Vom Friedhof zur Idylle

Ostansicht von St. Katharinen mit Hagenmarkt im Stadtmodell Braunschweig um 1671. Foto: Altstadtrathaus

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Teil 23: Der Katha­ri­nen­kirchhof mit seinem alten Baumbe­stand ist neben dem verkehrsum­tosten Hagen­markt eine kleine Oase.

Auf Initia­tive Heinrichs des Löwen begann um 1160 die Anlage des Weich­bildes Hagen, eine der fünf Teilstädte des mittel­al­ter­li­chen Braun­schweigs. Mit dem Bau der Katha­ri­nen­kirche von um 1200 an ist auch die Entste­hung eines zugehö­rigen Kirch­hofes verbunden. Es kann davon ausge­gangen werden, dass das Areal um den mittel­al­ter­li­chen Sakralbau von Beginn an als Ruhestätte für die Verstor­benen der Hagen-Gemeinde genutzt wurde. Mit dem Bau eines Rathauses für diese Teilstadt im zweiten Viertel des 13. Jahrhun­derts entstand der westliche Abschluss für den Kirch­hof­be­reich südlich von St. Katha­rinen. Im Spätmit­tel­alter erfolgte die Erwei­te­rung des Rathaus­kom­plexes nach Süden mit einer Laube und nach Norden hin durch ein Gewand­haus. Rat- und Gewand­haus bildeten eine Trennung zwischen belebtem Markt und stillen Kirch­hof­ge­lände.

Giebel­reihen bis heute prägend

Lageplan Hagen­markt und St. Katha­rinen um 1671. Foto: E. Arnhold

Die Katha­ri­nen­kirche wurde in der Zeit zwischen 1250 bis in das frühe 15. Jahrhun­dert von einer romani­schen Basilika mit kreuz­för­migem Grundriss zu einer Hallen­kirche mit sieben Jochen umgebaut und erweitert. Die Giebel­reihen der Kirchen­schiffs-Fassaden sind bis heute prägend für die umgebenden Platz- und Straßen­räume. Eine entspre­chende Archi­tektur zeigen die mit St. Katha­rinen sehr verwandten Pfarr­kir­chen der beiden Weich­bilde Alt- und Neustadt: St. Martini und St. Andreas.

In der planmä­ßigen Anlage der Teilstadt Hagen findet sich in ihrem Zentrum eine für den hochmit­tel­al­ter­li­chen Städtebau des 12. Jahrhun­derts typische Dispo­si­tion von Markt und Pfarr­kirche. Beide wurden durch den Rathaus­kom­plex vonein­ander getrennt.

Zudem war der Kirchhof noch durch eine norsöst­lich an das Rat- bezie­hungs­weise  Gewand­haus anschlie­ßende Häuser­zeile von der Einmün­dung von Wenden- und Fallers­le­ber­straße auf den Hagen­markt abgeschirmt. Der als Gemein­de­friedhof genutzte Kirchhof war auf beiden Seiten des Kirchen­schiffs von Mauer­zügen von den beglei­tenden Straßen­zügen abgeteilt. Ein Kupfer­stich von Johann Georg Beck aus dem Jahr 1711 bietet die einzige überlie­ferte Ansicht des südlichen Katha­ri­nen­kirch­hofs mit seiner Ummaue­rung.

Südan­sicht St. Katha­rinen mit ummau­ertem Kirchhof, Kupfer­stich J. G. Beck, 1711. Foto: Stadt­ar­chiv

Brunnen­be­cken mit Löwen­skulptur

Vor der nördli­chen Kirch­hof­mauer an der Fallers­leber Straße verlief die Zuleitung des in einem Becken (Jödebrunnen) östlich der mittel­al­ter­li­chen Stadt gesam­melten Frisch­was­sers für den Brunnen auf dem Hagen­markt. Diese Wasser­ver­sor­gung ist seit 1332 überlie­fert. Die unter dem Straßen­ni­veau verlau­fende Röhren­lei­tung aus Holz (Pipen­lei­tung) hatte einen Abzweig vor der Kirch­hof­mauer für die Speisung eines dort errich­teten öffent­li­chen Brunnens. Seine Tradition lebt fort in dem 1842 entstan­denen und mit einer Löwen­skulptur geschmückten Brunnen­be­cken.

In der Frühen Neuzeit ist die Tendenz zur Verlegung der Friedhöfe aus inner­städ­ti­schen Lagen im unmit­tel­baren Umfeld der Pfarr­kir­chen auf Areale außerhalb der Stadt­be­fes­ti­gungen zu beobachten. Ein erster Friedhof von St. Katha­rinen vor der seiner­zeit im Bau befind­li­chen Bastio­när­be­fes­ti­gung um Braun­schweig ist für 1706 überlie­fert (Katha­ri­nen­straße, nähe Campus-Gelände der Techni­schen Univer­sität). Mit einer Verord­nung Herzog Karls I. wurden die Bestat­tungen im Stadt­be­reich ab 1753 untersagt.

