Braun­schweigs Stiefkind der Plätze

Der Hagenmarkt um 1900. Foto: Screenshot Broschüre
Der Hagenmarkt um 1900. Foto: Screenshot Broschüre

Broschüre der Arbeits­ge­mein­schaft gebautes Erbe beschreibt die Entwick­lung des Hagen­markts. Autor Elmar Arnhold wendet sich gegen die absolute Dominanz des Verkehrs zugunsten einer besseren Aufent­halts­qua­lität.

Sturmtief „Xavier” zog vom 5. Oktober 2017 über Braun­schweig hinweg und hinter­ließ vor allem am Hagen­markt, mitten in der Stadt, gravie­rende Schäden. Zahlreiche der erst 1982 gepflanzten Bäume wurden entwur­zelt. Sie wurden mittler­weile gefällt. Das ermög­lichte einen anderen Blick auf die Baudenk­male Katha­ri­nen­kirche und Heinrichs­brunnen, der die seit längerem geführte Debatte, wie der Hagen­markt zukünftig gestaltet werden soll, neu entfacht hat. Es bietet sich jetzt die Chance zur städte­bau­li­chen Aufwer­tung eines wichtigen, zentralen Platzes in der Stadt.

Die Meinungen, wie das geschehen soll, gehen dabei weit ausein­ander: großzü­giger Stadt­platz, grüne Insel, weiter Vorfahrt für den Verkehr oder doch eher weniger? Zur Erhellung der Diskus­sion hat Elmar Arnhold, Bauhis­to­riker und Stadt­teil­hei­mat­pfleger Innen­stadt, mit der Arbeits­ge­mein­schaft gebautes Erbe eine Broschüre erstellt, die die histo­ri­sche Entwick­lung des Hagen­markts vom 13. Jahrhun­dert bis zu dem wütenden Orkan im vergan­genen Jahr nachzeichnet und zu histo­ri­scher Sensi­bi­lität auffor­dert. Heraus­geber der Broschüre ist das Hägener Forum, Förderer die Richard Borek Stiftung.

Arnhold beschreibt in seiner fundierten Ausar­bei­tung, dass die Atmosphäre des Hagen­markts gegen­wärtig der einer stark frequen­tierten Verkehrs­dreh­scheibe gleiche, die keinen Bezug zur einstigen Bedeutung und zur Archi­tektur mit den beiden Baudenk­malen Katha­ri­nen­kirche und Heinrichs­brunnen zulasse. „Fahrbahnen und Gleis­körper nehmen einen Großteil des Freiraums ein. Heute nimmt man im Prinzip lediglich den Platz­be­reich um den Heinrichs­brunnen als Hagen­markt wahr. Dieser Bereich wurde zu Beginn der 1980er Jahre als begrünter Platz mit Baumbe­stand angelegt. Damit sollte dem verkehrsum­tosten einstigen Markt­platz eine grüne Oase entge­gen­ge­stellt werden. Die Bäume wuchsen im Laufe der letzten Jahrzehnte zu einem kleinen ‘Hagen­wäld­chen‘ heran. Eine wirkliche Aufent­halts­qua­lität für Passanten und Besucher Braun­schweigs hat sich damit jedoch nicht etablieren können“, schreibt Arnhold.

In seinem Vorwort erlaubt sich der Bauhis­to­riker eine Präferenz für die künftigen Planungen. Es sei wünschens­wert, die absolute Dominanz des Verkehrs zugunsten einer besseren Aufent­halts­qua­lität und Einbin­dung des Hagen­markts in das urbane Gewebe der Innen­stadt zu verrin­gern, positio­niert er sich und begründet das auch mit histo­ri­schem Bewusst­sein, schließ­lich gehöre der Hagen­markt seit 1160 mit der Gründung des Weich­bilds Hagen durch Heinrich den Löwen zu den geschichts­träch­tigsten Orten der Braun­schweiger Innen­stadt.

Im Gegensatz zum Burgplatz und zum Altstadt­markt oder zum Magni­kirch­platz wurden Hagen­markt und seine Umgebung 1944 fast völlig zerstört. Nach 1945 sei, so Arnhold, der Wieder­aufbau von pragma­ti­schen Entschei­dungen zugunsten einer verkehrs­ge­recht ausge­bauten City geprägt gewesen. Nachdem die wenigen wieder­auf­bau­fä­higen Fassaden histo­ri­scher Bürger­häuser komplett abgeräumt wurden, sei ein moderner Neuaufbau, der im Prinzip von 1950 bis in die frühen 1990er Jahre mit Häusern gefolgt. Zu den typischen, gesichts­losen Nachkriegs­bauten gesellten sich Häuser wie das Einwoh­ner­mel­deamt, das BfG-Gebäude oder das Hagen­markt-Center.

Arnhold traut dem Hagen­markt dennoch eine weit bessere Rolle als die des Stief­kinds unter den Braun­schweiger Plätzen zu. Im Gespräch erinnert er an die Erfolgs­ge­schichten des Schloss­platzes, des Platzes der Deutschen Einheit und nicht zuletzt des Kohlmarkts. „Ich sitze oft in einem Café am Rande des Schloss­platzes und genieße es, obwohl dort ja auch der Verkehr auf dem Bohlweg rollt“, zieht er einen Vergleich. Er kann sich vieles vorstellen, wie die Verweil­qua­lität und die Wirkung als Stadt­platz verbes­sert werden können. „Vielleicht ist es sogar möglich, die Caspa­rist­raße zur Fußgän­ger­zone zu machen“, meint er. Arnhold setzt auf frische Ideen durch Städte­bau­liche und verkehr­liche Gutachten, die konsens­fähig sind.

Eindeutig wird in der Broschüre heraus­ge­ar­beitet, dass der Hagen­markt bis zur aktuellen Situation mit Rasen­flä­chen und Bäumen nie eine inner­städ­ti­sche Grünfläche war. Ausgangs­punkt war die Bebauung mit Rat- und Gewand­haus sowie Pfarr­kirche um einen Markt im 13. Jahrhun­dert. Später kam das Opernhaus hinzu, in das Bauteile des Rat- und Gewand­hauses mitein­be­zogen wurden. Es wurde 1864 abgerissen. Seither ist der Hagen­markt ein freier Platz umgeben von Fachwerk­häu­sern. „Sämtliche Darstel­lungen des Hagen­markts auf Plänen und histo­ri­schen Ansichten zeigen einen Platz ohne nennens­werten Baumbe­stand“, heißt es in der Broschüre. Um den als „leer“ empfun­denen Platz mit einem zentralen Akzent zu versehen, sei der 1874 von Ludwig Winter entwor­fene Heinrichs­brunnen entstanden.

Später fand der Braun­schweiger Weihnachts­markt auf dem Hagen­markt statt. Wie auf nahezu allen anderen Plätzen auch wurde er bis in die 1980er Jahre als Parkfläche für Autos genutzt. Der große Unter­schied zu Kohlmarkt, Altstadt­markt oder Magni­kirch­platz ist aller­dings, dass er sich bis heute nicht aus der erdrü­ckenden Umklam­me­rung des Verkehrs entziehen konnte. Der Hagen­markt wurde in den Jahrhun­derten oft den geänderten Bedürf­nissen angepasst. Der Zeitpunkt für eine nächste, mögliche Korrektur ist gekommen.

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