Nach der Feuers­brunst kam „Don Juan“

Steinweg mit Blick auf das zerstörte Staatstheater. Foto: aus Broschüre, der Gesellschaft der Staatstheaterfreunde (1998)
Steinweg mit Blick auf das zerstörte Staatstheater. Foto: aus Broschüre, der Gesellschaft der Staatstheaterfreunde (1998)

Schon am 16. Juli 1945 erhielt das Staat­liche Hochbauamt den Auftrag zum Wieder­aufbau des Staats­thea­ters.

Im Juli vor 80 Jahren begann der Wieder­aufbau des nach Bomben­tref­fern ausge­brannten Staats­thea­ters. Wer heute das von 1856 bis 1861 errich­tete Gebäude betritt, kann sich das Ausmaß der damaligen Zerstö­rungen gar nicht vorstellen. Das Große Haus wurde am 25. Dezember 1948 mit Mozarts Don Juan als eines der ersten deutschen Theater der Nachkriegs­zeit wieder eröffnet. In deutschen Theater­kreisen sprach man damals nicht nur wegen der kaum für möglich gehal­tenen Restau­rie­rung ehrfurchts­voll vom „Braun­schweiger Wunder“. Denn während überall die Besucher­zahlen um mehr als die Hälfte zurück­ge­gangen war, hatte er sich in Braun­schweig gegenüber den besten Vorkriegs­zeiten bald verdrei­facht. Nach dunklen Jahren war der Hunger nach Kultur in Braun­schweig, der Stadt in der Lessings „Emilia Galotti“ (1772) und Goethes „Faust“ (1829) urauf­ge­führt worden waren, enorm.

Blick in die zerstörten Zuschauerränge. Foto: Stadtarchiv
Blick in die zerstörten Zuschau­er­ränge. Foto: Stadt­ar­chiv

Ausstel­lung im Stadt­ar­chiv

Dabei war unmit­telbar nach Kriegs­ende davon nicht auszu­gehen. Die Not der Menschen war groß, und das Staats­theater lag in Trümmern. Die damalige Situation rund um das Großen Haus schildert eine Broschüre, die die Gesell­schaft der Staats­thea­ter­freunde in Braun­schweig e.V. anläss­lich des 50. Jahres­tages der Wieder­eröff­nung (1998) heraus­ge­geben hatte. Die Broschüre ist aktuell in einer Vitrine der Ausstel­lung „Neues Gesicht für eine zerstörte Stadt – Braun­schweigs Nachkriegs­jahr­zehnte“ im Stadt­ar­chiv zu sehen. „Der Löwe – das Portal für das Braun­schwei­gi­sche“ wird sich mit dem damaligen Zustand der Fachwerk­häuser in Braun­schweig einem zweiten Thema aus der Ausstel­lung widmen.

Das Staats­theater wurde in der für Braun­schweig so verhee­renden Bomben­nacht vom 14. auf den 15. Oktober 1944, in der 90 Prozent der Innen­stadt in Schutt und Asche fielen, schwer getroffen und brannte in weiten Teilen aus. Vorstel­lungen hatte es bereits seit August 1944 nicht mehr gegeben. Bei Kriegs­ende im Mai 1945 war nicht klar, ob die Ruine überhaupt noch zum Wieder­aufbau taugen würde. Aber der von der Militär­re­gie­rung beauf­tragte Intendant Jost Dahmen übertrug bereits am 16. Juli 1945 dem Staat­li­chen Hochbauamt Braun­schweig den Auftrag zum Wieder­aufbau.

„Phosphor“ tropfte herab

Wie gewaltig die Zerstö­rungen waren, schil­derte Zeitzeuge und Dramaturg Paul Albrecht Schmücking in einer Programm­heft­bei­lage zu „Jacobowsky und der Oberst“ im Januar 1949:

„Sonnabend, den 14. Oktober 1944… taghelle, unheim­liche Nacht über Braun­schweig. Bis in die Keller erdröhnte das Große Haus von den Einschlägen. Während die Lösch­vor­be­rei­tungen getroffen wurden, eilten wir in das Vorder­haus. Tiefes Dunkel herrschte im Zuschau­er­raum wie vor jeder Vorstel­lung. Wir suchten unter jeder Stuhl­reihe nach Brand­bomben, warfen einige noch glimmende Eindring­linge aus dem Treppen­haus heraus. Im Bühnen­haus versuchte man vergeb­lich, den Konzert­flügel zu retten. Weiter griffen gierig die Flammen. Vom Schnür­boden kam Feuer­regen herab, Phosphor tropfte. Nirgendwo Wasser, kein Licht, nur noch erbar­mungs­loses Feuer. Mit einem Donner­schlag, wie aus einer hölli­schen Insze­nie­rung, rasselten gleich­zeitig Schnür­boden und Bühnen­boden auf die Tiefe der Unter­bühne herab.“

Später schrieb Schmücking ein Buch mit dem Titel „1940 – 1954 im Staats­theater Braun­schweig – Zeilen zur Erinne­rung“ (1955), das die Ereig­nisse und Entwick­lungen am Staats­theater in den Jahren des Zweiten Weltkriegs und der unmit­tel­baren Nachkriegs­zeit beleuchtet. Das Buch ist antiqua­risch noch erhält­lich.