Stiller Ort ohne Funktion

Südseite des ehema­ligen Katha­ri­nen­kirch­hofs, um 1930. Foto: Stadt­ar­chiv

Während die herzog­liche Regierung entstanden am ehema­ligen Marti­ni­kirchhof in der  zweiten Hälfte des 18. Jahrhun­derts wichtige öffent­liche Gebäude. So entstand dort ein reprä­sen­ta­tiver Archi­tek­tur­platz, während die übrigen Kirchhöfe als stille Orte ohne eine neue Funktion im Gefüge der barocken Residenz­stadt blieben. Auch der unter Einbe­zie­hung des mittel­al­ter­li­chen Rathauses erfolgte Bau des Opern­hauses auf dem Hagen­markt im Jahr 1690 blieb ohne Wirkung auf den Katha­ri­nen­kirchhof.

Ein nach der Fertig­stel­lung des klassi­zis­ti­schen Wallrings 1826 veröf­fent­lichter Stadtplan zeigt den Katha­ri­nen­kirchhof mit Baumreihen an der Nord‑, Ost- und Südseite. Mit der Erneue­rung des Brunnens erfolgte 1842 auch eine Umgestal­tung des Kirch­hofes, auf welche vermut­lich die Lesestein-Pflas­te­rung des nördli­chen Abschnitts an der Fallers­le­ber­straße zurück­ging.

Reizvolle Bebauung bis 1944

In der südlichen und östlichen Randbe­bauung des Kirch­hofes war die reizvolle Bebauung mit Fachwerk­häu­sern bis 1944 erhalten. Dort sind Gebäude überlie­fert, die eng mit der Gemeinde in Verbin­dung standen: Im Süden bestand neben einem „Kirchen­haus“ (An der Katha­ri­nen­kirche 3) die Gemein­de­schule (Nr. 4/5), an der östlichen Platz­seite existierte zwischen­zeit­lich ein weiteres Haus der Gemeinde mit schuli­scher Nutzung (Nr. 15). Letzteres war ein statt­li­cher Fachwerkbau aus dem Jahr 1469 mit Treppen­friesen und Inschrift. Auf dem Grund­stück der Schule An der Katha­ri­nen­kirche 4/5 stand bis zur Zerstö­rung 1944 ein um 1600 errich­tetes  Renais­sance-Fachwerk­ge­bäude mit Erker.

Fachwerk­häuser An der Katha­ri­nen­kirche 3–4, um 1900. Foto: Stadt­ar­chiv

Östlich dieser Gemein­de­schule befand sich die erste Heimstatt des 1415 gleich­zeitig mit dem Martineum in der Altstadt gegrün­deten Katha­ri­neums. Beide Schulen fungierten als städti­sche, von der Geist­lich­keit unabhän­gige Latein­schulen und sollten vorwie­gend dem Erwerb juris­ti­scher Grund­lagen dienen. Vor den Kriegs­zer­stö­rungen stand auf dem Grund­stück des einstigen Katha­ri­neums (An der Katha­ri­nen­kirche 7) ein schmales Fachwerk­haus aus dem 16. Jahrhun­dert. Es war mögli­cher­weise nach der Verla­ge­rung der Schule in das ehemalige Pauli­ner­kloster am Bohlweg (1537) errichtet worden. Im Jahr 1700 bezog das Katha­ri­neum ein barockes Schulhaus am Hagen­markt.

Ein Werk des Stadt­bau­rats Ludwig Winter war das 1882 in Backstein errich­tete Gemein­de­haus an der östlichen Kirch­hof­seite. Seine neugo­ti­sche Formen­sprache reprä­sen­tierte die seiner­zeit beliebte Orien­tie­rung an den Werken der norddeut­schen Backstein­gotik – welche in Braun­schweig nur an einem einzigen Baudenkmal in Erschei­nung tritt: der Liberei am Kirchhof von St. Andreas.

Quali­täts­voller Nachkriegsbau

Nach der fast vollstän­digen Zerstö­rung des ehema­ligen Weich­bildes Hagen im Zweiten Weltkrieg entstanden am Kirchhof überwie­gend schlichte Gebäude der Nachkriegs­mo­derne. Ein quali­täts­voller Bau dieser Epoche ist das von Prof. Justus Herren­berger gestal­tete Gemein­de­haus von St. Katha­rinen mit dem auf Stützen über dem Platz schwe­benden Gemein­de­saal. Die Grünan­lage mit altem Baumbe­stand lässt den Kirch­platz bis heute neben dem verkehrsum­tosten Hagen­markt als kleine Oase erscheinen.

Elmar Arnhold ist Bauhis­to­riker (Gebautes Erbe) und Stadt­teil­hei­mat­pfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröf­fent­licht er regemäßig Beiträge zu histo­ri­schen Bauten in Braun­schweig.

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