Wie ein Lindwurm – die Gülden­straße

Nordteil der Güldenstraße mit Blick zum Südklint mit Fachwerkhäusern der Renaissance (links) und aus dem 15. Jahrhundert, um 1890. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmalpflege

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Teil 22: Mögli­cher­weise war im 13. Jahrhun­dert dort das Goldschmie­de­hand­werk.

Die Gülden­straße gehört zu den längsten Straßen­zügen der Braun­schweiger Innen­stadt. Mit ihren 80 Hausnum­mern wird sie lediglich von der Wilhelm­straße (105 Adressen) übertroffen. Der feierlich klingende Name dieser im histo­ri­schen Weichbild Altstadt einst prägenden Straße ist bis auf das Hochmit­tel­alter zurück­zu­führen: Im Jahr 1297 wurde sie erstmals als „Aurea platea“ erwähnt. Zehn Jahre später trat in den Urkunden die nieder­deut­sche Bezeich­nung „guldene strate“ in Erschei­nung. Heute ist die Gülden­straße als westliche Spange des „Kerntan­gen­ten­vier­ecks“ eine vielbe­fah­rene Schneise, die die parallel verlau­fende Echtern­straße mit der Tradi­ti­ons­insel St. Michaelis vom Stadt­zen­trum abtrennt.

Nordab­schnitt der Gülden­straße, 2023, Blick vom Radeklint. Foto: E. Arnhold

Geheim­nis­voller Name

Woher stammte die geheim­nis­voll anmutende Bezeich­nung dieses Straßen­zuges? Ähnliche Straßen­namen kommen auch in anderen mittel­al­ter­li­chen Stadt­kernen vor. Hin und wieder waren diese Bezeich­nungen humorvoll-euphe­mis­tisch gemeint: Es handelte sich bei „Goldstraßen“ nicht selten um Wohnorte der wenig begüterten Stadt­be­völ­ke­rung mit entspre­chenden hygie­ni­schen Verhält­nissen. An der Braun­schweiger Gülden­straße bestanden jedoch – wie wir noch sehen werden – statt­liche Bürger­häuser, zu denen sogar große Stein­bauten gehörten. Mögli­cher­weise war die Gülden­straße im 13. Jahrhun­dert Standort des Goldschmie­de­hand­werks. Bei Ausgra­bungen in der benach­barten Echtern­straße sind 2002 entspre­chende Funde zutage getreten. Eckpunkte für die frühe Geschichte der Straße sind die Ersterwäh­nungen der Michae­lis­kirche (1157) und des Petri­tores im Jahr 1196. Dies zeigt: Der sanft S‑förmig geschwun­gene Straßenzug entstand mit der fortschrei­tenden Besied­lung der Altstadt in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhun­derts während der Herrschaft Heinrichs des Löwen.

Die Gülden­straße ist heute eine der beiden großen südlichen Einfall­straßen in den Stadtkern. Weiter­füh­rend verbindet sie das Zentrum über den Europa­platz und die Theodor-Heuss-Straße mit den Autobahnen. Ursprüng­lich endete der Straßenzug jedoch an der Kreuzung mit Südstraße und Prinzenweg. Man verließ die Stadt durch den Prinzenweg und das Michae­listor. Erst 1730 wurde im Rahmen der barocken Bastio­när­be­fes­ti­gung das neue Wilhel­mitor am Gieseler geschaffen – nun ging es in direkter Verlän­ge­rung der Gülden­straße über die Wallan­lagen zur Frank­furter Straße. Im Norden mündete die Gülden­straße auf den Südklint, von wo die Straße Am Alten Petritore zum gleich­na­migen Stadttor führte. Heute existiert der einst so reizvolle Südklint nicht mehr, der fließende Übergang von der Gülden­straße auf den Verkehrs-Verteiler Radeklint ist kaum spürbar.

