungs­zone einge­sam­melt. Auf dem Schäfer­stuhl stand so genügend fliegendes Material zur Verfügung – samt Ersatz­teilen, falls mal einer runter­fiel.

In diese Geschichte der frühen Luftfahrt der Region ist eine enorme Recher­che­ar­beit einge­flossen, die Suche nach Zeitzeugen, das Durch­forsten von Archiven und privaten Fotoalben, sind das Ergebnis. Ein weißes Loch habe seine Luftfahrt­ge­schichte, gestand Hummel bei der Buchvor­stel­lung ein: Er habe nichts über den sozia­lis­ti­schen Segel­flug­verein „Sturm­vogel” gefunden. Es habe ihn auch in Braun­schweig gegeben, aber es gibt keine Spur. Nun hofft er, dass sich irgend­wann jemand meldet, der ihm weiter­helfen kann.

Fakten:

Titel: “Luftsport in der Region Braunshweig – von den Anfängen bis 1945”

Autor: Prof. a. D. Dr.-Ing. Dietrich Hummel

Format: 16,5 x 24 Zenti­meter
400 Seiten, 410 Abbil­dungen

Verlag: Appelhans Braun­schweig, 2014
ISBN 978–3‑44939–02‑5

Preis: 24,50 Euro

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