Vom Rathaus zum Musen­tempel

Opernhaus um 1850, aquarellierte Bleistiftzeichnung. Foto: aus Hermann Korb und seine Zeit, Braunschweig 2006

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Teil 3: das Opernhaus auf dem Hagen­markt

Zum 250-jährigen Jubiläum der Urauf­füh­rung von Lessings Emilia Galotti widmen wir uns in diesem Monat einer längst verschwun­denen Kultur­stätte Braun­schweigs: dem Opernhaus auf dem Hagen­markt. Dieser tradi­ti­ons­reiche Platz steht seit Herbst 2017 im Blickfeld von Stadt­pla­nung und Kommu­nal­po­litik: Seitdem das Sturmtief „Xavier“ zahlreiche der 1982 dort gepflanzten Robinien entwur­zelte, steht die Frage im Raum: grüne Lunge oder städti­scher Platz? In früheren Jahrhun­derten war der histo­ri­sche Markt jedoch zum Teil überbaut.

Vor dem Turmwerk der Katha­ri­nen­kirche war im 13. Jahrhun­dert das Rathaus des Weich­bildes Hagen entstanden. Daneben erhob sich das Gewand­haus dieser mittel­al­ter­li­chen Teilstadt. Nach der Eroberung der Stadt durch Truppen Herzog Rudolf Augusts von Braun­schweig-Wolfen­büttel im Jahr 1671 wurden die Weich­bild­räte abgeschafft und für die bishe­rigen Rathäuser – bis auf das nun zum gesamt­städ­ti­schen Rathaus auser­ko­rene Neustadt­rat­haus – mussten nun neue Nutzungen gefunden werden. Während das Altstadt­rat­haus für die 1681 einge­führte Waren­messe einge­richtet wurde, erfuhr das Rathaus auf dem Hagen­markt eine Umwidmung zur Spiel­stätte für die Oper.

Drittes Opernhaus in Deutsch­land

Opernhaus, Westan­sicht, 1714, Stich von Johann Georg Beck. Foto: Stadt­ar­chiv Braun­schweig

Zwischen Oper und Messe kann eine unmit­tel­bare Wechsel­wir­kung beobachtet werden: Die Gründung des Opern­hauses erfolgte 1690 auf Veran­las­sung des kulturell hocham­bi­tio­nierten Herzogs Anton Ulrich – um den Messe­be­su­chern in der Löwen­stadt etwas zu bieten und damit auch Einnahmen zu erwirt­schaften. Es handelte sich um die dritte allgemein zugäng­liche Spiel­stätte für Opern in Deutsch­land.

Das Opernhaus entstand unter teilweiser Einbe­zie­hung des alten Ratsge­bäudes nach Entwürfen des Baumeis­ters Johann Balthasar Lauter­bach. Die Bauaus­füh­rung lag in den Händen des späteren Landbau­meis­ters Hermann Korb. Während im Altbau der Bühnen­trakt einge­richtet wurde, erbaute man nach Westen hin einen großen Fachwerkbau für Zuschau­er­raum sowie Vestibül und Redou­ten­saal. Das mit der von Johann Sigismund Kusser kompo­nierten Oper „Cleopatra“ am 4. Februar 1690 eröffnete Haus war mit fünf Rängen und etwa 1000 Plätzen ausge­stattet. Um das Parterre erstreckten sich 20 Logen.

Teil der reprä­sen­ta­tiven Achse

Haupt­schau­seite war die 15 Fenster­achsen breite Südfas­sade mit ihrem übergie­belten Mittel­trakt. War es doch diese Gebäu­de­front, die auf dem Weg über den Bohlweg zum Hagen­markt zuerst ins Auge fiel. Der Bohlweg entwi­ckelte sich spätes­tens seit dem Bau des neuen Residenz­schlosses Grauer Hof (von 1717 an) mit weiteren landes­herr­li­chen Bauten zu einer reprä­sen­ta­tiven Achse. Der Haupt­ein­gang befand sich aller­dings an der westli­chen Schmal­seite zum Hagen­markt. An die archi­tek­to­nisch wenig ausge­prägte Nordfas­sade schloss nach wie vor das alte Gewand­haus mit seinem steil aufra­genden Dach an. Der Blick vom Zuschau­er­raum zur Bühne war von Doppel­säulen mit Giebel bestimmt. Ein anstei­gender Bühnen­boden und gestaf­felt angeord­nete Kulis­sen­wände erzeugten eine für barocke Theater­bauten typische perspek­ti­vi­sche Wirkung. Unter und oberhalb der Bühne (Schnür­boden) befand sich eine ausge­klü­gelte Maschi­nerie für den Betrieb während der Auffüh­rungen. Seine endgül­tige Gestalt erhielt die Kultur­stätte nach Umbauten in den Jahren 1723 sowie 1743–1745. Im Giebel­feld des Mittel­ri­sa­liten an der Südfas­sade schuf der Hildes­heimer Maler Josef Gregor Winck 1747 ein Stuck­re­lief.

Hagen­markt mit Heinrichs­brunnen, um 1890. Foto: Stadt­ar­chiv Braun­schweig

Urauf­füh­rung von Goethes Faust

In der barocken Blütezeit der Oper wirkten hier auch überre­gional bekannte Künst­le­rinnen und Künstler, wie die Auftritte der seiner­zeit berühmten Schau­spie­lerin Friede­rike Caroline Neuber beweisen. Neben der Urauf­füh­rung von Emilia Galotti ist besonders die erste Auffüh­rung von Goethes Faust im Jahr 1829 in die Geschichte einge­gangen. Weitere vielbe­ach­tete Ereig­nisse waren Auffüh­rungen von Carl Maria von Webers Freischütz (1822) und Beetho­vens Fidelio (1826).

1Das in großen Teilen in Fachwerk errich­tete Bauwerk genügte spätes­tens seit Mitte des 19. Jahrhun­derts nicht mehr den Anfor­de­rungen eines modernen Theater­ge­bäudes. Bauschäden und womöglich auch die Furcht vor einem verhee­renden Brand­un­glück (1847 waren in Karlsruhe beim Brand des Hofthea­ters 65 Menschen umgekommen) führten 1859–1861 zum Neubau des heutigen Staats­thea­ters am östlichen Abschluss des Stein­weges. Nach dem 1864 erfolgten Abbruch des Opern­hauses am Hagen­markt und seiner anschlie­ßenden Bebauung erstreckte sich hier erstmals ein weitläu­figer Platzraum. Zehn Jahre später entstand zu seiner Akzen­tu­ie­rung der Heinrichs­brunnen.

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