Tradi­ti­ons­insel Michaelis

Mittel­ab­schnitt der Güldentraße, im Hinter­grund St. Michaelis, um 1930. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

Im Zweiten Weltkrieg wurde die histo­ri­sche Bebauung weitge­hend zerstört. Lediglich im südlichen Teil ist um St. Michaelis ein Ensemble mit Fachwerk­häu­sern erhalten geblieben, obwohl auch hier auf der östlichen Straßen­seite zum Zweck der Verbrei­te­rung 1970 noch Fachwerk weichen musste. Das Ensemble bildet mit den Baudenk­mä­lern an der Echtern­straße und am Prinzenweg die heutige Tradi­ti­ons­insel Michaelis. Zu den erhal­tenen Häusern gehört das 1567 errich­tete „Haus zur Hanse“ an der Gülden­straße 7. Es gehört nicht nur zu den statt­lichsten Renais­sance­fach­werk­häu­sern Braun­schweigs, sondern ist auch Denkmal der Wirtschafts­ge­schichte: Die hier 1627 von Zacharias Boiling gegrün­dete Brauerei war Stammhaus der heutigen Wolters-Brauerei.

Dem Haus zur Hanse gegenüber standen zwei schlichte aber statt­liche Massiv­bauten. Das zuletzt barocke Erschei­nungs­bild der Häuser Gülden­straße 79 und 80 ging auf Umbauten zurück. Es handelte sich jedoch um mittel­al­ter­liche Gebäude. An ihren Hofseiten waren außerdem Kemenaten erhalten geblieben. Ein weiteres mittel­al­ter­li­ches Steinhaus stand an der Ecke zur Peter­si­li­en­straße (Nr. 77). Das bereits um 1880 abgebro­chene Bauwerk ließ an seiner Straßen­front noch Spuren aus dem 13. und 16. Jahrhun­dert erkennen. Durch den Feuer­sturm der Bomben­nacht vom 14./15. Oktober 1944 kam das im mittleren Teil der Gülden­straße gelegenes Steinhaus Nr. 23 zum Vorschein. Seine Ruine wurde durch Trümmer­räu­mung beseitigt.

Gülden­straße 7, Haus zur Hanse. Foto: E. Arnhold

Von Fachwerk­häu­sern geprägt

Im Übrigen war die Gülden­straße von Fachwerk­häu­sern geprägt. Ihre langen Zeilen wurden von nur wenigen jüngeren Gebäuden aus den Gründer­jahren unter­bro­chen. Wie in den meisten alten Straßen Braun­schweigs reichte die Spanne der Holzbauten von gotischen Bauwerken aus dem 15. Jahrhun­dert bis zu den schlichten Zeugnissen aus der Zeit des Klassi­zismus. Zu den statt­lichsten spätgo­ti­schen Häusern Braun­schweigs gehörte Gülden­straße 14/15, das mit seinen 20 Fenster­achsen Breite nachträg­lich geteilt wurde. Über den im 19. Jahrhun­dert vollständig verän­derten Erdge­schossen erhoben sich zwei auskra­gende Stock­werke (ursprüng­lich Speicher) mit Treppen­friesen. Ihre inschrift­liche Datierung zeigte die Jahres­zahl 1480. Noch älter waren die mit wuchtigem Holzwerk verzim­merten Häuser am Nordende des Straßen­zuges.

Zu den wertvollsten Renais­sance­bauten aus der Mitte des 16. Jahrhun­derts gehörte das hoch aufra­gende Haus Nr. 8 mit seinen breiten kräftig vorkra­genden Speicher­stö­cken. Hier stand die Kemenate nicht im Hofbe­reich, sondern seitlich des Hauses und war daher im Stadtbild präsent. Bei der Errich­tung des Studen­ten­wohn­heims Michae­lishof in den Jahren 1978–1983 entstand eine ähnliche Fachwerk­fas­sade neu, um das Ensemble um St. Michaelis abzurunden. Zwei weitere Bauten aus der Zeit um 1550 stachen aus der Bebauung der Westseite im mittleren Straßen­ab­schnitt heraus: die beiden vierge­schos­sigen Häuser Nr. 24 und Nr. 30. Ihre hohen Sattel­dä­cher überragten die Nachbarn um das Doppelte.

Das Besondere an der Gülden­straße waren aber weiniger die Einzel­häuser, sondern das Gesamt­ensemble, das wiederum einge­bettet war in ein diffi­ziles städte­bau­li­ches Gewebe mit immer wieder neuen Raumbil­dern von hohem Reiz.

Elmar Arnhold ist Bauhis­to­riker (Gebautes Erbe) und Stadt­teil­hei­mat­pfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröf­fent­licht er regemäßig Beiträge zu histo­ri­schen Bauten in Braun­schweig.

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