Das Ausmaß der Zerstörung war immens. Hier zu sehen sind die völlig eingestürzten Zuschauerränge. Foto: aus Broschüre der Gesellschaft der Staatstheaterfreunde (1998)
Das Ausmaß der Zerstö­rung war immens. Foto: aus Broschüre der Gesell­schaft der Staats­thea­ter­freunde (1998)

Erste Ideen, schon im Dezember 1945 wieder im Staats­theater spielen zu können, stellten sich rasch als illuso­risch heraus. Immerhin waren zum Jahres­ende die Dachkon­struk­tionen und die Dachhaut fertig­ge­stellt und im Mai 1946 die Rohbau­ar­beiten weitge­hend abgeschlossen. Großen Anteil am zügigen Baufort­schritt hatte die britische Militär­re­gie­rung, die die Arbeiten durch Vergabe von Materi­al­be­zugs­scheinen und Freistel­lung von Arbeits­kräften förderte. Fehlende finan­zi­elle und materi­elle Mittel führten aller­dings dazu, dass das Theater nicht in der alten herzog­li­chen Pracht mit seinen beein­dru­ckenden Gründer­zeit­de­ko­ra­tionen rekon­stru­iert werden konnte.

Blick in die ursprünglichen Zuschauerränge. Foto: aus Broschüre der Gesellschaft der Staatstheaterfreunde (1998)
Blick in die ursprüng­li­chen Zuschau­er­ränge. Foto: aus Broschüre der Gesell­schaft der Staats­thea­ter­freunde (1998)

„Vornehme Zurück­hal­tung“

Der mit der Gestal­tung der Publi­kums­räume beauf­tragte Architekt Daniel Thulesius beschrieb in seinem Rechen­schafts­be­richt die archi­tek­to­ni­sche Gestal­tung als „vornehme Zurück­hal­tung und schlichte Eleganz“. Der Wieder­aufbau des Großen Hauses sei, so schrieb er, ein Denkmal, das sich Braun­schweiger Firmen, Handwerker und Arbeiter in schwerer Zeit gesetzt haben. Wirtschaft­lich gelohnt hat es sich freilich für die meisten Handwerker angesichts der Währungs­re­form nicht.

Blick in die rekonstruierten Zuschauerränge. Foto: aus Broschüre der Gesellschaft der Staatstheaterfreunde (1998)
Blick in die rekon­stru­ierten Zuschau­er­ränge. Foto: aus Broschüre der Gesell­schaft der Staats­thea­ter­freunde (1998)

Das traf auch auf meinen Großvater zu. In seinen Erinne­rungen schrieb mein Vater dazu:

„In diesem schwie­rigsten Zeitab­schnitt wagte mein Vater zusammen mit Angelo Benedetti und Albert Bruhne den Schritt in die Selbst­stän­dig­keit. […] Der größte Auftrag indes dürfte nach 1945 der Wieder­aufbau des Braun­schweiger Staats­thea­ters gewesen sein, bei dem sie mit 10–15-köpfigen Stucka­teur­ko­lonnen aus dem Eichsfeld die gesamten Stuck­ar­beiten im Inneren ausge­führt haben. Mehrfach konnte ich dabei meinem Vater auf den riesigen Gerüsten zusehen. Pech war es, dass die Arbeiten, die unmit­telbar nach dem Kriegs­ende 1945 begonnen hatten, mit der Währungs­re­form am 20. Juni 1948 abgeschlossen waren, so dass die Abrech­nung zu der praktisch wertlosen Reichs­mark vor Einfüh­rung der D‑Mark erfolgte.“

Bürger halfen bei Bühnen­aus­stat­tung

So war die Freude über die ersten Vorstel­lungen im wieder herge­rich­teten Staats­theater getrübt. Sie wären übrigens ohne die tatkräf­tige Mithilfe der Bevöl­ke­rung gar nicht möglich gewesen. Für die Bühnen­aus­stat­tung verfügte das Staats­theater bei durch­schnitt­lich drei Premieren monatlich lediglich 1.500 D‑Mark. Das reichte natürlich vorne und hinten nicht. Nach einem Aufruf im Programm­heft meldeten sich aber viele Bürger, die ihre Unter­stüt­zung anboten.

Bürger konnten für den Wiederaufbau spenden. Foto: Stadtarchiv
Bürger konnten für den Wieder­aufbau spenden. Foto: Stadt­ar­chiv

Intendant Walter Bruno Iltz erinnerte sich dazu im Programm­heft zu Wagners „Fliegenden Holländer“ im Februar 1949:

„Man möchte von mir wissen, woran es fehlt. Hier meine Antwort: an allem. Wir brauchen Möbel, Garten­stühle, spanische Wände, Gobelins, alte Lampen, Haushalts­gerät, Gläser aller Art, Bespann­stoffe, alte Hüte, Schirme, Stöcke, alte Waffen, kurz, alles, was in alten und neueren Zeiten gebraucht, getragen wurde. Wir sind auch dankbar für die Angabe von Leihmög­lich­keiten. Ein Braun­schweiger schrieb mir, er würde gern seine Möbel einmal von der Bühne sehen… Wahrlich, es ist eine Lust, für dies Braun­schweiger Publikum Theater zu spielen, mögen die Sorgen manchmal auch noch so schwer sein!“

 

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