Kultur-Infusion für verödete Braun­schweiger Kaufhäuser

Anne Mueller von der Haegen (links) und Franziska Pester (rechts daneben) organisieren das City-Kunstfest „Justamente“ an dem sich (von oben) Elizabeth Wurst, Anna.laclaque, Seonah Chae, Anne-Katrin Posselt, Dagmar Glausnitzer, Jenny Seib, Victoriia Bachmann, Reiner Nötzold und zwei Dutzend weitere KünstlerInnen beteiligen. Foto: Florian Arnold

Das Kunstfest „Justa­mente“ will vom 9. bis 11. September zentrale Leerstände in der City bespielen – Mit Kunst, Perfor­mance, Konzerten und mehr.

Es ist ja nicht so, dass es keinerlei Ausstel­lungs­mög­lich­keiten in Braun­schweig gäbe. Da bieten sich so einige an, von der Städti­schen Kunst­halle 267 an der Hamburger Straße bis zum Torhaus des Bundes Bildender Künstler. Aber den vielen Kreativen in der Kunst­hoch­schul­stadt und der Region sind es doch notorisch zu wenige. Und schon gar nicht sind sie so zentral gelegen wie das elegante Flebbe-Haus am Bohlweg/Ecke Damm.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 02.09.2022 (Bezahl-Artikel)

Auch deshalb strahlen die Chef-Organi­sa­to­rinnen Franziska Pester und Anne Mueller von der Haegen, als sie das Kunstfest „Justa­mente“ ankün­digen, das am nächsten Wochen­ende die Stadt kreativ beleben soll. Es bespielt Leerstände. Das ist nicht ganz neu, solche Koope­ra­tionen zwischen Geschäfts-/Immo­bi­li­en­welt und Künst­le­rInnen gibt es öfter. Aber eben nicht in solchen 1a-Lagen. Und auch nicht so groß aufge­zogen, wie das nun Urstand feiern soll.

„New Yorker“-Chef Friedrich Knapp gibt Flebbe-Haus mietfrei

„Die Künste müssen die Stadt mitdenken, gerade in Zeiten der Umbrüche“, sagt Projekt­lei­terin Franziska Pester. Sie könnten „Möglich­keits­räume“ schaffen, die Gegenwart reflek­tieren, Neues auspro­bieren. Eine kräftige Kunst­in­fu­sion gegen die Tristesse von Leerständen. Es sei toll, wenn Stadt und Immobi­li­en­be­sitzer dieses Potenzial erkennen und mitspielen – wie etwa im Flebbe-Haus.

Das gehört „New-Yorker“-Chef Friedrich Knapp. Der Fast-Fashion-Boss sei „kunst­affin“, wie seine Sponso­ring-Fachfrau Lisa Horstmann versi­chert (und wie er es mit der Förderung der Musischen Akademie Braun­schweig bis vor kurzem auch demons­triert hat). Der 70-Jährige stellt die seit zwei Jahren leerste­henden unteren Etagen des Flebbe-Hauses kostenlos zur Verfügung, so dass „Justa­mente“ zentral am Bohlweg steigen kann. Aber nicht nur dort.

Großfor­mate für die Kaufhof-Fassade

Gegenüber beispiels­weise wird der frühere Galeria-Kaufhof bespielt – äußerlich zumindest. Die Künst­lerin Anna.laclaque hat bereits begonnen, die Fassade mit großfor­ma­tigen Gemälden zu berei­chern. Wirklich großfor­matig: 6,80 mal zwei Meter. Sie prangen in dem verti­kalen gläsernen Durch­bruch der gewal­tigen Kachel­wand. Es sei ganz schön anstren­gend gewesen, darin zu arbeiten in der Hitze der vergan­genen Tage, erzählt Laclaque. „Ich hatte nur 80 Zenti­meter Platz“. Entstanden ist ein Tripty­chon expres­siver Menschen­bilder, eine starke, schnell hinge­wor­fene Serie mit einem schrei­enden Männer­kopf in einem schwarz­roten Inferno im Mittel­punkt.

Bespielt werden auch Räume am Waisen­hausdamm, in der Bohlweg-Unter­füh­rung, der Aegidien-Passage und andern­orts in der City. 31 Künst­le­rInnen sind dabei.

Spontane Kunst mit Ortsbezug

Zu ihnen gehört Perfor­merin Elizabeth Wurst. Sie verkör­pert eine Diva, ein wenig im Stil der 50er Jahre, schön cool hinter der großen Sonnen­brille, und singt mit kräftiger Stimme über das, was ihr gerade so ins Sichtfeld kommt – ja, du zum Beispiel mit der Zeitung!

„Genau darum geht es bei ‚Justa­mente’, dass die Künst­le­rinnen und Künstler gesehen werden, dass es spontane Begeg­nungen gibt“, sagt Anne Mueller von der Haegen, Leiterin des Allge­meinen Konsum­ver­eins, der Hinter Liebfrauen 2 auch mitspielt. Fast alle Teilnehmer steuerten neue Arbeiten bei, für die sie einer Jury Konzepte vorlegen mussten, und gingen oft direkt auf die ungewöhn­liche Ausstel­lungs­si­tua­tion mitten in der City ein.

Spontane Live-Malerei in Schau­fens­tern am Waisen­hausdamm

Viktoriia Bachmann etwa will in einem Schau­fenster am Waisen­hausdamm „Live-Paintings“ schaffen, aus der Situation heraus. Die 23-jährige Malerin lebt seit zwei Jahren in Braun­schweig und stammt aus Cherson im Süden der Ukraine, einer Großstadt, die nun unter russi­scher Besatzung darbt. Familie und Freunde leben noch dort, gefährdet und bedrückt, erzählt Bachmann. Sie übersetzt das Bangen um ihre alte Heimat in düster-expres­sive Bilder, die derzeit bereits im Schloss-Carree zu sehen sind. Seonah Chae wiederum bemalt im Flebbe-Haus Möbel­stücke, die Menschen in der Corona-Pandemie aussor­tiert haben.

Die Braun­schwei­gi­sche Stiftung, Munte-Immobi­lien, das Kultur­in­stitut und der Bund Bildender Künstler haben ihren Teil zur Unter­stüt­zung von „Justa­mente“ beigetragen. Kommenden Freitag, 18 Uhr, geht es los.

Das Programm

Das Kunstfest „Justa­mente“ wird am Freitag, 9. September, um 18 Uhr im Allge­meinen Konsum­verein, Hinter Liebfrauen 2, eröffnet.

Bis Sonntag­abend, 11. September, werden Leerstände in der City mit Kunst, aber auch Perfor­mances und Konzerten bespielt.

Geführte Touren starten vom Allge­meinen Konsum­verein aus: Freitag um 19, Sonnabend um 15 und 18, Sonntag um 11 und 15 Uhr.

Das komplette Programm gibt es hier.

Im Allge­meinen Konsum­verein eröffnet bereits am Donnerstag, 8. September, 18 Uhr, eine weitere Ausstel­lung: Die Glaskünstlerin Simone Fezer (Stuttgart/Hamburg) entwirft aus recycelten Materia­lien und unter­schied­li­chen Medien eine große dysto­pi­sche Instal­la­tion. Sie ist auch während „Justa­mente“ zu besich­tigen.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 02.09.2022 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/kultur/article236325171/Kultur-Infusion-fuer-veroedete-Braunschweiger-Kaufhaeuser.html (Bezahl-Artikel)

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